BGH Urteil v. - VIa ZR 1073/22

Instanzenzug: Az: 3 U 1823/22vorgehend LG München I Az: 10 O 18111/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb am für 24.490 € ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug BMW 320d, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N 47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

3Der Kläger hat behauptet, die Emissionskontrolle geschehe unter Verwendung eines die Abgasrückführung betreffenden Thermofensters. Ferner finde eine Aufheizeinrichtung Verwendung. Er hat die Auffassung vertreten, insbesondere in dem Thermofenster liege eine unzulässige Abschalteinrichtung. Das Landgericht hat die auf Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt er seine Berufungsanträge mit Ausnahme des die Deliktszinsen betreffenden Antrags zu II weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Dem Kläger stehe ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht zu. Der Kläger habe greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in seinem Fahrzeug nicht hinreichend dargetan. Soweit er die Verwendung eines Thermofensters behaupte, könne eine solche Einrichtung für sich betrachtet die Sittenwidrigkeit nicht begründen. Besondere Umstände, die eine andere Bewertung rechtfertigten, habe der Kläger nicht vorgetragen.

7Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht, weil die genannten Bestimmungen der EG-FGV nicht dem Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des einzelnen Fahrzeugkäufers dienten.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeschlossen hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Der Zurückweisungsbeschluss ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Dass in dem Fahrzeug ein Thermofenster verbaut sei, ist zugunsten des Klägers revisionsrechtlich zu unterstellen. Auf die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht habe entsprechenden Vortrag des Klägers übergangen und damit den Prozessstoff nicht ausgeschöpft, kommt es nicht an.

13Im Übrigen kann der Senat entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und nach Maßgabe des Senatsurteils vom ( VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 59 ff.) ein Verschulden der Beklagten nicht ausschließen. Zwar müssen der objektive und der subjektive Tatbestand einer Pflichtverletzung zeitlich zusammenfallen (vgl. , BGHZ 171, 46 Rn. 8) und kommt es für die Frage, ob der Beklagten ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an ( aaO, Rn. 61; Urteil vom - VIa ZR 1511/22, juris Rn. 12 f.). Dass zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs, wie die Revisionserwiderung geltend macht, keine Zweifel an der Zulässigkeit von Thermofenstern bestanden hätten, sondern erst durch die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union begründet worden seien, ließe - selbst wenn der Einwand der Revisionserwiderung zuträfe - das Verschulden indessen nicht entfallen. Dass sich ein Hersteller nicht ohne weiteres und gestützt auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger verbreitete Auffassung von der Zulässigkeit bestimmter Abschalteinrichtungen entlasten kann, hat der Senat entschieden und näher dargelegt ( aaO, Rn. 69; zu den Anforderungen an die Darlegung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums außerdem VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064 Rn. 13 ff.). Dass ein Differenzschaden durch vom Kläger gezogene Vorteile vollständig aufgezehrt sei, ergeben die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht.

14Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:041223UVIAZR1073.22.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-57151