Haftung des Fahrzeugherstellers in einem sog. Dieselfall: Fassung des Zahlungstitels im Falle des Abzugs von Nutzungsvorteilen
Leitsatz
Zur Fassung eines Zahlungstitels im Falle des Abzugs von Nutzungsvorteilen in einem sogenannten Dieselfall.
Gesetze: § 322 Abs 1 ZPO, § 823 Abs 2 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007
Instanzenzug: Az: I-21 U 56/22vorgehend Az: 11 O 384/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Der Kläger kaufte am für 28.755 € einen von der Beklagten hergestellten, neuen VW Caddy 2.0l TDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Die Emissionskontrolle erfolgt durch Abgasrückführung und unter Verwendung eines SCR-Katalysators. Außerdem verfügt das Fahrzeug über eine Fahrkurvenerkennung. Ein seitens des Kraftfahrt-Bundesamts veranlasster Rückruf ist trotz Prüfungen von Fahrzeugen, die mit Motoren der genannten Baureihe ausgestattet sind, nicht erfolgt.
3Der Kläger hat gestützt unter anderem auf die Verwendung eines Thermofensters beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer nach einer im Antrag wiedergegebenen Formel zu berechnenden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs zu verurteilen. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs und der Schadensersatzpflicht der Beklagten beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Gründe
4Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Dem Kläger stehe kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu, denn er habe die nach § 826 BGB erforderliche sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nicht hinreichend dargetan. In Bezug auf die unstreitig verwendete Fahrkurvenerkennung stehe dem entgegen, dass die Beklagte dem Kraftfahrt-Bundesamt nichts vorgespiegelt habe. Hinzu komme, dass mit Rücksicht auf die Offenlegung der Fahrkurvenerkennung im Verfahren der EG-Typgenehmigung auch keine Betriebsbeschränkung drohe. Ferner lägen die subjektiven Voraussetzungen der §§ 826, 31 BGB nicht vor. Soweit der Kläger eine Umschaltung des Modus für die AdBlue-Einspritzung bei Fahrkurvenerkennung behauptet habe, sei das "ins Blaue hinein" geschehen. Das behauptete Thermofenster könne eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nicht begründen. Ebenso wenig sei die dargelegte Manipulation des On-Board-Diagnosesystems geeignet, den geltend gemachten Anspruch zu begründen. Darin liege schon keine Abschalteinrichtung. Schließlich sei auch ein Schaden des Klägers nicht bewiesen.
7Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestünden nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht.
II.
8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
91. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Soweit die Revision einwendet, das Berufungsgericht habe Prozessstoff nicht ausgeschöpft, indem es Vortrag zu einer Fahrkurvenerkennung und der AdBlue-Dosierungsstrategie unter dem Aspekt einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung des Klägers für unzureichend erachtet habe, weist die Revisionserwiderung zu Recht darauf hin, dass das Berufungsgericht die Grenzwertkausalität der Einrichtungen verneint und auf eine wiederholte Prüfung durch das Kraftfahrt-Bundesamt hingewiesen hat. Damit kann die Verfahrensrüge der Revision nicht durchgreifen. Im Fall der fehlenden Grenzwertkausalität bestehen keine Anhaltspunkte für eine Täuschung der Genehmigungsbehörde mit dem Ziel, die EG-Typgenehmigung zu erhalten (vgl. , juris Rn. 17; Urteil vom - VIa ZR 535/21, zVb). Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, § 564 Satz 1 ZPO.
102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12Der Zurückweisungsbeschluss ist daher aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
13Sollte das Berufungsgericht einen deliktischen Anspruch bejahen, wird es - anders als der Kläger in seinem Antrag - in eine Entscheidungsformel nicht eine Berechnungsformel aufnehmen, sondern im wiedereröffneten Berufungsverfahren erlangte Vorteile beziffern und in Abzug bringen. Ein Zahlungstitel ist nur dann bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn er den Anspruch des Gläubigers ausweist und Inhalt und Umfang der Leistungspflicht bezeichnet. Der zu vollstreckende Zahlungsanspruch muss betragsmäßig festgelegt sein oder sich zumindest ohne weiteres aus dem Titel errechnen lassen (vgl. , BGHZ 22, 54, 57 f.; Beschluss vom - V ZB 20/82, BGHZ 88, 62, 65). Zwar genügt es für eine Bestimmbarkeit, wenn die Berechnung des Zahlungsanspruchs mit Hilfe offenkundiger, insbesondere aus dem Bundesgesetzblatt oder dem Grundbuch ersichtlicher Umstände möglich ist (, NJW 1995, 1162; Beschluss vom - IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 18). Es reicht indessen nicht, wenn in der Entscheidungsformel für die Berechnung der Zahlungshöhe auf Umstände - etwa die für die Berechnung des Abzugs von Nutzungsvorteilen "gefahrene[n] Kilometer" - Bezug genommen wird, die nicht Bestandteil des Titels sind und nur anhand einer Inaugenscheinnahme des Tachometers ermittelt werden können (vgl. , NJW 2008, 153 Rn. 22).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:271123UVIAZR1062.22.0
Fundstelle(n):
WM 2024 S. 277 Nr. 6
HAAAJ-57759