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BGH Urteil v. - VIa ZR 323/22

Instanzenzug: Az: 5 U 1860/21vorgehend LG Regensburg Az: 71 O 312/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im März 2019 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes Benz GLC 220 d 4MATIC zu einem Kaufpreis von 41.440 €. Das Fahrzeug ist mit einem Motor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet.

3Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises in Höhe von 41.440 € nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 315,37 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen begehrt.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Berufungsantrag mit Ausnahme der auf den Freistellungsbetrag begehrten Zinsen weiter.

Gründe

5Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

7Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB seien nicht gegeben. Hinsichtlich des Thermofensters fehlte es - selbst wenn die Funktionsweise als unzulässige Abschalteinrichtung zu bewerten wäre - an einem vorsätzlichen Vorgehen der Beklagten. Gleiches gelte - sollte sie überhaupt vorhanden sein - für die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 4, 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 kämen nicht Betracht, weil es sich bei den unionsrechtlichen Bestimmungen nicht um Schutzgesetze handele.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des die Berufung zurückweisenden Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:201123UVIAZR323.22.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-57338