Instanzenzug: OLG Dresden Az: 11a U 2136/20vorgehend Az: 7 O 2607/19 (2)
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.
2Der Kläger kaufte am von der Beklagten einen von ihr hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 200 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei einer Außentemperatur von 5° C um jedenfalls etwa drei Prozent gesenkt.
3Der Kläger hat, gestützt auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs, zuletzt die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz aus der Manipulation des Fahrzeugs herrührender Schäden sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Gründe
4Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Der Feststellungsantrag sei zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers, der sich für großen Schadensersatz entschieden habe, ergebe sich daraus, dass nach seinem Vortrag die Schadensentwicklung teilweise noch nicht abgeschlossen sei. In der Sache habe der Kläger jedoch keinen Schadensersatzanspruch. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide aus. Bei den Bestimmungen der EG-FGV handele es sich nicht um auf den Schutz der Fahrzeugkäufer ausgerichtete Vorschriften im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Der Kläger habe auch keinen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Das Verhalten der Beklagten sei nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Selbst wenn es sich bei dem eingesetzten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handeln sollte, arbeite es weder prüfstandsbezogen noch lägen weitere Umstände vor, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen.
II.
7Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Allerdings hat das Berufungsgericht die Klage zu Recht als zulässig angesehen.
9a) Der Feststellungsantrag genügt, was im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. , NJW-RR 2023, 956 Rn. 17 mwN), den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er lässt sich anhand der Klagebegründung dahin auslegen, von der Ersatzpflicht der Beklagten sollten Schäden erfasst sein, die daraus resultieren, dass das Fahrzeug mit den vom Kläger angeführten und als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehenen technischen Einrichtungen ausgestattet sei (vgl. , NJW-RR 2022, 23 Rn. 13; Beschluss vom - VIa ZR 110/21, juris Rn. 17; Urteil vom - VIa ZR 1083/22, juris Rn. 9).
10b) Der Kläger verfügt über das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche, im Revisionsverfahren ebenfalls von Amts wegen zu überprüfende (vgl. , NJW 2018, 227 Rn. 10) Feststellungsinteresse. Nach seinem Vortrag ist die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen, weil künftige Aufwendungen in Form von Transport-, Stand-, An- und Abmeldekosten möglich erscheinen, die im Rahmen des vom Kläger gewählten sogenannten "großen" Schadensersatzes ersatzfähig sein können (vgl. , NJW 2022, 1093 Rn. 15 mwN).
112. Von Rechtsfehlern beeinflusst sind dagegen die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es einen deliktischen Schadensersatzanspruch des Klägers verneint hat.
12a) Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
13b) Die Revision wendet sich jedoch zu Recht dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, stellen die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller schützen, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
14Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung großen Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
15Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
16Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden geltend zu machen und darzulegen. Dabei wird er zu beachten haben, dass bei der Wahl des Differenzschadens die bisherigen Berufungsanträge keinen Erfolg haben können (vgl. VIa ZR 1083/22, juris Rn. 16). Sollte der Kläger einen Leistungsantrag auf Ersatz des Differenzschadens stellen, wird das Berufungsgericht nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160124UVIAZR1382.22.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-59209