BGH Beschluss v. - XIII ZB 58/22

Instanzenzug: LG Wuppertal Az: 9 T 103/22vorgehend AG Wuppertal Az: 802 XIV (B) 6/22

Gründe

1I. Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, stellte 2016 einen Asylantrag, der durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Das Bundesamt drohte ihm die Abschiebung an. Der Betroffene reiste nachfolgend nicht aus, sondern war unbekannten Aufenthalts. Am wurde er festgenommen. Das Amtsgericht ordnete mit Beschluss vom Abschiebungshaft bis zum an. Mit Schreiben vom zeigte der Rechtsbeschwerdeführer an, dass er Person des Vertrauens (nachfolgend: Vertrauensperson) des Betroffenen sei, stellte einen Haftaufhebungsantrag und beantragte die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft ab dessen Eingang. Das die Vertrauensperson als Bevollmächtigten gemäß § 10 Abs. 3 FamFG, den Haftaufhebungs- und den Feststellungsantrag zurückgewiesen. Nachdem der Betroffene am abgeschoben worden war, hat das Landgericht die gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom eingelegte Beschwerde der Vertrauensperson als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Vertrauensperson mit der Rechtsbeschwerde, soweit das Beschwerdegericht über den Feststellungsantrag im Haftaufhebungsverfahren entschieden hat.

2II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

31. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, soweit sich die Vertrauensperson dagegen wende, dass das Amtsgericht ihren Antrag, sie als Bevollmächtigte gemäß § 10 FamFG zuzulassen, zurückgewiesen habe, sei die Beschwerde unzulässig, weil gegen die Entscheidung gemäß § 10 Abs. 3 FamFG kein Rechtsmittel gegeben sei. Im Übrigen - in Bezug auf die Zurückweisung des Haftaufhebungs- und des Feststellungsantrags - sei die Vertrauensperson nicht beschwerdebefugt. Das Recht der Beschwerde stehe nur einer vom Betroffenen benannten Vertrauensperson zu, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sei. Das sei hier nicht der Fall.

42. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

5a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist in Freiheitsentziehungsverfahren grundsätzlich derjenige Vertrauensperson, um dessen Beteiligung der Betroffene bittet. Weitergehende Voraussetzungen, wie etwa ein Näheverhältnis oder wenigstens eine nachvollziehbar dargelegte persönliche Beziehung zum Betroffenen und ein daraus folgendes ideelles Interesse der Person am Ausgang des Verfahrens, sind nicht erforderlich (BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 10; vom - XIII ZB 132/19, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 9/20, FamRZ 2023, 1655 Rn. 14). Entscheidend für die Stellung als Vertrauensperson ist allein, wem der Festzuhaltende Vertrauen entgegenbringt (, FamRZ 2023, 1655 Rn. 14). Es genügt daher, wenn der Betroffene in einer Vollmacht die Person nicht nur mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben bevollmächtigt, sondern sie ausdrücklich auch als Vertrauensperson benannt hat, die über seine Inhaftierung und deren Fortbestand nach Art. 104 Abs. 4 GG, § 432 FamFG unterrichtet und an dem Verfahren beteiligt werden soll (, juris Rn. 7). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

6b) Der Rechtsbeschwerdeführer ist auch beschwerdebefugt. Er wendet sich als Vertrauensperson - nachdem sich der Haftaufhebungsantrag durch die Abschiebung erledigt hat - mit der Beschwerde (allein) noch gegen die Zurückweisung seines zugunsten des Betroffenen gestellten Feststellungsantrags. Haftaufhebungs- und Feststellungsantrag konnte er aufgrund seiner Benennung als Vertrauensperson (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 87/20, juris Rn. 6 f.; vom - XIII ZB 9/20, FamRZ 2023, 1655 Rn. 14; XIII ZB 27/20, juris Rn. 14 f.) im eigenen Namen (vgl. , InfAuslR 2020, 387 Rn. 13) stellen. Eine Beteiligung im vorangegangenen Haftanordnungsverfahren war dazu nicht erforderlich. Aufgrund der mit der Zurückweisung seines Antrags verbundenen formellen Beschwer des Rechtsbeschwerdeführers ergibt sich seine Beschwerdebefugnis im Streitfall unmittelbar aus § 59 Abs. 1 FamFG, nicht aus § 429 FamFG (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 30/20, juris Rn. 13; vom - XIII ZB 93/20, juris Rn. 7 f).

73. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da sich die Rechtmäßigkeit der gegen den Betroffenen angeordneten Abschiebungshaft auf Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen nicht beurteilen lässt. Insbesondere war entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde der Haftantrag nicht wegen unzureichender Angaben zur Haftdauer unzulässig.

8a) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 116/19, juris Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; vom - XIII ZB 116/19, juris Rn. 7 mwN; vom - XIII ZB 40/20, juris Rn. 7).

9b) Nach diesen Maßgaben reichen die im Haftantrag vom enthaltenen Angaben aus (vgl. , juris Rn. 6 bis 10).

10aa) Die Behörde führt zur Haftdauer unter Vorlage von drei Gesprächsvermerken mit Mitarbeitern der jeweils zuständigen Zentralstellen vom 1. und aus, die Abschiebung solle nach Algerien erfolgen. Nach Rücksprache mit der Zentralen Ausländerbehörde K.   gelte der Betroffene aufgrund des 2018 eingeleiteten PEP-Verfahrens als identifiziert. Der Betroffene sei auf der Positivliste von Mai 2019 als identifizierter algerischer Staatsangehöriger bestätigt. Die Ausstellung eines Passersatzpapiers könne somit nach Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde K.   vom , wonach die algerischen Behörden dafür eine Vorlaufzeit von sechs Wochen benötigten, innerhalb von sechs Wochen erfolgen. Bei der Zentralstelle des Landes NRW für Flugabschiebungen (ZFA) könne ein Flug mit Sicherheitsbegleitung nach Algerien gebucht werden. Diese seien nur mit Air Algerie durchführbar. Aufgrund einer Schließung des algerischen Luftraums für Rückführungen in der Vergangenheit sei ein Rückstau bei Flugbuchungen entstanden. Zurzeit stünden - bundesweit - pro Flug nur fünf Plätze für begleitete Rückführungen zur Verfügung, so dass entsprechende Flugverbindungen bereits bis Mitte Mai ausgebucht seien. Daher könne aktuell ein Flugtermin erst für die 21. Kalenderwoche zugesichert werden, eine Beschleunigung dieses Verfahrens sei auch bei Haftfällen nicht möglich. Ein Tausch von gebuchten Personen, welche auf freiem Fuß seien, mit inhaftierten Personen sei auf ausdrückliche Anweisung der algerischen Behörden, welche die Sicherheitsbegleitung in Algerien organisierten, nicht möglich. Die Buchung eines unbegleiteten Flugs sei nicht angezeigt, da sich der Betroffene bereits in der Vergangenheit einer Luftabschiebung durch passiven Widerstand widersetzt habe.

11bb) Diese auf den konkreten Fall bezogenen Angaben lassen ohne weiteres erkennen, aus welchen Gründen die beantragte Haftdauer erforderlich ist und legen die objektiv bestehenden Flugmöglichkeiten nachprüfbar dar. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde waren weitere Konkretisierungen, etwa wie viele Flüge für wie viele abzuschiebende Personen zur Verfügung standen, nicht erforderlich.

12c) Die Sache war daher gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:051223BXIIIZB58.22.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-57558