Instanzenzug: LG Osnabrück Az: 11 T 260/21vorgehend AG Nordhorn Az: 5 AR 2/21
Gründe
1I. Der Betroffene ist afghanischer Staatsangehöriger. Im Oktober 2017 wurde ihm auf seinen Asylantrag in Belgien internationaler Schutz gewährt. Nach unerlaubter Einreise in die Bundesrepublik Deutschland stellte er auch hier einen Asylantrag, der wegen des bereits in Belgien gewährten Schutzes als unzulässig abgelehnt wurde. Im Juli 2020 wurde der Betroffene durch die Zentrale Ausländerbehörde Lebach (Saarland) nach Belgien überstellt und eine Wiedereinreisesperre für das Bundesgebiet bis zum angeordnet. Anlässlich einer Kontrolle der Bundespolizei am Hauptbahnhof in Düsseldorf wurde der Betroffene Anfang August 2020 erneut aufgegriffen und aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Düsseldorf in Sicherungshaft genommen. Am wurde er in Aussetzung des Vollzugs wegen Nichteinhaltung des Beschleunigungsgebots aus der Haft entlassen. Sein anschließender Aufenthalt ist nicht bekannt. Einen auf den anberaumten Termin bei der beteiligten Behörde nahm der Betroffene nicht wahr. Daraufhin wurde er durch rechtskräftige Verfügung der beteiligten Behörde vom unter Androhung der Abschiebung ausgewiesen.
2Vom bis zum verbüßte der Betroffene eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Meppen (Niedersachsen). Am Tag der Haftentlassung wurde er von der Bundespolizei fußläufig auf der Auffahrt zur B402 (Niedersachsen) aufgegriffen und in Gewahrsam genommen.
3Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht Nordhorn für das Amtsgericht Meppen am Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen bis längstens an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Der Betroffene ist am aus der Haft heraus nach Belgien überstellt worden. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt er die Feststellung, durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden zu sein.
4II. Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Feststellung der Rechtsverletzung des Betroffenen durch die angeordnete Haft.
51. Die Haftanordnung des Amtsgerichts und die Entscheidung des Beschwerdegerichts verletzen den Betroffenen schon deshalb in seinen Rechten, weil es nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts an der örtlichen Zuständigkeit der beteiligten Behörde für die Beantragung von Sicherungshaft fehlt. Ob die Rügen der Rechtsbeschwerde durchgreifen, bedarf deshalb keiner Entscheidung.
6a) Die Haft darf gemäß § 417 Abs. 1 FamFG nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde angeordnet werden. Fehlt es an der Zuständigkeit, ist der Haftantrag unzulässig (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 13/11, InfAuslR 2012, 74 Rn. 4; vom - XIII ZB 83/19, InfAuslR 2021, 122 Rn. 20). Das Vorliegen eines zulässigen Antrags ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 194/09, FGPrax 2010, 156 Rn. 11; vom - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511 Rn. 7; vom - V ZB 140/10, juris Rn. 7). Sachlich zuständig ist gemäß § 71 AufenthG die Ausländerbehörde. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus den jeweiligen Landesgesetzen (, juris Rn. 6). Maßgeblich für die Zuständigkeit ist der Zeitpunkt der Haftantragstellung (vgl. , BVerfGK 19, 1 Rn. 29).
7b) Zu diesem Zeitpunkt kann auf Grundlage der Feststellungen des Beschwerdegerichts die örtliche Zuständigkeit der beteiligten Behörde nicht angenommen werden.
8aa) Die beteiligte Behörde hat im Haftantrag angegeben, sie sei gemäß § 71 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden - Ordnungsbehördengesetz - für das Land Nordrhein-Westfalen und § 14 Abs. 3 der Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerwesen Nordrhein-Westfalen (ZustAVO) örtlich zuständige Ausländerbehörde, da der Betroffene im Stadtgebiet Düsseldorf festgenommen worden sei. Dies trifft indes nicht zu, weil die Festnahme des Betroffenen am nach einer in Meppen verbüßten Ersatzfreiheitsstrafe auf der Auffahrt zur B402 in Niedersachsen erfolgt war. Dass der Betroffene in der Vergangenheit - am - am Düsseldorfer Hauptbahnhof aufgegriffen und seinerzeit auf Antrag der beteiligten Behörde in Haft genommen wurde, begründet nicht ihre fortdauernde Zuständigkeit. Zwar folgt aus § 14 Abs. 3 Fall 2 ZustAVO Nordrhein-Westfalen eine Zuständigkeit der Ausländerbehörde, in deren Bezirk sich erstmals die Notwendigkeit für eine ausländerrechtliche Maßnahme ergibt. Diese Zuständigkeitsbestimmung gilt jedoch allein innerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen und damit nur für den Fall, dass dort weitere Maßnahmen erforderlich geworden wären.
9bb) Eine Zuständigkeit des Landes Nordrhein-Westfalen lässt sich allerdings nicht feststellen. Welches Bundesland die Verbandskompetenz hat, bestimmt sich beim Fehlen spezieller koordinierter landesrechtlicher Zuweisungsregelungen zur Verwaltungskompetenz im Wege der entsprechenden Anwendung der zur örtlichen Zuständigkeit getroffenen Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder, die - wie das niedersächsische Verwaltungsverfahrensgesetz in § 1 Abs. 1 - insoweit auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes verweisen oder - wie im Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen - durch gleichlautende Formulierungen mit § 3 VwVfG übereinstimmen (vgl. im Einzelnen , BVerwGE 142, 195 Rn. 18 bis 20).
10Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG ist in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, die Behörde zuständig, in deren Bezirk die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person ist dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (vgl. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I; , NVwZ-RR 1997, 751 [juris Rn. 16]).
11Feststellungen dazu, dass der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt zuletzt in Düsseldorf hatte, hat das Beschwerdegericht nicht getroffen. Auch ein Rückgriff auf die Auffangzuständigkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG, nach der die Behörde zuständig ist, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt, begründet nicht die Zuständigkeit der beteiligten Behörde. Anlass für die konkrete Amtshandlung war das Aufgreifen des ausreisepflichtigen Betroffenen in Niedersachsen. Im Übrigen wären für ein Eingreifen der Auffangzuständigkeit Feststellungen dazu erforderlich gewesen, dass der Betroffene über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland weder derzeit verfügt noch in der Vergangenheit verfügte (vgl. BVerwGE 142, 195 Rn. 21).
12cc) Die örtliche Zuständigkeit folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die beteiligte Behörde gegen den Betroffenen unter dem eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung erließ. Eine Annexkompetenz, die länderübergreifend eine fortdauernde Zuständigkeit der beteiligten Behörde begründen würde, enthält das Aufenthaltsgesetz gerade nicht (vgl. OVG Lüneburg, DVBl 2018, 268 [juris Rn. 25]; zur nachträglichen Befristung vgl. BVerwGE 142, 195 Rn. 15).
13dd) Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 VwVfG liegen gleichfalls nicht vor. Danach kann die bisher zuständige Behörde mit Einverständnis der jetzt zuständigen Behörde das Verfahren fortführen, wenn sich die Zuständigkeit "im Lauf des Verwaltungsverfahrens" ändert. Das von der beteiligten Behörde zuletzt geführte Verwaltungsverfahren war jedoch mit Rechtskraft der Ausweisungsverfügung abgeschlossen. Im Übrigen ist ein Einverständnis der - sofern der Betroffene keinen ständigen Aufenthalt in Deutschland hatte - zuständigen niedersächsischen Ausländerbehörde nicht ersichtlich.
142. Eine Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht zur Nachholung von Feststellungen kommt nicht in Betracht, da die erforderliche Anhörung des Betroffenen (§ 68 Abs. 3, § 420 Abs. 1 FamFG) wegen der erfolgten Überstellung nicht mehr möglich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 39/15, juris Rn. 10; vom - XIII ZB 101/19, InfAuslR 2021, 69 Rn. 31; vom - XIII ZB 80/19, juris Rn. 16). Die Feststellung, dass die beteiligte Behörde zuständig war, weil der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Nordrhein-Westfalen hatte, könnte nur auf Grundlage neuer Tatsachen erfolgen, zu denen dem Betroffenen persönlich Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müsste (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 274/10, InfAuslR 2011, 450 Rn. 29; vom - V ZB 120/10, InfAuslR 2010, 441 f.).
15III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, 430 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:051223BXIIIZB32.21.0
Fundstelle(n):
QAAAJ-58472