EuGH Urteil v. - C-184/20

Gründe

Zu den Vorlagefragen

Zu dem in zeitlicher Hinsicht anwendbaren Recht

55Mit seinen Fragen ersucht das vorlegende Gericht um die Auslegung der DSGVO. Gemäß ihrem Art. 99 Abs. 2 ist diese Verordnung am anwendbar geworden, und wie aus ihrem Art. 94 Abs. 1 hervorgeht, wurde die Richtlinie 95/46 am selben Tag durch die DSGVO aufgehoben.

56Folglich war für die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Entscheidung, die von der Obersten Ethikkommission am erlassen wurde, die Richtlinie 95/46 maßgeblich.

57Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht jedoch hervor, dass die Oberste Ethikkommission dem Kläger des Ausgangsverfahrens mit dieser Entscheidung zur Last gelegt hat, unter Verstoß gegen das Gesetz über den Interessenausgleich keine Erklärung über private Interessen abgegeben zu haben. Unter diesen Umständen ist in Anbetracht der in Rn. 50 des vorliegenden Urteils genannten Informationen und mangels Anhaltspunkten dafür, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens vor dem , d. h. dem Tag, an dem die DSGVO anwendbar geworden ist, eine solche Erklärung abgegeben hat, nicht ausgeschlossen, dass diese Verordnung zeitlich auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

58Im Übrigen braucht nicht zwischen den Bestimmungen der Richtlinie 95/46 und den in den beiden Vorlagefragen in ihrer umformulierten Fassung genannten Bestimmungen der DSGVO unterschieden zu werden, da diese Bestimmungen einen ähnlichen Regelungsgehalt haben, soweit es um die Auslegung geht, die der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache vorzunehmen hat (vgl. entsprechend Urteil vom , Dixons Retail, C-494/12, EU:C:2013:758, Rn. 18).

59Um die Fragen des vorlegenden Gerichts zweckdienlich zu beantworten, sind sie also auf der Grundlage sowohl der Richtlinie 95/46 als auch der DSGVO zu prüfen.

Zu r ersten Frage

60Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 Buchst. c und e der Richtlinie 95/46 und Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c und e und Abs. 3 der DSGVO im Licht der Art. 7 und 8 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Bestimmung entgegenstehen, die vorsieht, dass personenbezogene Daten, die in Erklärungen über private Interessen enthalten sind, die jeder Leiter einer öffentliche Mittel erhaltenden Einrichtung gegenüber der für die Entgegennahme und inhaltlichen Kontrolle dieser Erklärungen zuständigen nationalen Behörde abgeben muss, im Internet veröffentlicht werden.

61Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 95/46 gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit ihrem zehnten Erwägungsgrund sowie die DSGVO gemäß ihrem Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit ihren Erwägungsgründen 4 und 10 u. a. zum Ziel haben, ein hohes Niveau des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu gewährleisten; dieses Schutzrecht wird auch in Art. 8 der Charta anerkannt und steht in engem Zusammenhang mit dem in Art. 7 der Charta verankerten Recht auf Achtung des Privatlebens.

62Zu diesem Zweck enthalten Kapitel II der Richtlinie 95/46 sowie die Kapitel II und III der DSGVO die Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten bzw. die Rechte der betroffenen Person, die bei dieser Verarbeitung beachtet werden müssen. Insbesondere musste jede Verarbeitung personenbezogener Daten vor der Anwendbarkeit der DSGVO mit den in den Art. 6 und 7 dieser Richtlinie genannten Grundsätzen in Bezug auf die Qualität der Daten und die Zulässigkeit ihrer Verarbeitung im Einklang stehen, und seit der Anwendbarkeit der DSGVO muss sie den in den Art. 5 und 6 dieser Verordnung genannten Grundsätzen für die Verarbeitung von Daten und den Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung entsprechen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C-439/19, EU:C:2021:504, Rn. 96, und vom , Valsts ieņēmumu dienests [Verarbeitung personenbezogener Daten für steuerliche Zwecke], C-175/20, EU:C:2022:124, Rn. 50).

63Im vorliegenden Fall sieht Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes über den Interessenausgleich vor, dass die Oberste Ethikkommission auf ihrer Website Informationen veröffentlicht, die in den von den in dieser Bestimmung genannten öffentlichen Verantwortungsträgern vorgelegten Erklärungen über private Interessen enthalten sind und deren Inhalt in Art. 6 Abs. 1 dieses Gesetzes festgelegt ist, mit Ausnahme der Informationen, die in Art. 10 Abs. 2 dieses Gesetzes aufgeführt sind.

64Insoweit ist hervorzuheben, dass die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen ausschließlich die Veröffentlichung der in der Erklärung über private Interessen, die der Leiter einer öffentliche Mittel erhaltenden Einrichtung abgeben muss, enthaltenen Informationen auf der Website der Obersten Ethikkommission betreffen, und nicht die Erklärungspflicht als solche oder die Veröffentlichung einer Interessenerklärung unter anderen Umständen.

65Da sich die Informationen, die zur Veröffentlichung auf der Website der Obersten Ethikkommission bestimmt sind, auf natürliche Personen beziehen, die durch Vor- und Nachnamen identifiziert sind, handelt es sich um personenbezogene Daten im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 95/46 und Art. 4 Nr. 1 der DSGVO. Der Umstand, dass diese Informationen im Kontext der beruflichen Tätigkeit der erklärungspflichtigen Person stehen, ändert hieran nichts (Urteil vom , Manni, C-398/15, EU:C:2017:197, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ferner stellt der Vorgang, der darin besteht, personenbezogene Daten auf eine Website zu stellen, eine Verarbeitung im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 95/46 und Art. 4 Nr. 2 der DSGVO dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Weltimmo, C-230/14, EU:C:2015:639, Rn. 37), für die die Oberste Ethikkommission der Verantwortliche im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 95/46 und Art. 4 Nr. 7 der DSGVO ist (vgl. entsprechend Urteil vom , Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C-439/19, EU:C:2021:504, Rn. 101).

66Nach dieser Klarstellung ist zu prüfen, ob Art. 7 der Richtlinie 95/46 und Art. 6 der DSGVO, betrachtet im Licht der Art. 7 und 8 der Charta, dem entgegenstehen, dass ein Teil der in der Erklärung über private Interessen, die jeder Leiter einer öffentliche Mittel erhaltenden Einrichtung abzugeben hat, enthaltenen personenbezogenen Daten im Internet veröffentlicht wird, wie dies in Art. 10 des Gesetzes über den Interessenausgleich vorgesehen ist.

67Art. 7 der Richtlinie 95/46 und Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der DSGVO enthalten eine erschöpfende und abschließende Liste der Fälle, in denen eine Verarbeitung personenbezogener Daten als rechtmäßig angesehen werden kann. Daher muss eine Verarbeitung unter einen der in diesen Bestimmungen vorgesehenen Fälle subsumierbar sein, um als rechtmäßig angesehen werden zu können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C-439/19, EU:C:2021:504, Rn. 99 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68Nach Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 und nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e der DSGVO, den das vorlegende Gericht in seiner ersten Frage anführt, ist die Verarbeitung rechtmäßig, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Außerdem ist nach Art. 7 Buchst. c dieser Richtlinie und nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c der DSGVO, auf den das vorlegende Gericht in der Begründung seines Vorabentscheidungsersuchens Bezug genommen hat, auch die Verarbeitung rechtmäßig, die zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche unterliegt.

69Art. 6 Abs. 3 der DSGVO stellt in Bezug auf diese beiden Fälle der Rechtmäßigkeit klar, dass die Verarbeitung auf dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten beruhen muss, dem der Verantwortliche unterliegt, und dass die betreffende Rechtsgrundlage ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck stehen muss. Da diese Anforderungen Ausfluss der Vorgaben sind, die sich aus Art. 52 Abs. 1 der Charta ergeben, sind sie im Licht der letztgenannten Bestimmung auszulegen und entsprechend auf Art. 7 Buchst. c und e der Richtlinie 95/46 zu übertragen.

70Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die in den Art. 7 und 8 der Charta verbürgten Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen und gegen andere Grundrechte abgewogen werden müssen. Somit können Einschränkungen vorgesehen werden, sofern sie gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta gesetzlich vorgesehen sind und den Wesensgehalt der Grundrechte sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Nach diesem Grundsatz dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Sie müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken, und die den Eingriff enthaltende Regelung muss klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der betreffenden Maßnahme vorsehen (Urteil vom , Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C-439/19, EU:C:2021:504, Rn. 105 und die dort angeführte Rechtsprechung).

71Im vorliegenden Fall ist die Tatsache, dass ein Teil der in der Erklärung über private Interessen, die jeder Leiter einer öffentliche Mittel erhaltenden Einrichtung abzugeben hat, enthaltenen personenbezogenen Daten auf der Website der Obersten Ethikkommission veröffentlicht wird, Folge einer gesetzlichen Bestimmung des mitgliedstaatlichen Rechts, dem die Oberste Ethikkommission unterliegt, nämlich Art. 10 des Gesetzes über den Interessenausgleich. Folglich ist diese Datenverarbeitung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der diese Behörde als Verantwortliche unterliegt, und fällt somit unter den in Art. 7 Buchst. c der Richtlinie 95/46 und Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c der DSGVO genannten Fall. Unter diesen Umständen braucht nicht geprüft zu werden, ob diese Verarbeitung auch unter Art. 7 Buchst. e dieser Richtlinie und Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e dieser Verordnung fällt.

72Da außerdem, wie sich aus Rn. 63 des vorliegenden Urteils ergibt, Art. 10 des Gesetzes über den Interessenausgleich den Umfang, in dem die Ausübung des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten eingeschränkt wird, festlegt, ist der sich daraus ergebende Eingriff als gesetzlich vorgesehen im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta zu betrachten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Valsts ieņēmumu dienests [Verarbeitung personenbezogener Daten für steuerliche Zwecke], C-175/20, EU:C:2022:124, Rn. 54).

73Wie jedoch in Rn. 69 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, muss Art. 10 des Gesetzes über den Interessenausgleich als Rechtsgrundlage der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Datenverarbeitung auch den weiteren Anforderungen genügen, die sich aus Art. 52 Abs. 1 der Charta und Art. 6 Abs. 3 der DSGVO ergeben; insbesondere muss er ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck stehen.

74Im vorliegenden Fall ergibt sich aus Art. 1 des Gesetzes über den Interessenausgleich, dass dieses Gesetz dadurch, dass es den Grundsatz der Transparenz der Interessenerklärungen aufstellt, darauf abzielt, bei der Entscheidungsfindung der im öffentlichen Dienst tätigen Personen den Vorrang des öffentlichen Interesses sicherzustellen, die Unparteilichkeit der getroffenen Entscheidungen zu gewährleisten und Interessenkonflikten sowie dem Auftreten und der Entwicklung von Korruption im öffentlichen Dienst vorzubeugen.

75Da diese Ziele darin bestehen, die Garantien für Redlichkeit und Unparteilichkeit der öffentlichen Entscheidungsträger zu stärken, Interessenkonflikten vorzubeugen und Korruption im öffentlichen Sektor zu bekämpfen, liegen sie unbestreitbar im öffentlichen Interesse und sind folglich legitim.

76Denn indem dafür Sorge getragen wird, dass die öffentlichen Entscheidungsträger ihre Aufgaben unparteiisch und objektiv wahrnehmen, und indem verhindert wird, dass sie von Erwägungen im Zusammenhang mit privaten Interessen beeinflusst werden, wird angestrebt, die ordnungsgemäße Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten und öffentlicher Güter zu gewährleisten.

77Überdies stellt die Bekämpfung der Korruption ein Ziel dar, dem sich die Mitgliedstaaten sowohl auf internationaler Ebene als auch auf Unionsebene verschrieben haben.

78Auf Unionsebene sind die Mitgliedstaaten insbesondere dem Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, beigetreten, wonach jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat, damit Korruption mit Beamtenbeteiligung – in Form sowohl von Bestechung als auch von Bestechlichkeit – strafrechtlich geahndet wird.

79Auf internationaler Ebene bestimmt Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption, dass dieses Übereinkommen u. a. die Förderung und Verstärkung von Maßnahmen zur effizienteren und wirksameren Verhütung und Bekämpfung von Korruption sowie die Förderung der Integrität, der Rechenschaftspflicht und der ordnungsgemäßen Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten und öffentlicher Vermögensgegenstände zum Ziel hat. Zu diesem Zweck sieht Art. 7 Abs. 4 des Übereinkommens vor, dass „[j]eder Vertragsstaat … in Übereinstimmung mit den wesentlichen Grundsätzen seines innerstaatlichen Rechts bestrebt [ist], Regelungen zu beschließen, beizubehalten und in ihrer Wirkung zu verstärken, welche die Transparenz fördern und Interessenkonflikten vorbeugen“.

80Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die nach dem Gesetz über den Interessenausgleich erfolgende Verarbeitung personenbezogener Daten darauf abzielt, von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta bzw. im öffentlichen Interesse liegenden und daher legitimen Zielen im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der DSGVO zu entsprechen.

81Folglich lassen die in den Rn. 74 und 75 des vorliegenden Urteils genannten Ziele gemäß diesen Bestimmungen Einschränkungen der Ausübung der in den Art. 7 und 8 der Charta garantierten Rechte zu, vorausgesetzt, dass sie diesen Zielen tatsächlich entsprechen und in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Zielen stehen.

82Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob die Online-Veröffentlichung eines Teils der in der Erklärung über private Interessen, die jeder Leiter einer öffentliche Mittel erhaltenden Einrichtung bei der Obersten Ethikkommission abzugeben hat, enthaltenen personenbezogenen Daten auf der Website dieser Behörde geeignet ist, die in Art. 1 des Gesetzes über den Interessenausgleich definierten, im öffentlichen Interesse liegenden Ziele zu erreichen, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist (vgl. entsprechend Urteil vom , Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C-439/19, EU:C:2021:504, Rn. 109).

83Was zunächst die Frage betrifft, ob die Veröffentlichung von in Erklärungen über private Interessen enthaltenen personenbezogenen Daten auf der Website der Obersten Ethikkommission geeignet ist, das in Art. 1 des Gesetzes über den Interessenausgleich definierte, im öffentlichen Interesse liegende Ziel zu erreichen, so ist festzustellen, dass die Online-Veröffentlichung bestimmter personenbezogener Daten, die in den von den öffentlichen Entscheidungsträgern abgegebenen Erklärungen über private Interessen enthalten sind, dazu angetan ist, diese Entscheidungsträger zu unparteiischem Handeln anzuhalten, da etwaige Interessenkonflikte, die die Wahrnehmung ihrer Aufgaben beeinflussen könnten, durch diese Veröffentlichung aufgedeckt werden können. Eine solche Umsetzung des Transparenzgrundsatzes ist daher geeignet, Interessenkonflikten und Korruption vorzubeugen, die Verantwortung der Akteure des öffentlichen Sektors zu erhöhen und damit das Vertrauen der Bürger in das öffentliche Handeln zu stärken.

84Folglich erscheint die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme geeignet, zur Verwirklichung der mit ihr verfolgten, im öffentlichen Interesse liegenden Ziele beizutragen.

85Was sodann die Voraussetzung der Erforderlichkeit anbelangt, so geht aus dem 39. Erwägungsgrund der DSGVO hervor, dass diese Voraussetzung erfüllt ist, wenn das verfolgte, im öffentlichen Interesse liegende Ziel nicht in zumutbarer Weise ebenso wirksam mit anderen Mitteln erreicht werden kann, die weniger stark in die Grundrechte der betroffenen Personen, insbesondere die in den Art. 7 und 8 der Charta verbürgten Rechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten, eingreifen, wobei sich die Ausnahmen und Einschränkungen hinsichtlich des Grundsatzes des Schutzes solcher Daten auf das absolut Notwendige beschränken müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C-439/19, EU:C:2021:504, Rn. 110 und die dort angeführte Rechtsprechung). Folglich ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob das Ziel, Interessenkonflikten und Korruption im öffentlichen Sektor durch Stärkung der Redlichkeit und Unparteilichkeit seiner Verantwortungsträger vorzubeugen, in zumutbarer Weise ebenso wirksam mit anderen Mitteln erreicht werden könnte, die weniger stark in die Rechte der Leiter von öffentliche Mittel erhaltenden Einrichtungen auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten eingreifen würden.

86Bei dieser Prüfung sind zum einen alle dem betreffenden Mitgliedstaat eigenen rechtlichen und tatsächlichen Aspekte zu berücksichtigen, wie etwa das Bestehen anderweitiger Maßnahmen zur Verhütung von Interessenkonflikten und zur Bekämpfung der Korruption sowie das Ausmaß solcher Konflikte und des Phänomens der Korruption im öffentlichen Dienst, und zum anderen die Art der betreffenden Informationen und die Bedeutung der von der erklärungspflichtigen Person wahrgenommenen Aufgaben, insbesondere die hierarchische Stellung dieser Person, der Umfang der ihr gegebenenfalls übertragenen Kompetenzen in der öffentlichen Verwaltung und die Befugnisse, über die sie in Bezug auf Bindung und Verwaltung öffentlicher Mittel verfügt.

87Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass das vorlegende Gericht, wie aus Rn. 43 des vorliegenden Urteils hervorgeht, offenbar davon ausgeht, dass die Pflicht, private Interessen gegenüber den in den Art. 5 und 22 des Gesetzes über den Interessenausgleich genannten Stellen zu deklarieren, sowie die von diesen Stellen vorgenommene Kontrolle der Erfüllung dieser Pflicht und des Inhalts dieser Erklärung genügen würden, um die mit diesem Gesetz verfolgten Ziele, nämlich die Verhütung von Interessenkonflikten und die Bekämpfung von Korruption im öffentlichen Sektor, ebenso wirksam zu erreichen.

88Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts besteht eines der Hauptargumente, die die Oberste Ethikkommission im Ausgangsverfahren vorgebracht hat, um die Veröffentlichung der Erklärungen über private Interessen zu rechtfertigen, darin, dass sie nicht über ausreichende personelle Mittel verfüge, um alle ihr vorgelegten Erklärungen tatsächlich zu kontrollieren.

89Es ist jedoch zu betonen, dass die mangelnde Zuweisung von Mitteln an Behörden keinesfalls einen legitimen Grund darstellen kann, der einen Eingriff in die durch die Charta verbürgten Grundrechte rechtfertigen könnte.

90Ferner stellt sich die Frage, ob es zur Erreichung der in Art. 1 des Gesetzes über den Interessenausgleich genannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen unbedingt erforderlich ist, dass die Leiter von Einrichtungen, die öffentliche Mittel erhalten, in gleicher Weise wie die anderen in Art. 10 Abs. 1 dieses Gesetzes aufgezählten Kategorien von Ämtern der in diesem Gesetz vorgeschriebenen Publizität unterliegen.

91Hierzu hat die litauische Regierung vor dem Gerichtshof ausgeführt, dass die Pflicht zur Abgabe einer Unparteilichkeitserklärung, der diese Leiter nach nationalem Recht unterlägen, ausreiche, um die Ziele des Gesetzes über den Interessenausgleich zu erreichen, und dass daher die Anwendung von Art. 10 dieses Gesetzes auf diese Leiter, die bis zum Inkrafttreten des geänderten Gesetzes über den Interessenausgleich am vorgesehen gewesen sei, über das hinausgehe, was im Hinblick auf diese Ziele unbedingt erforderlich sei.

92Zweitens bleibt, selbst wenn sich die Veröffentlichung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden personenbezogenen Daten als erforderlich erweisen sollte, um die mit dem Gesetz über den Interessenausgleich verfolgten Ziele zu erreichen, zu bedenken, dass eine potenziell unbegrenzte Zahl von Personen die fraglichen personenbezogenen Daten einsehen kann. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht jedoch nicht hervor, dass der litauische Gesetzgeber beim Erlass der genannten Bestimmung geprüft hätte, ob es unbedingt erforderlich ist, diese Daten im Internet ohne jegliche Zugangsbeschränkung zu veröffentlichen, oder ob die vom Gesetz über den Interessenausgleich verfolgten Ziele ebenso wirksam erreicht werden könnten, wenn die Zahl der Personen, die diese Daten einsehen können, begrenzt würde.

93Drittens ist jedenfalls darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzung der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung gemeinsam mit dem in Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 95/46 und Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der DSGVO verankerten Grundsatz der „Datenminimierung“ zu prüfen ist, wonach personenbezogene Daten dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Asociația de Proprietari bloc M5A-ScaraA, C-708/18, EU:C:2019:1064, Rn. 48).

94Demnach können allein Daten, deren Veröffentlichung tatsächlich dazu angetan ist, die Garantien für Redlichkeit und Unparteilichkeit der öffentlichen Verantwortungsträger zu stärken, Interessenkonflikten vorzubeugen und Korruption im öffentlichen Sektor zu bekämpfen, Gegenstand einer Verarbeitung sein, wie sie in Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes über den Interessenausgleich vorgesehen ist.

95Im vorliegenden Fall ergibt sich aus Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes über den Interessenausgleich sowie aus den Erläuterungen, die das vorlegende Gericht in Beantwortung des Auskunftsersuchens des Gerichtshofs dargelegt hat, dass der größte Teil der Daten, die gemäß Art. 6 Abs. 1 dieses Gesetzes in der Erklärung über private Interessen enthalten sein müssen, zur Veröffentlichung auf der Website der Obersten Ethikkommission bestimmt ist, mit Ausnahme u. a. der persönlichen Kennnummern der Betroffenen.

96Insoweit kann es zwar im Hinblick auf das Ziel der Verhütung von Interessenkonflikten und von Korruption im öffentlichen Sektor sachdienlich sein, zu verlangen, dass Erklärungen über private Interessen Informationen, anhand deren die erklärungspflichtige Person identifiziert werden kann, sowie Informationen über die Tätigkeiten des Ehegatten, Lebensgefährten oder Partners dieser Person enthalten, doch scheint die Online-Veröffentlichung von namensbezogenen Daten über den Ehegatten, Lebensgefährten oder Partner des Leiters einer öffentliche Mittel erhaltenden Einrichtung oder über diesem Leiter nahestehende oder sonstige ihm bekannte Personen, die einen Interessenkonflikt begründen können, über das absolut Erforderliche hinauszugehen. Wie der Generalanwalt in Nr. 66 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist nämlich nicht ersichtlich, dass die verfolgten Ziele von öffentlichem Interesse nicht erreicht werden könnten, wenn für die Zwecke der Veröffentlichung nur, je nach Fall, der allgemeine Ausdruck Ehegatte, Lebensgefährte oder Partner verwendet würde, verbunden mit der Angabe der relevanten Interessen der betreffenden Personen im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten.

97Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die systematische Online-Veröffentlichung aller Transaktionen der erklärungspflichtigen Person, deren Wert 3 000 Euro übersteigt, im Hinblick auf die verfolgten Ziele unbedingt erforderlich wäre.

98Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung nicht verfolgt werden kann, ohne den Umstand zu berücksichtigen, dass sie mit den von der Maßnahme betroffenen Grundrechten in Einklang gebracht werden muss, indem eine ausgewogene Gewichtung der dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung und der fraglichen Rechte vorgenommen wird (Urteil vom , Commissioner of An Garda Síochána u. a., C-140/20, EU:C:2022:258, Rn. 52). Folglich ist, um die Verhältnismäßigkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Datenverarbeitung zu beurteilen, die Schwere des durch diese Verarbeitung bewirkten Eingriffs in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten zu ermitteln und zu prüfen, ob die Bedeutung der dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung, die mit dieser Verarbeitung verfolgt wird, im Verhältnis zu dieser Schwere steht.

99Bei der Beurteilung der Schwere des Eingriffs ist insbesondere der Art der in Rede stehenden personenbezogenen Daten Rechnung zu tragen, vor allem der möglicherweise sensiblen Natur dieser Daten, sowie der Art und den konkreten Modalitäten ihrer Verarbeitung, insbesondere der Zahl der Personen, die Zugang zu diesen Daten haben, und den Zugangsmodalitäten (Urteil vom , Asociaţia de Proprietari bloc M5A-ScaraA, C-708/18, EU:C:2019:1064, Rn. 57).

100Im vorliegenden Fall ist zum einen festzustellen, dass die Online-Veröffentlichung von namensbezogenen Daten über den Ehegatten, Partner oder Lebensgefährten der erklärungspflichtigen Person oder über ihr nahestehende oder bekannte Personen, die einen Interessenkonflikt begründen können, sowie die Angabe des Gegenstands der Transaktionen mit einem Wert von mehr als 3 000 Euro geeignet sind, Informationen über bestimmte sensible Aspekte des Privatlebens der betroffenen Personen, wie z. B. ihre sexuelle Orientierung, zu offenbaren. Zudem betrifft die in Art. 10 des Gesetzes über den Interessenausgleich geregelte Verarbeitung personenbezogener Daten, soweit sie eine solche Veröffentlichung namensbezogener Daten über andere Personen als die erklärungspflichtige Person in ihrer Funktion als öffentlicher Entscheidungsträger vorsieht, auch Personen, die diese Funktion nicht innehaben und gegenüber denen die Umsetzung der Ziele dieses Gesetzes nicht in gleicher Weise geboten ist wie in Bezug auf die erklärungspflichtige Person.

101Die Schwere eines solchen Eingriffs kann sich durch die kumulative Wirkung der personenbezogenen Daten, die von einer Veröffentlichung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden betroffen sind, weiter verstärken, da sich durch die Kombination dieser Daten ein besonders detailliertes Bild des Privatlebens der betroffenen Personen erstellen lässt (vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/15 [PNR-Abkommen EU–Kanada] vom , EU:C:2017:592, Rn. 128).

102Zum anderen steht fest, dass diese Verarbeitung dazu führt, dass die personenbezogenen Daten der breiten Öffentlichkeit und damit einer potenziell unbegrenzten Zahl von Personen im Internet frei zugänglich sind.

103Folglich ermöglicht es diese Verarbeitung, dass Personen, die sich aus Gründen, die nichts mit der dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung der Verhütung von Interessenkonflikten und von Korruption im öffentlichen Sektor zu tun haben, über die persönliche, materielle und finanzielle Situation der erklärungspflichtigen Person und ihrer Familienangehörigen Kenntnis verschaffen wollen, ungehindert auf diese Daten zugreifen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C-439/19, EU:C:2021:504, Rn. 118).

104Wie der Generalanwalt in Nr. 78 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann die Veröffentlichung dieser Daten somit beispielsweise dazu führen, dass die Betroffenen immer wieder gezielten Werbe- oder Kundenakquisemaßnahmen ausgesetzt sind oder sogar Gefahr laufen, Opfer von Straftaten zu werden.

105Daher ist eine Verarbeitung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die die in Rn. 100 des vorliegenden Urteils genannten personenbezogenen Daten betrifft, als schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz der personenbezogenen Daten der betroffenen Personen anzusehen.

106Die Schwere dieses Eingriffs ist gegen die Bedeutung der Ziele der Verhütung von Interessenkonflikten und von Korruption im öffentlichen Sektor abzuwägen.

107Insoweit hält es der Gerichtshof, um die Bedeutung des Ziels der Korruptionsbekämpfung innerhalb der Union zu verdeutlichen, für zweckmäßig, auf den Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom über die „Korruptionsbekämpfung in der EU“ (COM[2014] 38 final) Bezug zu nehmen, in dem es heißt, dass die Korruption – die ein Problem für die verantwortungsvolle Staatsführung, den sparsamen Umgang mit öffentlichen Geldern und für wettbewerbsfähige Märkte darstelle – die wirtschaftliche Entwicklung behindere, die Demokratie schwäche und der sozialen Gerechtigkeit sowie der Rechtsstaatlichkeit schade und geeignet sei, das Vertrauen der Bürger in demokratische Institutionen und Verfahren zu erschüttern. Ferner wird in diesem Bericht angegeben, dass die gesamte Union – je nach Mitgliedstaat in größerem oder geringerem Umfang – von diesem Phänomen betroffen sei.

108In ähnlicher Weise wird im vierten Erwägungsgrund des vom Europarat angenommenen Strafrechtsübereinkommens über Korruption darauf hingewiesen, dass Korruption „eine Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Menschenrechte darstellt, die Grundsätze verantwortungsbewussten staatlichen Handelns, der Billigkeit und der sozialen Gerechtigkeit untergräbt, den Wettbewerb verzerrt, die wirtschaftliche Entwicklung behindert und die Stabilität der demokratischen Institutionen und die sittlichen Grundlagen der Gesellschaft gefährdet“.

109Angesichts dessen ist unbestreitbar, dass die Korruptionsbekämpfung in der Union von großer Bedeutung ist.

110In diesem Zusammenhang erfordert die Abwägung zwischen dem Eingriff, der sich aus der Veröffentlichung der in den Erklärungen über private Interessen enthaltenen personenbezogenen Daten ergibt, und den dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen der Verhütung von Interessenkonflikten und von Korruption im öffentlichen Sektor, dass u. a. die konkreten Ausprägungen und das Ausmaß der Korruption im öffentlichen Dienst des betreffenden Mitgliedstaats berücksichtigt werden, was bedeutet, dass das Ergebnis der Abwägung zwischen diesen Zielsetzungen einerseits und dem Recht der betroffenen Person auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten andererseits nicht unbedingt für alle Mitgliedstaaten gleich ist (vgl. entsprechend Urteil vom , Google [Räumliche Reichweite der Auslistung], C-507/17, EU:C:2019:772, Rn. 67).

111Außerdem ist, wie sich aus Rn. 86 des vorliegenden Urteils ergibt, bei dieser Abwägung zu berücksichtigen, dass das Allgemeininteresse an der Veröffentlichung personenbezogener Daten je nach der Bedeutung der von der erklärungspflichtigen Person wahrgenommenen Aufgaben variieren kann; maßgeblich sind insoweit insbesondere die hierarchische Stellung dieser Person, der Umfang der ihr gegebenenfalls übertragenen Kompetenzen in der öffentlichen Verwaltung und die Befugnisse, über die sie in Bezug auf Bindung und Verwaltung öffentlicher Mittel verfügt (vgl. entsprechend Urteil vom , Google Spain und Google, C-131/12, EU:C:2014:317, Rn. 81).

112Nach diesen klarstellenden Hinweisen ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Online-Veröffentlichung des überwiegenden Teils der in der Erklärung über private Interessen, die jeder Leiter einer öffentliche Mittel erhaltenden Einrichtung abzugeben hat, enthaltenen personenbezogenen Daten nicht den Erfordernissen einer ausgewogenen Gewichtung genügt. Denn im Vergleich zu einer Erklärungspflicht in Verbindung mit einer von der Obersten Ethikkommission ausgeübten Inhaltskontrolle, deren Wirksamkeit der betreffende Mitgliedstaat zu gewährleisten hat, indem er diese Behörde mit den dafür erforderlichen Mitteln ausstattet, stellt eine solche Veröffentlichung einen erheblich schwereren Eingriff in die durch die Art. 7 und 8 der Charta verbürgten Grundrechte dar, ohne dass diese zusätzliche Schwere durch etwaige Vorteile kompensiert werden könnte, die sich hinsichtlich der Verhütung von Interessenkonflikten und der Bekämpfung von Korruption aus der Veröffentlichung aller dieser Daten ergeben könnten.

113Zudem enthalten die dem Gerichtshof vorliegenden Akten keinen Anhaltspunkt dafür, dass die auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften Garantien vorsähen, um der Gefahr von missbräuchlichen Verwendungen wie den in den Rn. 103 und 104 des vorliegenden Urteils angeführten zu begegnen.

114Was hingegen die Daten betreffend die Zugehörigkeit der erklärungspflichtigen Person bzw. – ohne namentliche Nennung – ihres Ehegatten, Lebensgefährten oder Partners zu Unternehmen, Einrichtungen, Vereinigungen oder Fonds sowie die Daten in Bezug auf ihre selbständigen Tätigkeiten und die juristischen Personen, an denen sie als Teilhaber oder Gesellschafter beteiligt sind, anbelangt, so ist davon auszugehen, dass die Transparenz hinsichtlich des Bestehens oder Nichtbestehens solcher Interessen es den Bürgern und den Wirtschaftsteilnehmern ermöglicht, die finanzielle Unabhängigkeit der Personen, die über Entscheidungsbefugnisse bei der Verwaltung öffentlicher Mittel verfügen, genau zu überblicken. Ferner können die Daten über empfangene Geschenke (außer von Nahestehenden), deren Wert 150 Euro übersteigt, auf Korruptionshandlungen hinweisen.

115Vorausgesetzt, dass eine ausgewogene Gewichtung mit Rücksicht auf den Umfang der Entscheidungsbefugnis der erklärungspflichtigen Person erfolgt und der Grundsatz der Datenminimierung gewahrt wird, kann die Veröffentlichung solcher in der Interessenerklärung enthaltenen Daten mit den Vorteilen für die Verhütung von Interessenkonflikten und die Bekämpfung von Korruption gerechtfertigt werden, die eine solche Transparenz dadurch mit sich bringt, dass die Garantien für Redlichkeit und Unparteilichkeit der öffentlichen Verantwortungsträger gestärkt werden.

116Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 7 Buchst. c der Richtlinie 95/46 und Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der DSGVO im Licht der Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften, nach denen die Erklärung über private Interessen, die jeder Leiter einer öffentliche Mittel erhaltenden Einrichtung abgeben muss, im Internet zu veröffentlichen ist, insbesondere insoweit entgegenstehen, als diese Veröffentlichung namensbezogene Daten über den Ehegatten, Lebensgefährten oder Partner der erklärungspflichtigen Person oder über ihr nahestehende oder bekannte Personen, die einen Interessenkonflikt begründen können, oder Daten über jede in den letzten zwölf Kalendermonaten abgeschlossene Transaktion mit einem Wert von über 3 000 Euro betrifft.

Zur zweiten Frage

117Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 und Art. 9 Abs. 1 der DSGVO dahin auszulegen sind, dass die Veröffentlichung personenbezogener Daten, die geeignet sind, die politischen Meinungen, die Gewerkschaftszugehörigkeit oder die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person indirekt zu offenbaren, auf der Website der Behörde, die für die Entgegennahme und die inhaltliche Kontrolle von Erklärungen über private Interessen zuständig ist, eine Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne dieser Bestimmungen darstellt.

118Nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 und Art. 9 Abs. 1 der DSGVO ist u. a. die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von Daten zum Sexualleben oder zur sexuellen Orientierung einer natürlichen Person untersagt. Gemäß der Überschrift dieser Artikel handelt es sich um besondere Kategorien personenbezogener Daten, wobei diese Daten im 34. Erwägungsgrund der Richtlinie 95/46 und im zehnten Erwägungsgrund der DSGVO auch als „sensible Daten“ bezeichnet werden.

119Im vorliegenden Fall sind die personenbezogenen Daten, deren Veröffentlichung nach Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes über den Interessenausgleich zwingend ist, zwar ihrer Natur nach keine sensiblen Daten im Sinne der Richtlinie 95/46 und der DSGVO; jedoch hält es das vorlegende Gericht für möglich, aus den namensbezogenen Daten über den Ehegatten, Lebensgefährten oder Partner der erklärungspflichtigen Person bestimmte Informationen über das Sexualleben oder die sexuelle Orientierung dieser Person und ihres Ehegatten, Lebensgefährten oder Partners abzuleiten.

120Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob Daten, aus denen mittels gedanklicher Kombination oder Ableitung auf die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person geschlossen werden kann, unter die besonderen Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 und Art. 9 Abs. 1 der DSGVO fallen.

121Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom , Bank Melli Iran, C-124/20, EU:C:2021:1035, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

122Nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 untersagen die Mitgliedstaaten die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit „hervorgehen“, sowie die Verarbeitung von Daten „über“ Gesundheit oder Sexualleben. Art. 9 Abs. 1 der DSGVO bestimmt seinerseits, dass u. a. die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit „hervorgehen“, sowie die Verarbeitung von „Gesundheitsdaten“ oder Daten „zum“ Sexualleben oder zur sexuellen Orientierung einer natürlichen Person untersagt sind.

123Wie der Generalanwalt in Nr. 85 seiner Schlussanträge der Sache nach ausgeführt hat, spricht die Verwendung des Verbs „hervorgehen“ in diesen Bestimmungen dafür, dass eine Verarbeitung erfasst ist, die sich nicht nur auf ihrem Wesen nach sensible Daten bezieht, sondern auch auf Daten, aus denen sich mittels eines Denkvorgangs der Ableitung oder des Abgleichs indirekt sensible Informationen ergeben, wohingegen aber die Präpositionen „zu“ und „über“ bzw. die Verwendung eines Kompositums zum Ausdruck zu bringen scheinen, dass eine direktere Verbindung zwischen der Verarbeitung und den betreffenden Daten, bei denen auf ihr originäres Wesen abzustellen ist, bestehen muss.

124Letztere Auslegung, die zu einer Unterscheidung je nach Art der betroffenen sensiblen Daten führen würde, stünde allerdings nicht im Einklang mit einer kontextbezogenen Analyse der fraglichen Vorschriften; sie liefe insbesondere Art. 4 Nr. 15 der DSGVO zuwider, wonach „Gesundheitsdaten“ personenbezogene Daten sind, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit einer natürlichen Person, einschließlich der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen, beziehen und aus denen Informationen über deren Gesundheitszustand „hervorgehen“, und stünde auch im Widerspruch zum 35. Erwägungsgrund der DSGVO, in dem es heißt, dass zu den personenbezogenen Gesundheitsdaten alle Daten zählen sollten, die sich auf den Gesundheitszustand einer betroffenen Person beziehen und aus denen Informationen über den früheren, gegenwärtigen und künftigen körperlichen oder geistigen Gesundheitszustand der betroffenen Person „hervorgehen“.

125Für eine weite Auslegung der Begriffe „besondere Kategorien personenbezogener Daten“ und „sensible Daten“ spricht auch das in Rn. 61 des vorliegenden Urteils genannte Ziel der Richtlinie 95/46 und der DSGVO, das darin besteht, ein hohes Niveau des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen – insbesondere ihres Privatlebens – bei der Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Lindqvist, C-101/01, EU:C:2003:596, Rn. 50).

126Die gegenteilige Auslegung liefe zudem dem Zweck von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 und Art. 9 Abs. 1 der DSGVO zuwider, der darin besteht, einen erhöhten Schutz vor Datenverarbeitungen zu gewährleisten, die, wie sich aus dem 33. Erwägungsgrund der Richtlinie 95/46 und dem 51. Erwägungsgrund der DSGVO ergibt, aufgrund der besonderen Sensibilität der betreffenden Daten einen besonders schweren Eingriff in die durch die Art. 7 und 8 der Charta garantierten Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten darstellen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , GC u. a. [Auslistung sensibler Daten], C-136/17, EU:C:2019:773, Rn. 44).

127Folglich können diese Bestimmungen nicht dahin ausgelegt werden, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten, die indirekt sensible Informationen über eine natürliche Person offenbaren können, von der in diesen Bestimmungen vorgesehenen verstärkten Schutzregelung ausgenommen ist, da andernfalls die praktische Wirksamkeit dieser Regelung und der von ihr bezweckte Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen beeinträchtigt würden.

128Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 und Art. 9 Abs. 1 der DSGVO dahin auszulegen sind, dass die Veröffentlichung personenbezogener Daten, die geeignet sind, die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person indirekt zu offenbaren, auf der Website der Behörde, die für die Entgegennahme und die inhaltliche Kontrolle von Erklärungen über private Interessen zuständig ist, eine Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne dieser Bestimmungen darstellt.

Kosten

129Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 7 Buchst. c der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr sowie Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind im Licht der Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften, nach denen die Erklärung über private Interessen, die jeder Leiter einer öffentliche Mittel erhaltenden Einrichtung abgeben muss, im Internet zu veröffentlichen ist, insbesondere insoweit entgegenstehen, als diese Veröffentlichung namensbezogene Daten über den Ehegatten, Lebensgefährten oder Partner der erklärungspflichtigen Person oder über ihr nahestehende oder bekannte Personen, die einen Interessenkonflikt begründen können, oder Daten über jede in den letzten zwölf Kalendermonaten abgeschlossene Transaktion mit einem Wert von über 3 000 Euro betrifft.

2. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 und Art. 9 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 sind dahin auszulegen, dass die Veröffentlichung personenbezogener Daten, die geeignet sind, die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person indirekt zu offenbaren, auf der Website der Behörde, die für die Entgegennahme und die inhaltliche Kontrolle von Erklärungen über private Interessen zuständig ist, eine Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne dieser Bestimmungen darstellt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
HAAAJ-56949