Online-Nachricht - Donnerstag, 11.01.2024

Außensteuergesetz | Wegzugsbesteuerung bei einem Wegzug in die Schweiz und Freizügigkeit (BFH)

Auch wenn nach unionsrechtlichen Vorgaben in Verbindung mit dem sog. Freizügigkeitsabkommen der EU und der Schweiz bei einem im Jahr 2011 erfolgten Wegzug in die Schweiz die im Wegzugszeitpunkt entstehende nationale Steuer auf den Vermögenszuwachs (Wegzugsteuer) dauerhaft und zinslos zu stunden ist ( „Wächtler“), hindert dies die Festsetzung der Steuer nicht (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt und Verfahrensgang: Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und seit 2008 Geschäftsführer einer GmbH mit Sitz in der Schweiz, an der er zu 50 % beteiligt ist. Im Streitjahr 2011 war der Kläger verheiratet, beantragte aber eine getrennte Veranlagung zur Einkommensteuer. Im März 2011 verzog der Kläger in die Schweiz, wo er seitdem wohnt.

Aufgrund des Wegzugs veranlagte das Finanzamt den Kläger unter Berücksichtigung der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG i.V. mit § 17 EStG für die latenten Wertzuwächse seiner Gesellschaftsanteile bis zum Zeitpunkt seines Umzugs.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg (, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 3.11.2020). Zuvor hatte das FG Baden-Württemberg an den EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen gerichtet, über das dieser mit Urteil v. - C-581/17 „"Wächtler" (s. hierzu ausführlich Nürnberg, ) entschieden hat.

Auf die Revision des FA hoben die Richter des BFH das FG-Urteil auf und wiesen die Klage ab:

  • Auch wenn auf der Grundlage des im Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens ergangenen EuGH-Urteils Wächtler § 6 AStG geltungserhaltend mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass die Wegzugsteuer im Rahmen des Steuererhebungsverfahrens dauerhaft und zinslos von Amts wegen zu stunden ist, kann sie im (hier angegriffenen) Einkommensteuerbescheid festgesetzt werden.

  • Das FG hat die Reichweite der in ständiger Rechtsprechung bei Unionsrechtsverstößen zugelassenen sog. geltungserhaltenden Reduktion des nationalen Rechts zu eng bestimmt. Denn es geht insoweit um eine Gesetzesanwendung, die den Anwendungsvorrang des unmittelbar geltenden Unionsrechts unter größtmöglicher Wahrung des national-rechtlichen Gesetzesbefehls sicherstellt.

  • Die Unionsrechtswidrigkeit führt danach gerade nicht zu einer vollständigen Unanwendbarkeit oder Nichtigkeit der nationalen Vorschrift. Vielmehr ist dem Anwendungsvorrang des Primärrechts vor nationalem Recht durch das "Hineinlesen" der vom EuGH verbindlich formulierten unionsrechtlichen Erfordernisse in die betroffene Norm Rechnung zu tragen (z.B. , BStBl II 2010, 692; v. - I R 69/12, m.w.N.).

  • Infolgedessen kann es geboten sein, ein "europarechtswidriges Tatbestandsmerkmal" nicht zu beachten (, BStBl II 2008, 976; v. - X R 15/08, BFH/NV 2009, 559) oder einen im nationalen Gesetz nicht vorgesehenen Gegenbeweis zuzulassen (z.B. , BStBl II 2010, 774; v. - I R 21/06, BStBl II 2010, 692), im Übrigen aber die Vorschrift in ihrem Bestand zu erhalten.

  • Nach diesen allgemeinen Maßstäben, die im Schrifttum Zustimmung erfahren haben (z.B. Hey, StuW 2010, 301; Kokott/Henze in Mellinghoff/Schön/Viskorf, Steuerrecht im Rechtsstaat, Festschrift für Wolfgang Spindler, 2011, S. 279, 293 ff.) und auch im Bereich der Anwendung der FZA-Maßgaben Anwendung finden, um eine materiell-rechtliche Besserstellung der dortigen Regelungsadressaten im Vergleich zu Unionsrechtsbürgern bei Anwendung der Grundfreiheiten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu verhindern, ist es zulässig, im Zeitpunkt des Wegzugs in die Schweiz die Wegzugsteuer gemäß § 6 Abs. 1 AStG festzusetzen (a.A. Hörnicke, ISR 2021, 97, 101 und 103; wohl auch Schönfeld/Erdem, StuW 2022, 70, 93).

  • Damit wird auch ermöglicht, auf den Zeitpunkt des Wegzugs festzuhalten, auf welchen Anteil des Steuersubstrats das Besteuerungsrecht des Wegzugsstaates entfällt (so ). Zugleich ist aber den vom EuGH verbindlich formulierten Vorgaben dadurch Rechnung zu tragen, dass die im nationalen Gesetz nicht vorgesehene zinslose und bis zur Anteilsveräußerung andauernde Stundung von Amts wegen zu gewähren ist, um dem Steuerpflichtigen die Ausübung seines Rechts, sich in der Schweiz niederzulassen, zu ermöglichen.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
LAAAJ-56605