BAG Urteil v. - 2 AZR 369/22

Instanzenzug: Az: 10 Ca 5921/20 Urteilvorgehend Az: 4 Ca 5893/20 Urteilvorgehend Az: 10 Ca 1476/21 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 3 Sa 365/21 Urteil

Tatbestand

1Unter Bezugnahme auf die Leitentscheidung des Senats vom (- 2 AZR 150/22 -) wird entsprechend § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestands abgesehen. Das vorliegende Verfahren betrifft zusätzlich eine vom Kläger gegen die Beklagte zu 1. geltend gemachte Sektorzulage für die Monate November und Dezember 2020.

Gründe

2Die Revisionen der Beklagten zu 1. und der Beklagten zu 2. betreffend die Kündigungsschutzanträge des Klägers sind begründet. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufungen des Klägers die diesbezüglichen erstinstanzlichen Entscheidungen zu Unrecht abgeändert und den Klagen insoweit stattgegeben. Die Kündigungen beider Beklagten sind vielmehr wirksam. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, sie seien mangels Bestimmtheit unwirksam, erweist sich als rechtsfehlerhaft, weshalb das Berufungsurteil insoweit aufzuheben ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer hierauf gestützten Zurückverweisung (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO) bedarf es indes nicht, da der Senat aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen im Zusammenhang mit der Frage eines Betriebsübergangs selbst in der Sache entscheiden kann (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen sind die Revisionen der Beklagten zu 1. und des Klägers unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die erstinstanzliche Entscheidung auf Antrag des Klägers teilweise abgeändert und die Beklagte zu 1. zur Zahlung der Sektorzulage für die Monate November und Dezember 2020 an ihn verurteilt. Auch die Abweisung des auf einen Betriebsübergang abzielenden Feststellungsantrags des Klägers erweist sich als rechtsfehlerfrei.

3I. Die deutschen Gerichte sind international zuständig (vgl.  - Rn. 19 f.).

4II. Auf die Arbeitsverhältnisse des Klägers mit beiden Beklagten fand deutsches Recht Anwendung (vgl.  - Rn. 21 ff.).

5III. Die Kündigung der Beklagten zu 1. vom ist wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des beendet.

61. Die Kündigungserklärung ist entgegen der Ansicht des Klägers und des Berufungsgerichts nicht mangels Bestimmtheit unwirksam (vgl.  - Rn. 25 ff.).

72. Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG. Die Beklagte zu 1. hat ihren Flugbetrieb in Deutschland stillgelegt.

8a) Der betriebliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist eröffnet. Die Beklagte zu 1. hat einen Luftverkehrsbetrieb iSv. § 24 Abs. 2 KSchG im Inland unterhalten, in dem mehr als zehn Arbeitnehmer iSv. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt wurden. Der Begriff des Luftverkehrsbetriebs im Inland ist dabei nicht allein auf den Standort der Beklagten zu 1. in Düsseldorf zu beziehen. Auch deren in Stuttgart stationierte Flugzeuge sind in den Blick zu nehmen. Erst die Gesamtheit dieser Luftfahrzeuge bildete den Luftverkehrsbetrieb der Beklagten zu 1. im Inland (vgl.  - Rn. 32 ff.).

9b) Für die Erfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist es ohne Bedeutung, dass der Kläger mit der Beklagten zu 1. in seinem Arbeitsvertrag vom November 2018 ursprünglich die Geltung österreichischen Rechts vereinbart hatte (vgl.  - Rn. 38).

10c) Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist nicht sozial ungerechtfertigt. Es liegen dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG vor. Die Beklagte zu 1. hat ihren Luftverkehrsbetrieb in Deutschland - auch unter Berücksichtigung der am Flughafen Stuttgart stationierten Flugzeuge - vollständig stillgelegt, wobei die Stilllegung zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hatte (vgl.  - Rn. 39 ff.).

11d) Das Berufungsgericht hat ohne revisiblen Fehler festgestellt, dass kein einer Betriebsstilllegung entgegenstehender (vgl.  - Rn. 91, BAGE 170, 244) Betriebs(teil)übergang von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. vorliegt. Dementsprechend scheidet auch eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB aus (vgl.  - Rn. 45 ff.).

12e) Es bestand keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger auf einem anderen freien Arbeitsplatz (vgl.  - Rn. 54 ff.).

133. Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist nicht wegen einer formal oder inhaltlich fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 KSchG iVm. § 134 BGB nichtig. Dabei kann offenbleiben, ob Verstöße im Anzeigeverfahren nach § 17 Abs. 3 KSchG überhaupt zur Nichtigkeit einer Kündigung führen können (vgl.  - Rn. 58 ff.).

14IV. Die Kündigung der Beklagten zu 2. ist ebenfalls wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des beendet.

151. Die Kündigung der Beklagten zu 2. ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht mangels Bestimmtheit unwirksam (vgl.  - Rn. 74).

162. Sie bedurfte keiner sozialen Rechtfertigung, weil der Kläger noch nicht die Wartezeit von sechs Monaten des § 1 Abs. 1 KSchG absolviert hat (vgl.  - Rn. 76 ff.).

173. Die Kündigung der Beklagten zu 2. erweist sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB oder einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG als unwirksam oder nichtig (vgl.  - Rn. 86).

18V. Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Da er den Antrag auf Feststellung, dass sein mit der Beklagten zu 1. bestehendes Arbeitsverhältnis ab dem mit der Beklagten zu 2. fortbesteht, als sein „vordringliches Klageziel“ bezeichnet hat, war über ihn als Hauptantrag zu entscheiden. Der auf einen Betriebsübergang abzielende Feststellungsantrag ist aber unbegründet, da ein Betriebsübergang von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. nicht erfolgt ist (vgl. oben Rn. 11).

19VI. Die die Sektorzulage betreffende Revision der Beklagten zu 1. ist zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger stehen die ihm vom Landesarbeitsgericht für die Monate November und Dezember 2020 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zuerkannten Ansprüche auf Zahlung iHv. 1.670,30 Euro brutto bzw. 1.621,57 Euro brutto jeweils zzgl. Zinsen zu.

201. Die Rüge der Beklagten zu 1., die Berufung des Klägers betreffend den Zahlungsantrag für den Monat November 2020 sei bereits wegen fehlender ordnungsgemäßer Begründung unzulässig gewesen, geht fehl. Der Kläger hat sich in seiner Berufungsbegründung im Hinblick auf den hilfsweise für den Fall des Fehlens eines Betriebsübergangs gegen die Beklagte zu 1. gerichteten Zahlungsantrag hinreichend mit den tragenden rechtlichen Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils - 10 Ca 1476/21 - auseinandergesetzt, indem er anführt, die Beklagte zu 1. und die Beklagte zu 2. seien notwendige Streitgenossen iSv. § 62 ZPO, was dazu führe, dass vorliegend entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts keine unzulässige außerprozessuale Bedingung vorliege.

212. Die Zahlungsanträge sind zulässig, da es sich hierbei bereits in der Berufungsinstanz um Hauptanträge gehandelt hat. Eine doppelte Rechtshängigkeit iSv. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO liegt nicht vor, da die weiteren Anträge gegen die Beklagte zu 1. nicht mehr streitgegenständlich sind, nachdem der Kläger in der Berufungsinstanz diesbezüglich die Bedingung aufgegeben hat und zu einer unbedingten Antragstellung übergegangen ist. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Voraussetzungen des § 533 ZPO lägen vor, ist im Revisionsverfahren in entsprechender Anwendung des § 268 ZPO nicht mehr zu überprüfen (vgl.  - Rn. 23, BAGE 161, 198).

223. Die Anträge sind auch begründet. Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 611a Abs. 2, § 615 Satz 1 BGB.

23a) Selbst wenn die Beklagte zu 1. den Kläger nicht freigestellt haben sollte, bedurfte es keines wörtlichen Angebots der Arbeitsleistung, da die Beklagte zu 1. ihm mitgeteilt hat, die Basis Düsseldorf werde zum geschlossen und kein Flugbetrieb von Deutschland aus mehr durchgeführt, was auch tatsächlich geschehen ist. Der Kläger wurde ebenfalls aufgefordert, bis Anfang November 2020 dienstliches Material und seine Uniform zurückzugeben. Angesichts dessen wäre ein wörtliches Angebot eine bloße Förmelei gewesen, da offenkundig war, dass die Beklagte zu 1. auf ihrer Weigerung, die geschuldete Leistung anzunehmen, beharren würde (vgl.  - Rn. 16). Für einen Ausschluss von Ansprüchen gemäß § 615 Satz 1 BGB fehlt es an einer eindeutigen und klaren Vereinbarung (vgl.  - Rn. 22, BAGE 130, 331).

24b) Das fortzuzahlende Entgelt ist nach dem Lohnausfallprinzip zu bemessen (vgl.  - zu B I 1 e der Gründe, BAGE 103, 265). Mangelt es bei schwankender Vergütung an Vereinbarungen oder anderen festen Anhaltspunkten für die Frage des mutmaßlich erzielten Entgelts, ist gemäß § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen. Dabei kann die vom Arbeitnehmer bis zum Eintritt des Annahmeverzugs erzielte Vergütung einen Anhaltspunkt liefern (vgl.  - zu II 1 c aa der Gründe). Hinsichtlich der als Schätzung iSv. § 287 Abs. 2 ZPO zu verstehenden Ausführungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Annahmeverzugsanspruchs des Klägers, sind weder revisionsrechtlich erhebliche Fehler zu erkennen noch werden solche von der Beklagten zu 1. aufgezeigt.

25VII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO iVm. den Grundsätzen der sog. Baumbach’schen Kostenformel. Die Kostenentscheidung des Landesarbeitsgerichts kann nach § 308 Abs. 2 ZPO durch den Senat auch ohne entsprechende Anträge der Parteien abgeändert werden (vgl.  - zu VII der Gründe, BAGE 26, 320; MüKoZPO/Musielak 6. Aufl. § 308 Rn. 29).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:141223.U.2AZR369.22.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-59323