Vergütung für Betreuertätigkeit bei Absolvierung eines Weiterbildungsstudiengangs ohne betreuungsrelevante Zielrichtung
Leitsatz
Die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse kann auch dann noch zum Kernbereich einer Ausbildung gezählt werden, wenn die Ausbildung selbst schwerpunktmäßig eine andere Zielrichtung hatte (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 118/20, FamRZ 2021, 890).
Gesetze: § 4 Abs 3 Nr 1 VBVG vom , § 4 Abs 3 Nr 2 VBVG vom
Instanzenzug: Az: 6 T 415/21vorgehend Az: 531 XVII 1037/19
Gründe
I.
1Die Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Betreuerin) wurde im Oktober 2019 zur Betreuerin der Betroffenen mit umfassendem Aufgabenkreis bestellt. Seit dem führt sie die Betreuung berufsmäßig. Sie verfügt über einen Abschluss als „Geprüfte Wirtschaftsfachwirtin (IHK)“ der Industrie- und Handelskammer Dresden. Im Rahmen dieser Ausbildung absolvierte sie einen Lehrgang im Umfang von 600 Stunden. Anschließend besuchte die Betreuerin an der Hochschule K. den viersemestrigen Weiterbildungsstudiengang „Grundstücksbewertung“, den sie mit dem akademischen Grad Diplom-Wirtschaftsingenieurin (FH) und der Befugnis zur Bezeichnung als „Sachverständige für die Bewertung bebauter und unbebauter Grundstücke sowie Mieten und Pachten“ abschloss.
2Für den Zeitraum bis hat die Betreuerin beantragt, die Vergütung für ihre Betreuertätigkeit unter Zugrundelegung der Vergütungstabelle C zu § 4 Abs. 3 Nr. 2 VBVG aF auf insgesamt 1.868,40 € festzusetzen.
3Das Amtsgericht hat die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 3 (Staatskasse) hat das Amtsgericht die Vergütung im Wege der Teilabhilfe auf 1.755,60 € herabgesetzt. Das Landgericht hat den amtsgerichtlichen Beschluss weitergehend abgeändert und die Vergütung der Betreuerin auf der Grundlage der Vergütungstabelle A auf insgesamt 1.080,60 € festgesetzt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Betreuerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses in Gestalt des Teilabhilfebeschlusses und die Festsetzung ihrer Betreuervergütung auf der Grundlage der Vergütungstabelle C, hilfsweise die Bewilligung einer Vergütung nach der Vergütungstabelle B.
II.
4Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil sie das Beschwerdegericht in der angefochtenen Entscheidung zugelassen hat (§ 70 Abs. 1 FamFG). Daran ist der Senat gebunden (§ 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG), auch wenn kein Zulassungsgrund ersichtlich ist, der eine Befassung des Rechtsbeschwerdegerichts mit diesem Streitfall rechtfertigen könnte. Sie ist auch im Übrigen zulässig, in der Sache aber nicht begründet.
51. Das Beschwerdegericht hat die Ansicht vertreten, dass die Betreuerin nur nach der Vergütungstabelle A zu vergüten sei. Bei dem Abschluss als Diplom-Wirtschaftsingenieurin (FH) handele es sich zwar um einen Hochschulabschluss, allerdings vermittele dieser nicht im Schwerpunkt für die Betreuung nutzbare Kenntnisse, so dass eine Vergütung nach der Vergütungstabelle C ausscheide. Aufgrund ihres Abschlusses als Geprüfte Wirtschaftsfachwirtin (IHK) könne die Betreuerin auch keine Vergütung nach der Vergütungstabelle B verlangen, weil es sich dabei um einen berufsfortbildenden und keinen grundständigen Berufsabschluss handele, wodurch zumindest nach dessen zeitlichem Umfang keine Vergleichbarkeit mit einer abgeschlossenen Lehre gegeben sei.
62. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
7Die Frage, unter welchen Umständen ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, welche die Bewilligung einer erhöhten Vergütung nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 VBVG aF rechtfertigen, obliegt einer wertenden Betrachtung des Tatrichters. Dessen Würdigung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob er die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt, Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt und die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 162/21 - FamRZ 2022, 1136 Rn. 10 mwN).
8a) Einer solchen Überprüfung hält die tatrichterliche Würdigung des Beschwerdegerichts stand, wonach die von der Betreuerin absolvierte Fachhochschulausbildung im Weiterbildungsstudiengang „Grundstücksbewertung“ keine Vergütung nach der Vergütungstabelle C rechtfertige.
9aa) Im Ausgangspunkt hat das Beschwerdegericht zutreffend - und für die Rechtsbeschwerde günstig - erkannt, dass eine „Hochschulausbildung“ im Sinne von § 4 Abs. 3 Nr. 2 VBVG aF immer dann vorliegt, wenn ein staatlich reglementiertes oder zumindest staatlich anerkanntes Studium an einer Universität oder Fachhochschule mit einem formalen Abschluss beendet worden ist. Das ist hier bei der Fachhochschulausbildung der Betreuerin - die mit der Erlangung des akademischen Grades einer Diplom-Wirtschaftsingenieurin (FH) abgeschlossen wurde - unzweifelhaft der Fall, ohne dass es insbesondere auf die zeitliche Beanspruchung durch das Studium ankommen würde.
10bb) Das Beschwerdegericht hat indessen rechtsfehlerfrei den auf dieser Ausbildung beruhenden Erwerb besonderer und für die Betreuung nutzbarer Kenntnisse verneint, weil die von der Betreuerin absolvierte Fachhochschulausbildung auf eine Tätigkeit als Grundstückssachverständige und nicht im Kernbereich auf die Vermittlung betreuungsrechtlich relevanter Kenntnisse ausgerichtet war.
11(1) Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist die grundlegende Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass der von der Betreuerin absolvierte Weiterbildungsstudiengang „Grundstücksbewertung“ keine betreuungsrelevante Zielrichtung hatte. Auch wenn in besonderen Einzelfällen - etwa bei Immobiliengeschäften oder bei Nachlassauseinandersetzungen - die von dem Betreuer erworbene Expertise eines Sachverständigen für Grundstücksbewertung für den Betreuten von Vorteil sein kann, durfte das Beschwerdegericht in tatrichterlicher Verantwortung davon ausgehen, dass diese Kenntnisse bei typisierender Betrachtungsweise für die Führung einer Betreuung nicht generell nützlich sind.
12(2) Die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse kann allerdings auch dann noch zum Kernbereich einer Ausbildung gezählt werden, wenn die Ausbildung selbst schwerpunktmäßig eine andere Zielrichtung hatte (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 118/20 - FamRZ 2021, 890 Rn. 11 und vom - XII ZB 429/13 - FamRZ 2014, 116 Rn. 19). Dies hat das Beschwerdegericht richtig erkannt und daher die gebotene konkrete Betrachtung des tatsächlichen Inhalts der Fachhochschulausbildung der Betreuerin vorgenommen. Wenn es dabei in tatrichterlicher Verantwortung zu der Beurteilung gelangt ist, dass die konkrete Ausbildung der Betreuerin im Studiengang „Grundstücksbewertung“ betreuungsrelevante Kenntnisse nicht in erheblichem Umfang vermittelt hat, ist dies - wenigstens im Ergebnis - nicht zu beanstanden.
13(a) Nach dem Vorbringen der Betreuerin umfasste der viersemestrige Diplomstudiengang „Grundstücksbewertung“ insgesamt 2.360 Unterrichtseinheiten (UE), von denen 1.720 UE auf Vorlesungen und Selbststudium, 240 UE auf Projektarbeiten und 400 UE auf die Diplomarbeit entfielen. Zum Inhalt der Ausbildung hat das Beschwerdegericht festgestellt, dass es die gleichwertigen Pflichtfächer Rechtslehre, Wirtschaftslehre, Techniklehre und Wertermittlungslehre umfasste. Daneben hatte die Betreuerin das Wahlpflichtfach „Plausibilität eines Gutachtens“ belegt. Unter Heranziehung des von der Hochschule K. zur Verfügung gestellten Modulhandbuchs für den - im Bereich der Rechtslehre mit dem früheren Diplomstudiengang vergleichbaren - Masterstudiengang hat das Beschwerdegericht weiter festgestellt, dass nur ein Teil der im Pflichtfach Rechtslehre behandelten Rechtsgebiete (Rechtliche Grundlagen, Sachen- und Grundbuchrecht, Arbeits- und Mietrecht, Grundlagen der Zwangsvollstreckung) mit insgesamt (nur) 175 UE als betreuungsrelevant anzusehen sei; diese tatrichterliche Beurteilung lässt keine Rechtsfehler erkennen.
14(b) Die weitergehende Einschätzung des Beschwerdegerichts, dass in den übrigen Studienfächern von vornherein keine für die Führung einer Betreuung nützlichen Kenntnisse vermittelt worden sein können, mag zwar gerade im Hinblick auf das Studienfach der Wirtschaftslehre nicht frei von rechtlichen Bedenken sein. Soweit die Rechtsbeschwerde aber anhand des Modulhandbuchs weitere betreuungsrelevante Ausbildungsinhalte im Umfang von insgesamt 330 UE aufzuzeigen versucht und insoweit eine unvollständige Berücksichtigung des im Verfahren vorgetragenen Sachverhalts moniert, geht diese Rüge schon deshalb fehl, weil die Ausbildungsinhalte im modularisierten Masterstudiengang nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts nur im Bereich der Rechtslehre mit dem früheren Diplomstudiengang vergleichbar gewesen sind. Die Rechtsbeschwerde macht nicht geltend, dass sämtliche von ihr aufgeführten Ausbildungsinhalte aus dem Modulhandbuch in vergleichbarer Weise und im gleichen zeitlichen Umfang Gegenstand des von der Betreuerin absolvierten Diplomstudiengangs waren. Im Übrigen hat die Rechtsbeschwerde einen nicht unerheblichen Teil der von ihr benannten modularen Ausbildungsinhalte (93 UE) dem Programm der Wahlpflichtfächer des Masterstudiengangs entnommen (Bedarfswert und Beleihungswertermittlung, Immobilienverwaltung und Zwangsverwaltung), die sich nicht mit dem von der Betreuerin im Diplomstudiengang gewählten Wahlpflichtfach decken. Selbst wenn man hiernach das Modulhandbuch für den Masterstudiengang als Beurteilungsgrundlage heranziehen und die sonstigen, von der Rechtsbeschwerde als betreuungsrelevant bezeichneten Ausbildungsinhalte aus den Modulen Wertermittlung, Praxisprojekte und Methodenlehre, Wirtschaft und Sachverständigenwesen mit einem zeitlichen Umfang von 237 UE zusätzlich zu den vom Beschwerdegericht anerkannten 175 UE berücksichtigen wollte, vermag dies die tatrichterliche Würdigung, dass die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse keinen erheblichen Umfang des Studiums eingenommen hatte, nicht in Frage zu stellen.
15b) Zu Unrecht beanstandet die Rechtsbeschwerde schließlich, das Beschwerdegericht habe bei seiner Beurteilung, wonach die von der Betreuerin absolvierte Fortbildung zur Geprüften Wirtschaftsfachwirtin (IHK) nicht mit einer Lehre vergleichbar sei, unberücksichtigt gelassen, dass Voraussetzung für den Erwerb dieser Zusatzqualifikation eine abgeschlossene Lehre im Sinne von § 4 VBVG sei. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist eine Gesamtbetrachtung aller Ausbildungen nicht vorzunehmen. § 4 Abs. 3 VBVG aF knüpft als Quelle für den Erwerb von vergütungserhöhenden besonderen Kenntnissen ausschließlich an den typisierten Ausbildungsgang an. Mit dem nach der Art der Ausbildung gestaffelten Stundensatz wollte der Gesetzgeber den Gerichten eine leicht zu handhabende Regelung zur Verfügung stellen und auf diese Weise eine einheitliche Vergütungspraxis sichern. Wortlaut und Zweck der Vorschrift stehen daher einer Gesamtbetrachtung dahin, dass mehrere Ausbildungen und Fortbildungsmaßnahmen insgesamt einer Lehre vergleichbar sind, entgegen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 461/10 - juris Rn. 14). Die Einschätzung des Beschwerdegerichts, dass die Fortbildung zur Geprüften Wirtschaftsfachwirtin (IHK) für sich genommen schon wegen ihres deutlich geringeren zeitlichen Umfangs einer Lehre nicht vergleichbar ist, greift die Rechtsbeschwerde nicht an. Ebenso wenig macht sie geltend, dass die frühere (nicht näher bezeichnete) Berufsausbildung der Betreuerin, die ihr den Zugang zum Fortbildungslehrgang ermöglicht hat, ihrerseits betreuungsrelevante Kenntnisse vermittelt hätte.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:151123BXIIZB575.21.0
Fundstelle(n):
EAAAJ-57225