BVerwG Urteil v. - 10 C 4/22

Keine Anwendung des IFG auf Glückwunschschreiben des Bundespräsidenten an ausländische Staaten

Leitsatz

1. Präsidentielle Akte des Bundespräsidenten und ihre Vorbereitung sind nicht vom Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes umfasst.

2. Die Übermittlung eines Glückwunschschreibens an ein ausländisches Staatsoberhaupt ist ein präsidentieller Akt, den der Bundespräsident in seiner Funktion als Staatsoberhaupt in Ausübung seiner allgemeinen Repräsentations- und Integrationsaufgaben wahrnimmt, die ihm über die von der Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse hinaus zukommen.

Gesetze: § 1 Abs 1 IFG

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 12 B 25/20 Urteilvorgehend Az: 2 K 181.19 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger, ein Journalist, begehrt nach dem Informationsfreiheitsgesetz Zugang zu Glückwunschtelegrammen des Bundespräsidenten an den Staatspräsidenten der Islamischen Republik Iran anlässlich des iranischen Nationalfeiertages sowie den dazugehörigen Verwaltungsvorgängen und Aktenvermerken. Seinen Antrag lehnte das Bundespräsidialamt ab.

2Die Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Die Heranziehung der Begründung des Gesetzentwurfs zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des Informationsfreiheitsgesetzes sei eine nachrangige und wenig hilfreiche Auslegungsmethode. Bei der Übermittlung von Glückwunschschreiben an ausländische Staatsoberhäupter handele der Bundespräsident nicht als Verfassungsorgan, sondern nehme eine informelle Tätigkeit wahr, die dem Verwaltungshandeln zuzurechnen sei. Im Rahmen des Anspruchs nach dem Informationsfreiheitsgesetz sei die Wertung des Art. 10 Abs. 1 EMRK zu berücksichtigen.

3Der Kläger beantragt,

unter teilweiser Änderung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom und des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom den Bescheid des Bundespräsidialamtes vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Einsicht in sämtliche Gruß- und Glückwunschschreiben anlässlich des "Tages der Revolution" seit Gründung der Islamischen Republik Iran ab dem Jahr 1994 bis zum letzten Glückwunschschreiben im Jahr 2019 sowie die dazu gehörigen Verwaltungsvorgänge und Aktenvermerke - durch Farbkopie - zu gewähren, ausgenommen die Jahre 2007 bis 2013.

4Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

5Sie verteidigt das angegriffene Berufungsurteil.

Gründe

6Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Revisionsinstanz - hinsichtlich des Glückwunschschreibens aus dem Jahr 1993 - übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist insoweit wirkungslos (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).

7Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat den Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes zutreffend als nicht eröffnet angesehen. Bei der Übermittlung eines Glückwunschschreibens des Bundespräsidenten an ein ausländisches Staatsoberhaupt handelt es sich um einen präsidentiellen Akt und nicht um die Wahrnehmung einer öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgabe. Der Kläger hat deshalb keinen Anspruch gegenüber dem Bundespräsidialamt auf Zugang zu den begehrten Informationen.

81. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Für sonstige Bundesorgane und Bundeseinrichtungen gilt das Gesetz, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 IFG).

9Beim Bundespräsidialamt handelt es sich zwar um eine Behörde im organisationsrechtlichen Sinne. Der Behördenbegriff des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG ist jedoch funktioneller Natur. Eine Behörde ist jede Stelle im Sinne einer eigenständigen Organisationseinheit, die öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnimmt ( 7 C 1.12 - NVwZ 2013, 431 Rn. 22). Der Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes bezieht sich daher allein auf die materielle Verwaltungstätigkeit der Behörden und sonstigen Stellen des Bundes (vgl. 7 C 1.14 - BVerwGE 152, 241 Rn. 15). Diese bestimmt sich nach materiellen Kriterien in negativer Abgrenzung zu den anderen Staatsfunktionen (vgl. 7 C 3.11 - BVerwGE 141, 122 Rn. 13).

10Das Berufungsgericht hat für seine Annahme, dass es sich bei der streitgegenständlichen Tätigkeit des Bundespräsidialamtes nicht um eine Verwaltungsaufgabe handelt, zu Recht die Begründung des Entwurfs zum Informationsfreiheitsgesetz herangezogen. Der Gesetzgeber legt in § 1 Abs. 1 IFG die grundsätzliche Zugänglichkeit von staatlichen Vorgängen und damit zugleich deren Öffnung als Informationsquelle fest, so dass in diesem Umfang der Schutzbereich der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG eröffnet wird (vgl. - BVerfGE 145, 365 Rn. 20; 10 C 2.22 - K&R 2023, 623 Rn. 33). Entscheidend für die Auslegung des Begriffs der öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgaben ist deshalb das Regelungsziel des Informationsfreiheitsgesetzes, wie es sich insbesondere unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien erschließt (vgl. 7 C 3.11 - BVerwGE 141, 122 Rn. 19).

11Nach der Begründung des Gesetzentwurfs fällt die Tätigkeit des Bundespräsidialamtes in der Regel nicht in den Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes, insbesondere nicht die Vorbereitung präsidentieller Akte des Bundespräsidenten (BT-Drs. 15/4493 S. 8). Diese Begründung ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht widersprüchlich, sondern eindeutig. Sie schließt unmittelbar an die Begründung des Gesetzentwurfs zu den in § 1 Abs. 1 Satz 2 IFG genannten Staatsfunktionen an, worin, soweit es um die diesen zuzuordnenden spezifischen Aufgaben geht, im Wesentlichen die Tätigkeitsbereiche umschrieben werden, auf die das Informationsfreiheitsgesetz sich nicht erstreckt (vgl. 7 C 1.14 - BVerwGE 152, 241 Rn. 15).

12a) Die Übersendung eines Glückwunschtelegramms des Bundespräsidenten an ein ausländisches Staatsoberhaupt ist ein präsidentieller Akt, den er in seiner Funktion als Staatsoberhaupt in Ausübung seiner allgemeinen Repräsentations- und Integrationsaufgaben wahrnimmt, die ihm über die von der Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse hinaus zukommen (vgl. u. a. - BVerfGE 136, 277 Rn. 94). Der Bundespräsident repräsentiert hierbei Staat und Volk der Bundesrepublik nach außen. Er verkörpert die Einheit des Staates. Wie der Bundespräsident seine ungeschriebenen Verfassungsaufgaben der Repräsentation und Integration mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst (vgl. - BVerfGE 136, 323 Rn. 25). Für den Einwand des Klägers, bei der Ausübung ungeschriebener Staatsaufgaben repräsentativen Charakters durch den Bundespräsidenten könne es sich nicht um einen präsidentiellen Akt handeln, fehlt jeder Anhaltspunkt. Gegen ihn spricht auch die Begründung des Entwurfs zum Informationsfreiheitsgesetz, die mit der Ausübung des Ordensrechts in ihrer nicht abschließenden Aufzählung der präsidentiellen Akte eine dem Bundespräsidenten nicht vom Grundgesetz ausdrücklich zugewiesene Materie benennt (BT-Drs. 15/4493 S. 8). Umgekehrt wird dem Bundespräsidenten in Art. 60 Abs. 1 GG die Ernennung und Entlassung u. a. der Bundesrichter und Bundesbeamten ausdrücklich zugewiesen, während diese Aufgaben in der Begründung des Gesetzentwurfs nicht als Beispiele für präsidentielle Akte genannt werden. Ein präsidentieller Akt des Bundespräsidenten erfordert nach allem auch keine Rechtsverbindlichkeit.

13Am Vorliegen eines präsidentiellen Aktes ändert es schließlich nichts, dass auch Mitglieder der Bundesregierung Glückwunschschreiben an ausländische Staatsoberhäupter versenden. Dies geschieht gegebenenfalls in Ausübung ihrer Befugnis zur Staatsleitung (vgl. Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 62 Rn. 30 ff.). Hierdurch wird die Wahrnehmung der Repräsentationsfunktion durch den Bundespräsidenten bei der Übermittlung entsprechender eigener Glückwunschschreiben nicht in Frage gestellt.

14b) Das Bundespräsidialamt bereitet die Glückwunschschreiben des Bundespräsidenten an ausländische Staatsoberhäupter durch Entwürfe und die dazugehörigen Aktenvermerke, die den Verwaltungsvorgängen zu entnehmen sind, vor. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs fällt bereits die Vorbereitung präsidentieller Akte nicht in den Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes (BT-Drs. 15/4493 S. 8). Wegen der strikten Akzessorietät der Aufgaben des Amtes zu denjenigen des Bundespräsidenten ist das Bundespräsidialamt nur insoweit informationspflichtig, als dies auch für den Bundespräsidenten anzunehmen ist (vgl. auch Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 138, 191). Entgegen der Auffassung des Klägers ist diese Aufgabenverteilung mit derjenigen im Verhältnis der Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu dessen Wissenschaftlichen Diensten nicht vergleichbar. Die Informationsaufbereitung und Wissensgenerierung durch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, die als solche Verwaltungsaufgabe ist, liegt der mandatsbezogenen Aufgabenerfüllung der Abgeordneten voraus. Deshalb ist der Informationszugang zu den Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes als solchen nicht geeignet, die parlamentarische Tätigkeit eines Abgeordneten nachteilig zu beeinflussen (vgl. 7 C 1.14 - BVerwGE 152, 241 Rn. 18 f.). An einer solchen Unterscheidung fehlt es jedoch bei der Vorbereitung präsidentischer Akte durch das Bundespräsidialamt.

152. Als Journalist kann sich der Kläger zwar auf das Jedermannsrecht des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG berufen (vgl. 7 C 1.12 - NVwZ 2013, 431 Rn. 46). Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Funktion von Journalisten als "public watchdog" (vgl. EGMR, Urteil vom - 6106/16 - NVwZ 2022, 533 Rn. 35, 38) zwingt jedoch umgekehrt nicht dazu, den Behördenbegriff des Informationsfreiheitsgesetzes im Lichte von Art. 10 Abs. 1 EMRK erweiternd auszulegen.

16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 3 und § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:091123U10C4.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 849 Nr. 12
BAAAJ-56724