Abschiebungshaftsache: Anforderungen an einen zulässigen Haftantrag; Ermittlung hinsichtlich der Unterbringung von Amts wegen
Leitsatz
Ein Haftantrag unterliegt keinem gesetzlichen Schriftformerfordernis gemäß § 14b Abs. 1 FamFG und muss von der beteiligten Behörde nicht als elektronisches Dokument an das Amtsgericht übermittelt werden. Er kann gemäß § 14b Abs. 2 FamFG nach den allgemeinen Vorschriften eingereicht werden.
Gesetze: Art 16 Abs 1 EGRL 115/2008, § 14b Abs 1 FamFG, § 14b Abs 2 S 1 FamFG, § 23 Abs 1 S 1 FamFG, § 23 Abs 1 S 5 FamFG, § 25 Abs 1 FamFG, § 26 FamFG, § 417 Abs 1 FamFG, § 417 Abs 2 S 1 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 FamFG
Instanzenzug: LG Deggendorf Az: 12 T 41/22vorgehend AG Deggendorf Az: 408 XIV 192/22 B
Gründe
1I. Die Betroffene, eine nigerianische Staatsangehörige, reiste 2013 erstmals in das Bundesgebiet ein. Ihren Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit bestandskräftigem Bescheid ab und drohte ihr die Abschiebung nach Nigeria an. Nachdem eine Abschiebung im Juli 2021 gescheitert war, weil die Betroffene in der ihr zugewiesenen Unterkunft nicht angetroffen werden konnte, wurde sie am von der Polizei vorläufig festgenommen.
2Auf den per Telefax übermittelten Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am gegen die Betroffene Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens angeordnet. Mit Beschluss vom hat das Landgericht die dagegen eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde, die nach der am erfolgten Abschiebung auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vollzogenen Abschiebungshaft gerichtet ist, verfolgt die Betroffene ihr Begehren weiter.
3II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
41. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung des Amtsgerichts sei rechtmäßig. Es liege ein zulässiger Haftantrag vor. Die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der beabsichtigten Abschiebung nach Nigeria sowie die erforderliche Haftdauer seien hinreichend dargelegt worden. Soweit die Betroffene ihre Unterbringung in der Justizvollzugshaftanstalt Hof rüge, sei sie nicht dort, sondern vielmehr in der Abschiebehafteinrichtung Hof untergebracht.
52. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Haftantrag der beteiligten Behörde musste zwar nicht als elektronisches Dokument an das Amtsgericht übermittelt werden. Die Betroffene rügt aber zu Recht, dass das Beschwerdegericht in Verletzung der ihm obliegenden Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) keine Feststellungen zu ihrem Vorbringen getroffen hat, sie sei nicht gemäß Art. 16 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückholung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (nachfolgend: RL 2008/115) untergebracht worden.
6a) Der Haftantrag musste von der beteiligten Behörde entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht gemäß § 14b Abs. 1 FamFG als elektronisches Dokument an das Amtsgericht übermittelt werden. Seine Einreichung nach den allgemeinen Vorschriften gemäß § 14b Abs. 2 FamFG reichte aus.
7aa) Gemäß § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG sind bei Gericht schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen durch einen Rechtsanwalt, einen Notar, eine Behörde oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse als elektronisches Dokument zu übermitteln. Wird diese Form nicht eingehalten, ist die Erklärung unwirksam (, MDR 2023, 1133 Rn. 5). Für sämtliche anderen Anträge und Erklärungen, die keinem Schriftformerfordernis unterliegen, ist die elektronische Einreichung nach § 14b Abs. 2 FamFG nur eine Sollvorschrift. Diese Beschränkung der elektronischen Übermittlungspflicht auf schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen beruht auf dem Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom (BGBl. I S. 4607). Damit sollte den Besonderheiten des Familienverfahrensrechts Rechnung getragen werden, in dem der Schriftformzwang die Ausnahme bildet (BGH, MDR 2023, 1133 Rn. 6; Gesetzentwurf vom , BT-Drucks. 19/28399 S. 39 f.).
8bb) Nach diesen Maßgaben ist auch auf den Haftantrag § 14b Abs. 2 Satz 1 FamFG anzuwenden, da dafür kein gesetzliches Schriftformerfordernis besteht. Ein solches folgt weder aus § 417 FamFG, der die Anforderungen an einen zulässigen Haftantrag regelt, noch aus den allgemeinen Verfahrensvorschriften der §§ 23, 25 FamFG.
9(1) Nach § 417 Abs. 1 FamFG darf das Gericht eine Freiheitsentziehung nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. Der Haftantrag ist gemäß § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zu begründen. Nicht vorgeschrieben ist jedoch, dass der Antrag stets schriftlich zu stellen ist. Dies ergibt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch nicht aus den in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG aufgeführten Anforderungen an den Inhalt der Begründung des Haftantrags. Ein generelles Schriftformerfordernis kann hieraus schon deshalb nicht abgeleitet werden, weil sich der Begründungsumfang jeweils nach den Umständen des Einzelfalls richtet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann daher ein Haftantrag nicht nur schriftlich, sondern auch im Anhörungstermin zu Protokoll erklärt oder ergänzt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359 Rn. 17; vom - V ZB 96/10, juris Rn. 13). Dem steht nicht entgegen, dass der Haftantrag dem Betroffenen zur Wahrung rechtlichen Gehörs vor seiner Anhörung in vollständiger Abschrift ausgehändigt werden muss und dies auch für etwaige protokollierte Nachträge gilt (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 274/11, InfAuslR 2013, 77 Rn. 6 f.; vom - XIII ZB 69/19, juris Rn. 14 ff.; vom - XIII ZA 3/23, juris Rn. 13). Soweit sich daraus das Erfordernis einer Schriftlichkeit ergibt, entstammt dies nicht einem gesetzlichen Wirksamkeitserfordernis gemäß § 14b Abs. 1 FamFG, sondern leitet sich aus den nach Art. 103 Abs. 1 GG an das Verfahren zu stellenden Anforderungen ab.
10(2) Auch die allgemeinen Verfahrensvorschriften der §§ 23, 25 FamFG enthalten kein gesetzliches Schriftformerfordernis im Sinn des § 14b Abs. 1 FamFG. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 FamFG soll ein verfahrenseinleitender Antrag begründet und von dem Antragsteller oder seinem Bevollmächtigten unterschrieben werden. Nach § 25 Abs. 1 FamFG können die Beteiligten Anträge und Erklärungen gegenüber dem zuständigen Gericht schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle abgeben, soweit eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht notwendig ist. Werden verfahrenseinleitende Anträge nicht zur Niederschrift der Geschäftsstelle, sondern schriftlich abgegeben, hängt deren Wirksamkeit - anders als nach § 64 Abs. 2 Satz 3 und 4 FamFG bei bestimmenden Schriftsätzen im Beschwerdeverfahren - daher nicht von der Beachtung zwingender Formvorschriften ab, zu denen § 14b Abs. 1 FamFG für eine Behörde hinzutreten könnte (vgl. , MDR 2023, 1133 Rn. 18). Auch die Gesetzesmaterialien gehen davon aus, dass für den Großteil von Anträgen und Erklärungen in Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit kein Schriftformerfordernis besteht und diese deshalb § 14b Abs. 2 FamFG unterfallen (BT-Drucks. 19/28399 S. 40).
11b) Erfolg hat jedoch die von der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge, das Beschwerdegericht habe die ihm gemäß § 26 FamFG obliegende Amtsermittlungspflicht verletzt, weil es nicht aufgeklärt habe, unter welchen Bedingungen die Betroffene festgehalten wurde.
12aa) Der Bevollmächtigte der Betroffenen hatte im Beschwerdeverfahren ihre Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Hof gerügt. Das Gelände der Justizvollzugsanstalt sei von etwa sechs Meter hohen Mauern und Stahlzäunen umschlossen, auf denen Stacheldraht befestigt sei. Auch auf dem Gelände selbst stünden verschlossene Stahlzäune, die unterschiedliche Bereiche voneinander abgrenzten. Alle Fenster seien vergittert, die Gefangenen dürften sich in der Regel nur auf dem eigenen Stockwerk aufhalten und würden ab dem frühen Abend in ihren Haftzellen eingeschlossen. Der Besitz von Smartphones oder Laptops sei ihnen verboten. Ihre Besuche würden überwacht. Die wenigen Besuchszeiten (soweit bekannt 4 mal 60 Minuten) ähnelten denen in Strafhaftanstalten. Eigene Kleidung dürften die Gefangenen nicht tragen. Bei Anhörungen und Besuchen der Betroffenen seien diese vom Gegenüber durch eine Glasscheibe getrennt und könnten sich nur via Wechselsprechanlage verständigen. Der Vollzug der Haft erfolge in entsprechender Anwendung des Strafvollzugsgesetzes.
13bb) Das Beschwerdegericht hat dazu ausgeführt, die Rüge der Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Hof sei schon in der Sache unzutreffend. Die Betroffene sei nicht in der Justizvollzugsanstalt Hof untergebracht, sondern vielmehr in der Abschiebehafteinreichung Hof mit einer anderen Anschrift. Das sei dem Bevollmächtigten der Betroffenen ausweislich der Angaben im Verfahrenskostenhilfeantrag auch bekannt.
14cc) Damit ist das Beschwerdegericht seinen sich aus § 26 FamFG ergebenden Pflichten nicht nachgekommen.
15(1) Nach Art. 16 Abs. 1 RL 2008/115 erfolgt die Inhaftierung von Abschiebehäftlingen grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union steht dem Vorliegen einer speziellen Hafteinrichtung nicht entgegen, dass eine Einrichtung administrativ an eine Justizvollzugsanstalt angebunden ist. Die Zwangsmaßnahme muss sich aber auf das beschränken, was für die wirksame Vorbereitung einer Abschiebung unbedingt erforderlich ist. Mit den in einer Abschiebehafteinrichtung geltenden Haftbedingungen muss soweit wie möglich verhindert werden, dass die Unterbringung des Drittstaatsangehörigen einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkommt, wie sie für eine Strafhaft kennzeichnend ist. Besondere Aufmerksamkeit hat das Gericht dabei der Ausstattung der speziell zur Inhaftierung von Drittstaatsangehörigen bestimmten Räumlichkeiten, den Regelungen über deren Haftbedingungen sowie der besonderen Qualifikation und den Aufgaben des Personals, das für die Einrichtung zuständig ist, zu widmen (, juris Rn. 45 ff., 50, 54 ff.). Ist absehbar, dass der Betroffene rechtswidrig untergebracht werden wird oder untergebracht ist, muss der Haftrichter im Hinblick auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts der Union (effet utile) die Anordnung von Haft ablehnen (, InfAuslR 2015, 23 Rn. 4).
16(2) Bei verständiger Würdigung des Vortrags in der Beschwerde hat ihr Verfahrensbevollmächtigter vorliegend eine rechtswidrige Unterbringung der Betroffenen in der Abschiebehaft konkret behauptet. Jedenfalls die vorgetragenen Einschränkungen beim Besuch und das behauptete generelle Verbot des Tragens eigener Kleidung gehen über das nach den obigen Maßgaben unbedingt Erforderliche hinaus. Das Beschwerdegericht durfte diesen Vortrag nicht - jedenfalls nicht ohne Hinweis auf das Erfordernis weiteren Vortrags gemäß § 28 FamFG - damit übergehen, dass sich die Betroffene nicht in der Justizvollzugsanstalt, sondern in der Abschiebehafteinrichtung befinde. Auch in der Gerichtsakte - etwa in der richterlichen Verfügung vom und in der Kurzmitteilung der Polizeiinspektion D vom - wird angegeben, dass sich die Betroffene in der Justizvollzugsanstalt befinde. Diese Bezeichnung auch der Abschiebehafteinrichtung liegt nahe, weil es sich ausweislich eines in der Ausländerakte befindlichen Schreibens der Abschiebehafteinrichtung Hof vom um eine Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Hof handelt. Das Beschwerdegericht hätte daher - etwa durch Einholung einer dienstlichen Auskunft der Abschiebehafteinrichtung Hof - Feststellungen zu den dortigen Haftbedingungen treffen müssen. Sodann hätte es prüfen müssen, ob die gemäß Art. 16 Abs. 1 RL 2008/115 in Verbindung mit den - richtlinienkonform auszulegenden - Vorschriften des § 62a AufenthG in der zum damaligen Zeitpunkt maßgeblichen Fassung und Art. 2a AGAufenthG bestehenden Anforderungen an die Haftbedingungen erfüllt sind. Das ist nicht geschehen.
173. Eine Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht zur Nachholung der Feststellungen kommt nicht in Betracht, da eine nach § 68 Abs. 3, § 420 Abs. 1 FamFG erforderliche Anhörung der Betroffenen wegen der erfolgten Abschiebung nicht mehr möglich ist (vgl. , juris Rn. 16 mwN). Feststellungen zu den Haftbedingungen könnten nur auf Grundlage neuer Tatsachen erfolgen; zu etwaigen neuen Erkenntnissen müsste die Betroffene Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
184. Danach kommt es auf die weiteren Rügen der Rechtsbeschwerde nicht mehr an.
195. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:051223BXIIIZB45.22.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-58448