Befangenheitsantrag - Beschlussunfähigkeit des Landesarbeitsgerichts - Zuständigkeit des zunächst höheren Gerichts
Gesetze: § 46 Abs 2 ArbGG, § 42 Abs 2 ZPO, § 42 Abs 2 ZPO, § 46 Abs 2 ArbGG, § 45 Abs 3 ZPO
Instanzenzug: Az: 4 Ca 1162/22 Versäumnisurteilvorgehend Az: 5 Ca 10163/23 Versäumnisurteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 7 Sa 210/23 Urteil
Gründe
1I. Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren darüber, ob die Beklagte dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen hat wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts.
2Das Arbeitsgericht hat die auf Zahlung einer Entschädigung iHv. (mindestens) 7.500,00 Euro gerichtete Klage durch Versäumnisurteil vom abgewiesen und den dagegen gerichteten Einspruch des Klägers durch Zweites Versäumnisurteil vom verworfen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers, die dieser damit begründet hat, ein Fall der Säumnis habe im Termin der mündlichen Verhandlung, auf die das Zweite Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts ergangen ist, nicht vorgelegen, durch Urteil vom (- 7 Sa 210/23 -) zurückgewiesen.
3Mit Schriftsatz vom hat der Kläger Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzende der Kammer 7 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, Dr. Schulze-Doll, die ehrenamtliche Richterin Kettler und den ehrenamtlichen Richter Wagner sowie „sämtliche Vertreter ausweislich Ziffer 1.2.1 des Geschäftsverteilungsplans“ gestellt.
4Zur Begründung seiner Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzende der Kammer 7, die ehrenamtliche Richterin Kettler und den ehrenamtlichen Richter Wagner hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, bereits vor der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom seien Absprachen mit anderen Richtern am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erfolgt. Zudem seien dem Landesarbeitsgericht Willkür und eine einseitige Prozessführung zugunsten der gegnerischen Partei anzulasten. Zur mündlichen Verhandlung habe die Kammervorsitzende - nach ihrer Erläuterung zur Vorbeugung einer Eskalation - zwei schwerbewaffnete Justizvollzugsbeamte hinzugezogen, ohne die Parteien hierüber vor der Verhandlung zu unterrichten und ohne dass für die Maßnahme eine Veranlassung bestanden habe. Nachdem der Kläger innerhalb einer gewissen Zeit nicht zu der Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht erschienen gewesen sei, habe die Vorsitzende der Kammer 7 erklärt, dass für den weiteren Verlauf der Verhandlung auf die Anwesenheit der Justizvollzugsbeamten verzichtet werden könne. Außerdem habe die Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, das Zweite Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts habe nicht ergehen dürfen. Es sei nicht feststellbar, „wann die Ladung zugegangen sei“. Ungeachtet dessen habe die Kammer 7 nach Schluss der mündlichen Verhandlung die Berufung des Klägers zurückgewiesen und damit zu seinem Nachteil eine Überraschungsentscheidung getroffen. Von diesen Ablehnungsgründen habe er - der Kläger - erst mit Erhalt des ihm am zugestellten Protokolls über die mündliche Verhandlung vom Kenntnis erlangt.
5Es bestehe gegen sämtliche Richterinnen und Richter am Landesarbeitsgericht die Besorgnis der Befangenheit. Die Kammern verstießen vorsätzlich gegen geltendes Recht. Es sei unter den Richterinnen und Richtern abgesprochen, die Rechtsmittel des Klägers „abzuweisen“. Auf dieser Grundlage habe er bereits in einem anderen vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg geführten Verfahren (- 4 Sa 900/22 -) gegen sämtliche Richterinnen und Richter am Landesarbeitsgericht einen Befangenheitsantrag gestellt.
6In ihrer dienstlichen Stellungnahme vom hat sich die Vorsitzende der Kammer 7 zu den gegen sie vorgebrachten Ablehnungsgründen geäußert. Im unmittelbaren Anschluss hat sie die Vorlage der dienstlichen Stellungnahme mit Akte und Ablehnungsgesuch an das Bundesarbeitsgericht verfügt, ohne dass zuvor dienstliche Stellungnahmen weiterer abgelehnter Richterinnen und Richter eingeholt worden sind.
7II. Die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzenden der Kammern 5, 3, 25, 19 und 11 sind offensichtlich unzulässig. Hinsichtlich der Ablehnungsgesuche gegen die ehrenamtliche Richterin Kettler und den ehrenamtlichen Richter Wagner sowie hinsichtlich der Vorsitzenden der Kammer 7 und der weiteren Vorsitzenden Richterinnen und Richter des Landesarbeitsgerichts sieht der Senat von einer Entscheidung ab. Es liegt im Ermessen des übergeordneten Gerichts, über welche der Ablehnungsgesuche es - unter dem Gesichtspunkt der Sachangemessenheit - entscheidet ( - Rn. 11; - VIII ARZ 2/20 - Rn. 22, BGHZ 226, 350). Eine Entscheidung über sämtliche Ablehnungsgesuche ist nicht erforderlich, um die Entscheidungsfähigkeit des Landesarbeitsgerichts wiederherzustellen. Der Vorsitzende der Kammer 5 ist aufgrund der vorliegenden Entscheidung als nach Nr. 1.2.2 iVm. Nr. 1.2.1 des Geschäftsverteilungsplans des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zuständiger Vorsitzender in der Lage, über die Ablehnungsgesuche gegen die in der Sache zuständige Vorsitzende der Kammer 7 zu entscheiden. Im Fall seiner Verhinderung treten an seine Stelle die weiteren nach Nr. 1.2.2 iVm. Nr. 1.2.1 des Geschäftsverteilungsplans berufenen Vorsitzenden der Kammern 3, 25, 19 und 11.
81. Das Bundesarbeitsgericht ist als das gegenüber dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Rechtszug zunächst höhere Gericht nach § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 45 Abs. 3 ZPO für die Entscheidung über die Ablehnungsgesuche zuständig ( -). Das Landesarbeitsgericht hat die Ablehnungsgesuche vorgelegt, weil dort davon ausgegangen worden ist, dass es beschlussunfähig iSv. § 45 Abs. 3 ZPO geworden ist. Um Verzögerungen der sachlichen Erledigung des Rechtsstreits zu vermeiden, ist die Zuständigkeit des nach § 45 Abs. 3 ZPO im Rechtszug zunächst höheren Gerichts auch dann eröffnet, wenn die abgelehnten Richter zulässigerweise selbst über das Ablehnungsgesuch hätten entscheiden können ( - Rn. 9; - VIII ARZ 2/20 - Rn. 16, BGHZ 226, 350).
92. Die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzenden der Kammern 5, 3, 25, 19 und 11 sind offensichtlich unzulässig.
10a) Enthält ein Ablehnungsgesuch lediglich Ausführungen, die zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet sind, ist es offensichtlich unzulässig. In derartigen Fällen bedarf es keiner dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richterinnen und Richter; diese sind auch von einer Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen ( - Rn. 4). Ein Ablehnungsgesuch, das sich pauschal gegen einen gesamten Spruchkörper oder sogar gegen sämtliche Richter eines Gerichts richtet, ist in der Regel eindeutig unzulässig ( - Rn. 19, BGHZ 226, 350; - XI ZB 13/19 - Rn. 5).
11b) Die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzenden der Kammern 5, 3, 25, 19 und 11 begründet der Kläger pauschal damit, sämtliche Richter des Landesarbeitsgerichts seien befangen. Diese Begründung ist gänzlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Eine Ausnahme von der Regel, dass die pauschale Ablehnung sämtlicher Richterinnen und Richter eines Gerichts regelmäßig offensichtlich unzulässig ist, ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die pauschale Ablehnung aller Vorsitzenden des Gerichts damit begründet, diese hätten sich abgesprochen. Der Kläger begründet seine Behauptung, sämtliche Richterinnen und Richter hätten sich zu seinen Lasten abgesprochen, in keiner Weise nachvollziehbar. Entsprechendes gilt, soweit er seine Behauptung, die Richter verstießen vorsätzlich gegen geltendes Recht, auf die Vorsitzenden der Kammern 5, 3, 25, 19 und 11 bezieht.
12III. Das Landesarbeitsgericht wird nunmehr durch den Vorsitzenden der Kammer 5 als Befangenheitsvertreter der Vorsitzenden der Kammer 7 mit den dafür vorgesehenen ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern über die Befangenheitsanträge vom zu entscheiden haben, soweit sie sich gegen die Vorsitzende der Kammer 7 und die ehrenamtliche Richterin sowie den ehrenamtlichen Richter richten, die am Urteil vom mitgewirkt haben.
13IV. Sollten im Anschluss an den vorliegenden Beschluss des Senats gemäß § 45 Abs. 3 ZPO noch weitere inhaltsgleiche Ablehnungsgesuche des Klägers in Entschädigungsverfahren nach § 15 Abs. 2 AGG - erstmals oder zum wiederholten Male - angebracht werden, wird das Landesarbeitsgericht eine eigene Verwerfung dieser Ablehnungsgesuche als unzulässig in Betracht zu ziehen haben (vgl. - Rn. 30 mwN, BGHZ 226, 350).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:250124.B.8AS19.23.0
Fundstelle(n):
EAAAJ-58797