BGH Beschluss v. - 3 ZB 7/21

Verlängerung elektronischer Aufenthaltsüberwachung

Gesetze: § 31a Abs 1 Nr 2 SOG HE, § 31a Abs 3 S 4 SOG HE, § 31a Abs 3 S 5 SOG HE, § 31a Abs 3 S 8 SOG HE, § 76 Abs 1 FamFG, § 114 Abs 1 S 1 ZPO, § 117 Abs 1 S 2 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 20 W 248/21vorgehend AG Wiesbaden Az: 7100 II 492/21

Gründe

1Die Betroffene erhebt eine Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem es ihre Beschwerde gegen die Verlängerung ihrer elektronischen Aufenthaltsüberwachung gemäß § 31a Abs. 1 und 2 Satz 3 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) durch das Amtsgericht Wiesbaden vom zurückgewiesen hat. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Gleichwohl ist der Betroffenen Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.

I.

2Die in Deutschland aufgewachsene Betroffene reiste 2014 als 16-Jährige nach Syrien aus, wo sie sich in die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) eingliederte. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland im November 2019 wurde sie deshalb zu einer zweijährigen Jugendstrafe unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die elektronische Fußfessel wurde ihr erstmals im Februar 2021 bei der Entlassung aus der Untersuchungshaft angelegt. Im März 2021 und im August 2021 ordnete das Amtsgericht ihre elektronische Aufenthaltsüberwachung für einen Zeitraum von je drei Monaten an. Dagegen hat die Betroffene jeweils erfolglos Beschwerden und Rechtsbeschwerden eingelegt. Wegen der Einzelheiten des vorstehenden Sachverhalts wird auf die Beschlüsse des Senats vom (3 ZB 3/21, NStZ-RR 2022, 187, 188) und vom (3 ZB 5/21, juris Rn. 2 ff.) verwiesen.

3Nunmehr hat das Oberlandesgericht am die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom zurückgewiesen, mit dem jenes die elektronische Aufenthaltsüberwachung ein weiteres Mal um drei Monate verlängert hatte. Durch ihren beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt hat die Betroffene am auch hiergegen Rechtsbeschwerde eingelegt.

II.

41. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (vgl. , NStZ-RR 2022, 187, 188 mwN).

52. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg. Denn die Anordnung der Verlängerung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung um weitere drei Monate begegnet erneut keinen rechtlichen Bedenken (zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab s. § 72 Abs. 1 Satz 2, § 74 Abs. 2 und 3 Satz 3 FamFG).

6a) Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich. Entgegen den Ausführungen der Betroffenen haben die Tatgerichte der Pflicht zur Amtsaufklärung nach §§ 26, 34 Abs. 1 FamFG auch ohne ihre mündliche Anhörung hinreichend Genüge getan. Das Oberlandesgericht hatte sie bereits in einem Termin am persönlich befragt. Angesichts des kurzen Zeitraums, der seither vergangen war, hat es sein Ermessen fehlerfrei dahin ausgeübt, dass das im Beschwerdeverfahren gewährte schriftliche Gehör für die anwaltlich vertretene Betroffene ausreiche.

7Auch keinen Bedenken begegnet, dass die Tatgerichte keine Stellungnahmen aus dem Umfeld der Betroffenen eingeholt haben. Denn sie besuchte erst seit kurzem eine Schule, unterlag noch nicht lange der Bewährungsaufsicht und stand erst in den Anfängen eines Deradikalisierungsprogramms.

8b) Materiellrechtlich ist die angefochtene Anordnung ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Maßnahme ist erneut auf § 31a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 5 HSOG gestützt. Amts- und Oberlandesgericht haben im Verhalten der Beschwerdeführerin noch immer ausreichende konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür ausgemacht, dass sich in ihrer Person innerhalb eines vorhersehbaren Zeitraums eine terroristische Gefahr aktualisieren kann.

9Zur Rechtsgrundlage des § 31a HSOG, der Verfassungsgemäßheit der Vorschrift, der grundsätzlichen Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen sowie deren Würdigung, dem damit einhergehenden Spielraum des Tatgerichts bei der individuellen Beurteilung des Falls, zur Auslegung der in § 31a HSOG verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe sowie zu den mithin auch hier anzulegenden Maßstäben hat der Senat im Beschluss vom (3 ZB 3/21, NStZ-RR 2022, 187, 189) Näheres ausgeführt. Dies gilt weiterhin.

10Die jetzt zur Beurteilung stehende Verlängerung haben die Tatgerichte auf seit den letzten Beschlüssen nahezu unveränderter Tatsachengrundlage getroffen. Das Oberlandesgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass sich auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevortrags an der Sachlage nichts Wesentliches geändert habe. Vor diesem Hintergrund hat es sich in seiner Abwägung auf die von ihm bereits einige Wochen zuvor angestellten Überlegungen bezogen. Es hat die langjährige Mitgliedschaft der Betroffenen im IS ins Verhältnis zu der seit ihrer Haftentlassung vergangenen Zeit gesetzt und unter anderem die Dauer von mindestens einem Jahr bedacht, auf die das als Bewährungsauflage angeordnete Deradikalisierungsprogramm angelegt ist. Außerdem hat das Oberlandesgericht erwogen, dass aus dem bisher erst relativ kurzen Schulbesuch im Hinblick auf eine nachhaltige Verhaltensänderung der Betroffenen noch keine belastbaren Schlüsse gezogen werden können. Nach allem ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass die Anordnungsvoraussetzungen des § 31a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 4 HSOG weiterhin vorlagen. Es hat die Maßnahme schließlich als noch immer verhältnismäßig angesehen. Ermessensfehler sind ihm dabei nicht unterlaufen.

III.

11Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 84 FamFG. Eine Kostenentscheidung zugunsten der an dem Verfahren beteiligten Behörde unterbleibt, weil ihr über den bloßen Verwaltungsaufwand hinaus keine besonderen Kosten erwachsen sind (vgl. Keidel/Weber, FamFG, 20. Aufl., § 80 Rn. 17).

12Die Festsetzung des Gegenstandswerts des Verfahrens in der Rechtsbeschwerdeinstanz folgt aus § 36 Abs. 2 und 3, § 61 Abs. 1 Satz 1 GNotKG.

IV.

13Der Betroffenen ist auf ihren Antrag für die Rechtsbeschwerdeinstanz unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts erneut Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.

141. Nach § 31a Abs. 3 Satz 8 HSOG gelten für das Verfahren bei der Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung die Vorschriften des FamFG entsprechend. § 76 Abs. 1 FamFG verweist für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe auf die Normen der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe. Danach kann Verfahrenskostenhilfe nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine positive Erfolgsprognose ist zu stellen, wenn bei summarischer Prüfung eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit für die begehrte Rechtsfolge spricht. Dabei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden; es reicht aus, wenn das Gericht nach einer summarischen Prüfung den Rechtsstandpunkt des Antragstellers für vertretbar hält. Das gilt namentlich dann, wenn in der Hauptsache schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden sind (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 190/12, NJW 2013, 1310; vom - StB 29/18, juris Rn. 25 mwN).

15Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erfolgsaussicht ist nicht der Zeitpunkt der Entscheidung, sondern derjenige der „Entscheidungsreife“. Zur Entscheidung reif ist ein VKH-Begehren, wenn die Partei es schlüssig begründet, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und der Gegner Gelegenheit gehabt hat, sich innerhalb angemessener Frist zu äußern (BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 391/10, NJW 2012, 1964, 1966 mwN; vom - XII ZB 232/13, juris Rn. 7; Brandenburgisches , juris Rn. 5; Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 127 Rn. 9 mwN; vgl. auch IVb ZB 925/80, MDR 1982, 564, 565; , NJW 2020, 944 Rn. 8 ff.).

162. Diese Voraussetzungen haben vorgelegen. Entscheidungsreif war der VKH-Antrag bereits vor dem und damit zu einem Zeitpunkt, in dem eine höchstrichterliche Klärung über die Voraussetzungen einer elektronischen Überwachung gemäß § 31a HSOG noch ausstand und der Ausgang des Rechtsbeschwerdeverfahrens deshalb im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO offen war. Das ergibt sich aus Folgendem:

17Die Betroffene hat ihr Verfahrenskostenhilfegesuch am gestellt und eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt. Die Erfolgsaussicht ihres Rechtsmittels hat sie pauschal mit den bislang ungeklärten Rechtsfragen zur Anwendung und Auslegung von § 31a HSOG begründet, ohne auf den vorliegenden Einzelfall einzugehen. Der Antrag ist dem Verfahrensgegner am übersandt worden (§ 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

18Nach § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der Antragsteller grundsätzlich das Streitverhältnis sachlich darzustellen, damit die Erfolgsaussicht seiner Rechtsverfolgung beurteilt werden kann. Derlei Ausführungen finden sich erst in der am eingereichten Begründung der Rechtsbeschwerde. Inhaltliche Angaben zum Streitstand sind aber dann entbehrlich, wenn sie sich aus vorhandenen Akten ergeben. In der Rechtsmittelinstanz ist das regelmäßig der Fall; hier ist das Streitverhältnis aus den Feststellungen der Vorinstanz bekannt, die für die Erfolgsaussicht relevanten Informationen liegen dem Prozessgericht vor. Der bedürftige Rechtsmittelführer kann sich deshalb darauf beschränken, den VKH-Antrag unter Beifügung der nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlichen Erklärung beim Prozessgericht einzureichen. Eine sachliche Begründung seines Gesuchs in Bezug auf das eingelegte oder beabsichtigte Rechtsmittel ist von Gesetzes wegen nicht geboten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 193/00, NJW-RR 2001, 1146, 1147; vom - VIII ZB 22/18, NJW-RR 2018, 1271 Rn. 8; Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 117 Rn. 6 ff. mwN).

19Die Landesjustiz hat die Verfahrensakten zwar vorliegend erst Anfang März 2022 an den Bundesgerichtshof übersandt. Der Sach- und Streitstand war jedoch aus dem angefochtenen Beschluss des Oberlandesgerichts sowie den Verfahren 3 ZB 3/21 und 5/21 hinreichend bekannt. Einer zusätzlichen Darstellung oder Erläuterung des Begehrens der Antragstellerin bedurfte es zur Beurteilung der Erfolgsaussicht ihres Rechtsmittels nicht. Damit war die Bewilligungsreife jedenfalls vor dem gegeben. Dass der Senat über das Gesuch erst jetzt entscheidet, darf der Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:191223B3ZB7.21.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-57789