BGH Beschluss v. - XIII ZB 23/21

Instanzenzug: LG Duisburg Az: 11 T 49/21vorgehend AG Mülheim Az: 32 XIV(B) 21/21

Gründe

1Der Betroffene, ein guineischer Staatsangehöriger, reiste 2015 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit seit dem bestandskräftigem Bescheid wurde sein Asylantrag unter Androhung der Abschiebung abgelehnt. Seit dem wurden dem Betroffenen wegen fehlender Heimreisedokumente Duldungen ausgestellt. Anlässlich einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde zur Duldungsverlängerung wurde der Betroffene am festgenommen.

2Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am selben Tag Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum angeordnet. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das zurückgewiesen. Am ist der Betroffene aus der Haft entlassen worden. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt er die Feststellung, dass er durch den und den in seinen Rechten verletzt worden ist.

3I. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

41. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, es liege ein formell ordnungsgemäßer Haftantrag der zuständigen Verwaltungsbehörde vor. Der Antrag sei auch begründet. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Es bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr. Der Fluchtgefahr stehe nicht entgegen, dass der Betroffene von sich aus zur Verlängerung der Duldung bei der Ausländerbehörde vorgesprochen habe. Die beteiligte Behörde habe auch hinreichend dargelegt, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer beschränkt worden sei. Die Passersatzbeschaffung sei im Anschluss an eine Anhörung vor einer guineischen Expertendelegation innerhalb eines Monats durchführbar. Der Betroffene sei für einen Rückflug am vorgesehen. Die Sicherungshaft sei auch verhältnismäßig. Die Verfahrensrechte des Betroffenen seien gewahrt worden.

52. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht versäumt hat, Feststellungen dazu zu treffen, ob das Amtsgericht die Ausländerakte des Betroffenen beigezogen hat.

6a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts belastet die Nichtbeiziehung der Ausländerakte - jedenfalls ohne jegliche Begründung - die gleichwohl angeordnete Abschiebungshaft mit dem Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung, der durch die Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist und hinsichtlich dessen es sich verbietet zu untersuchen, ob die Haftanordnung auf der Nichtbeiziehung der Ausländerakte beruht (, NVwZ-RR 2020, 801 Rn. 54 f.). Bei der Frage, ob ein solcher Makel vorliegt, kommt es im Hinblick auf den Zweck der Aktenvorlage, nämlich eine für die Anordnung der Sicherungshaft tragfähige Grundlage zu ermitteln, auf die Umstände des Einzelfalls an (, juris Rn. 6).

7b) Es ist nicht ersichtlich, dass das Amtsgericht die Ausländerakte beigezogen hat oder sie von der beteiligten Behörde zum Anhörungstermin mitgebracht wurde (vgl. dazu: , juris Rn. 11). Eine förmliche Beiziehung ist der Akte nicht zu entnehmen. Das Anhörungsprotokoll enthält keine Hinweise auf eine Vorlage durch die Behördenvertreterin. Es ist auch nicht ersichtlich, ob das Amtsgericht auf andere Weise Kenntnis von den maßgeblichen Dokumenten erlangt hat, die für die Anordnung der Abschiebungshaft erforderlich sind. Damit lässt sich nicht ausschließen, dass das Amtsgericht die Haftanordnung ohne tragfähige Tatsachengrundlage erlassen hat. Es hat zwar in seinem Beschluss auf den Seiten 2 bis 4 mehrfach Fundstellen aus der Ausländerakte zitiert; diese Angaben können jedoch darauf beruhen, dass es insoweit den Inhalt des Haftantrags lediglich wortwörtlich übernommen hat. Das Amtsgericht hat auch nicht begründet, warum es gegebenenfalls von der Beiziehung der Ausländerakte ausnahmsweise abgesehen hat.

8c) Der mögliche Verfahrensmangel wurde nicht - auch nicht mit Wirkung ex nunc - geheilt. Zwar hat das Landgericht die Ausländerakte beigezogen und bei seiner Entscheidung vom berücksichtigt. Es hat jedoch von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abgesehen.

9II. Danach ist der Beschluss des Beschwerdegerichts aufzuheben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, das den Sachverhalt gemäß § 26 FamFG aufzuklären haben wird. Dies kann etwa durch Einholung dienstlicher Stellungnahmen des Amtsrichters und des vorführenden Beamten über die Vorlage der Akte erfolgen. Dazu wird darauf hingewiesen, dass das Vorliegen der Akte bei der Anhörung auch noch nach Abschluss der Instanz dokumentiert werden kann (, Rn. 10, juris mwN). Sollte sich das Beschwerdegericht - was seiner tatrichterlichen Würdigung unterliegt - allerdings nicht von der Vorlage der Akte oder jedenfalls derjenigen Bestandteile, aus denen sich die Ausreisepflicht des Betroffenen und die Voraussetzungen der Abschiebung gemäß §§ 58 ff. AufenthG ergeben, überzeugen können, wird es die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen haben.

10III. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:051223BXIIIZB23.21.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-57900