BGH Beschluss v. - I ZB 24/23

Instanzenzug: Az: 25 T 330/22vorgehend Az: 663 M 367/22nachgehend Az: I ZB 24/23 Beschluss

Gründe

1I. Die für die Stadt Mönchengladbach als Gläubigerin tätige Stadtkasse betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung.

2Mit Schreiben vom beantragte die Stadtkasse die Abnahme der Vermögensauskunft und bei unentschuldigtem Fernbleiben des Schuldners den Erlass eines Haftbefehls. Der Antrag endete mit der Unterschrift einer Mitarbeiterin. Er wurde eingescannt und elektronisch über das besondere elektronische Behördenpostfach ohne qualifizierte elektronische Signatur übersandt. Der Schuldner blieb dem vom Gerichtsvollzieher anberaumten Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft am ohne Entschuldigung fern.

3Das Amtsgericht hat den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Haftbefehlsantrag weiter.

4II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, das Amtsgericht habe den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zu Recht zurückgewiesen, weil kein formell ordnungsgemäßer Titelersatz vorliege. Hierfür sei für den Fall, dass der Vollstreckungsauftrag mit einem Antrag auf Erzwingungshaft verbunden werde, die Unterschrift oder ein Beglaubigungsvermerk sowie ein Dienstsiegel erforderlich. Fehlten diese, sei für die elektronische Übermittlung zur Gewährleistung der Authentizität des Antrags eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich, die im Streitfall nicht erfolgt sei.

5III. Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

61. Der mit der Rechtsbeschwerde gerügte Verstoß gegen das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen unterliegt gemäß § 576 Abs. 1 ZPO der Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, weil es sich hierbei um Vorschriften handelt, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt.

72. Das im Zeitpunkt der Stellung des Vollstreckungsauftrags geltende Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen ist mit Wirkung vom durch das Gesetz zur Änderung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW und weiterer Vorschriften vom (GV. NRW. 2023, 230) geändert worden. Sowohl nach altem als auch nach neuem Verwaltungsvollstreckungsrecht kann die Vollstreckungsbehörde den Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsbeamten der Justizverwaltung mit der Abnahme der Vermögensauskunft beauftragen (§ 3 Abs. 2 Satz 2, § 5a Abs. 1 Satz 5 VwVG NW aF/§ 3a Abs. 1 Satz 1, § 5a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwVG NW nF). Dabei tritt nach altem wie nach neuem Recht der Auftrag der Vollstreckungsbehörde, der eine Erklärung über die Vollstreckbarkeit, die Höhe und den Grund der Forderung enthalten muss, an die Stelle der Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung (§ 5a Abs. 4 Satz 1 VwVG NW aF/§ 3a Abs. 3 Satz 1 VwVG NW nF).

83. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts bedurfte es nach dem im Zeitpunkt der Stellung des mit einem Haftbefehlsantrag verbundenen Vollstreckungsauftrags geltenden alten Recht neben der Unterschrift keines Dienstsiegels, so dass die Schlussfolgerung des Beschwerdegerichts, im Falle der Abwesenheit einer Unterschrift nebst Dienstsiegel sei bei elektronischer Übermittlung zur Sicherung der Authentizität eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich, der Grundlage entbehrt.

9a) Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 VwVG NW aF unterliegt die Vollstreckung durch Vollstreckungsbeamte der Justizverwaltung den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Kraft dieser Verweisung gilt für die Einreichung des Vollstreckungsauftrags die Vorschrift des § 753 ZPO, die in Absatz 4 Satz 2 auf § 130a ZPO und die auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnung sowie in Absatz 5 auf § 130d ZPO verweist. Nach § 130d Satz 1 ZPO hat die Einreichung schriftlich einzureichender Anträge - um einen solchen handelt es sich bei dem vorliegenden Vollstreckungsauftrag - durch eine Behörde in elektronischer Form zu erfolgen.

10b) Nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO entspricht der Vollstreckungsauftrag den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert oder (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist. Weitere Formerfordernisse bestehen nicht. Insbesondere können die nach der Senatsrechtsprechung geltenden Anforderungen für einen in Papierform eingereichten Vollstreckungsantrag zur Beitreibung von Gerichtskosten nach § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG (Beschluss vom - I ZB 27/14, DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 12 f. und 16]) auf einen elektronisch eingereichten Vollstreckungsantrag nicht übertragen werden. Dieser bedarf mithin auch keines Dienstsiegels (vgl. , WM 2023, 1271 [juris Rn. 22, 32]).

11c) Ein solches Erfordernis lässt sich - entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts - auch nicht der Vorschrift des § 5a VwVG NW aF entnehmen.

12aa) Ein Dienstsiegel ordnet § 5a Abs. 4 Satz 2 VwVG NW aF zwar für Vollstreckungsaufträge an, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellt werden. Diese Vorschrift betrifft die Verwendung technischer Einrichtungen, die nach vorher festgelegten Parametern autonom, also ohne weiteres menschliches Einwirken, funktionieren (zu § 35a VwVfG vgl. BeckOK.VwVfG/Prell, 61. Edition [Stand ], § 35a Rn. 5). Der vorliegend zu betrachtende Vollstreckungsauftrag ist nicht mittels solcher Einrichtungen erstellt worden.

13bb) § 5a Abs. 4 Satz 6 VwVG aF sieht für den Fall, dass der Vollstreckungsauftrag mit einem Antrag auf Erzwingungshaft verbunden wird, das Erfordernis einer Unterschrift oder eines Beglaubigungsvermerks vor. Im Streitfall ist der Antrag nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts unterschrieben worden, so dass dieses Erfordernis gewahrt ist. Eines Dienstsiegels bedarf es auch nach dieser Vorschrift nicht.

144. Nach neuem Landesvollstreckungsrecht unterliegt die Vollstreckung durch Vollstreckungsbeamte der Justizverwaltung gemäß § 3a Abs. 2 Satz 1 VwVG NW nF den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, soweit nicht dieses Gesetz etwas anderes bestimmt. Die Vorschrift des § 3a Abs. 4 VwVG NW nF sieht vor, dass der Auftrag der Vollstreckungsbehörde als elektronisches Dokument zu erstellen und zu übermitteln ist (Satz 1) und dass es keiner Unterschrift und keines Siegels bedarf (Satz 2). Die Anforderungen an die Übermittlung als elektronisches Dokument ergeben sich aus den über die Verweisung in § 3a Abs. 2 Satz 1 VwVG NW nF berufenen Vorschriften der § 753 Abs. 4 und 5, §§ 130a und 130d ZPO (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zur Änderung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW und weiterer Vorschriften, Landtag Nordrhein-Westfalen Drucks. 18/3391, S. 34 f.). Die Regelung über die Entbehrlichkeit des Dienstsiegels in § 3a Abs. 4 Satz 2 VwVG NW nF geht allerdings diesen Vorschriften kraft gesetzlicher Anordnung in § 3a Abs. 2 Satz 1 VwVG NW nF ("soweit nicht in diesem Gesetz … etwas Anderes geregelt ist") vor. Damit ist nach neuem Recht die vorliegende Streitfrage dahingehend entschieden, dass es keines Dienstsiegels bedarf (vgl. , DGVZ 2023, 175 [juris Rn. 15]).

155. Bislang fehlen allerdings hinreichende Feststellungen dazu, ob die Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO erfolgt ist.

16a) Nach § 6 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) können Behörden zur Übermittlung elektronischer Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg bei Einhaltung bestimmter Anforderungen ein besonderes elektronisches Behördenpostfach nutzen. Unter anderem muss nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV feststellbar sein, dass das elektronische Dokument vom Postfachinhaber versandt wurde.

17Die Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs durch eine berechtigte Person wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis bestätigt. Dabei handelt es sich um eine elektronische Signatur, die an eine Nachricht angebracht wird, wenn das Versandpostfach nach Authentifizierung und Identifizierung des Postfachinhabers in einem sicheren Verzeichnisdienst geführt wird und der Postfachinhaber zum Zeitpunkt der Erstellung der Nachricht sicher an dem Postfach angemeldet ist. Ob das eingegangene Dokument über einen sicheren Übermittlungsweg versandt worden ist, lässt sich (allein) anhand eines Prüfvermerks, Transfervermerks oder Prüfprotokolls zuverlässig erkennen, nicht aber aus dem Dokument selbst (vgl. , WM 2023, 1271 [juris Rn. 19] mwN).

18b) Das Beschwerdegericht hat das Vorliegen eines vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises für den Vollstreckungsauftrag bislang nicht festgestellt. Diese Feststellungen wird es nachzuholen haben.

196. Darüber hinaus wird das Beschwerdegericht zu prüfen haben, ob die weiteren Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls erfüllt sind.

20IV. Der Senat kann daher nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 4 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:121023BIZB24.23.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-56655