BGH Urteil v. - VIa ZR 159/22

Diesel-Abgasskandal: Schadensersatzanspruch aufgrund des Kaufs eines Mercedes-Benz C 220 CDI mit einem Dieselmotor Typ OM 651 Euro 5

Leitsatz

Auf den Differenzschaden ist der Restwert des Fahrzeugs im Wege der Vorteilsausgleichung ohne Rücksicht darauf anzurechnen, ob er durch eine Weiterveräußerung realisiert worden ist (Bestätigung von VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 80,  BGHZ 237, 245).

Gesetze: § 31 BGB, § 249 BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV

Instanzenzug: Az: I-10 U 67/21vorgehend LG Wuppertal Az: 6 O 196/19 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb Anfang Juli 2013 für 31.000 € von einem Dritten ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz C 220 CDI, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Die Emissionskontrolle erfolgt mittels Abgasrückführung und in Abhängigkeit von Temperaturen (Thermofenster). Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) veranlasste in Bezug auf das Fahrzeug des Klägers keinen Rückruf. Gleichwohl bot die Beklagte ein vom KBA freigegebenes Software-Update im Zuge einer freiwilligen Service-Maßnahme an.

3Der Kläger hat gestützt auf die Behauptung, das Fahrzeug verfüge neben dem Thermofenster über eine auf die Prüfstandsbedingungen optimierte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), von der Beklagten zuletzt die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verlangt. Ferner hat der Kläger die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und ihrer Schadensersatzpflicht beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Dem Kläger stehe kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Denn er habe die nach § 826 BGB erforderliche sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nicht hinreichend dargetan. In Bezug auf das verwendete Thermofenster stehe der Sittenwidrigkeit entgegen, dass dieses nicht nur im Prüfstandsbetrieb, sondern auch im gewöhnlichen Fahrbetrieb Verwendung finde. Wie hinsichtlich des Thermofensters sei auch die KSR betreffend eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten nicht ersichtlich. Das KBA habe die betreffende Funktion nicht beanstandet, sondern ein freiwilliges Software-Update genehmigt. Das geschehe nur dann, wenn das KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt habe. Auch habe das KBA ein dem Fahrzeug des Klägers entsprechendes Fahrzeug überprüft und festgestellt, dass die KSR nicht grenzwertrelevant sei.

7Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestünden mit Rücksicht auf den Schutzzweck der genannten Bestimmungen nicht.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Das gilt nicht nur mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (, NJW 2021, 921 Rn. 16 ff.) für das unstreitig verwendete Thermofenster, sondern auch für die vom Kläger behauptete KSR. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei für die erforderliche Prüfung der Sittenwidrigkeit an eine seitens des KBA unternommene Untersuchung eines mit dem Fahrzeug des Klägers vergleichbaren Fahrzeugs mit einem Motor der hier in Rede stehenden Baureihe OM 651 und einer nach Maßgabe der Abgasnorm Euro 5 erteilten EG-Typgenehmigung angeknüpft und im Hinblick auf die dabei festgestellte mangelnde Grenzwertkausalität die Sittenwidrigkeit verneint. Im Fall der fehlenden Grenzwertkausalität bestehen keine Anhaltspunkte für eine Täuschung der Genehmigungsbehörde mit dem Ziel, die EG-Typgenehmigung zu erhalten (vgl. , juris Rn. 17; Urteil vom - VIa ZR 535/21, zVb).

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Der Zurückweisungsbeschluss ist daher aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13Sollte das Berufungsgericht im wiedereröffneten Berufungsverfahren die Voraussetzungen für einen Differenzschaden des Klägers bejahen, wird es zu beachten haben, dass der Restwert des Fahrzeugs nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 80) im Wege der Vorteilsausgleichung ohne Rücksicht darauf anzurechnen ist, ob er durch eine Weiterveräußerung realisiert worden ist (unzutreffend anders , juris Rn. 56 ff.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:271123UVIAZR159.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 8 Nr. 5
WM 2024 S. 224 Nr. 5
GAAAJ-56611