BFH Urteil v. - VIII R 31/20 BStBl 2024 II S. 184

Notwendige Beiladung der Erben eines im Revisionsverfahren verstorbenen beizuladenden Gesellschafters

Leitsatz

1. Die Erben eines gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung notwendig beizuladenden ehemaligen Gesellschafters, der während des Revisionsverfahrens verstirbt, sind notwendig beizuladen.

2. Die Erben sind auch dann notwendig beizuladen, wenn der Rechtsstreit die Zeit bis zum Eintritt der Erbfolge betrifft, sie nach dem Erbfall aber nicht selbst Gesellschafter der klagenden Personengesellschaft werden.

3. Das Revisionsverfahren wird aufgrund des Todes eines notwendig Beizuladenden während des Verfahrens nicht unterbrochen.

Gesetze: FGO § 48 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 3; FGO § 60 Abs. 3; FGO § 155; ZPO § 239 Abs. 1; EStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1; EStG § 18 Abs. 4 Satz 2;

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I.

1 Streitig ist, ob für die in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG als Steuerberatungsgesellschaft gegründete Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für das Jahr 2016 (Streitjahr) Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit oder Einkünfte aus Gewerbebetrieb gesondert und einheitlich festzustellen sind.

2 Gesellschafter der Klägerin im Streitjahr waren nach § 5 des Gesellschaftsvertrags der Klägerin die Z Steuerberatungsgesellschaft mbH (Beigeladene) als Komplementärin ohne Beteiligung am Gewinn, Verlust und Gesellschaftsvermögen, als weiterer Komplementär Herr Steuerberater A, der in Höhe von 99,9 % am Gewinn und am Vermögen der Klägerin beteiligt war und Frau Steuerberaterin B, die als Kommanditistin in Höhe von 0,1 % am Gewinn, Verlust und Gesellschaftsvermögen beteiligt war. A war im Streitjahr zugleich Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beigeladenen.

3 Geschäftsgegenstand der Klägerin war nach § 2 des Gesellschaftsvertrags die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen und die Ausübung damit vereinbarer Tätigkeiten entsprechend § 33 i.V.m. § 57 Abs. 3 des Steuerberatungsgesetzes einschließlich der Treuhandtätigkeit. Das im Streitjahr maßgebliche Geschäftsjahr lief als Rumpfgeschäftsjahr von deren Eintragung im Handelsregister am bis zum (§ 4 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags).

4 Im Streitjahr waren A und die Beigeladene für die Klägerin jeweils einzelvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs befreit. A und die Beigeladene waren als persönlich haftende Gesellschafter jeweils auch einzeln geschäftsführungs- und vertretungsbefugt (§ 9 i.V.m. § 10 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags). Für den Fall, dass bei der Willensbildung zu Geschäftsführungsmaßnahmen innerhalb der Geschäftsführung keine Einigkeit erzielt werden konnte, waren die Stimmen der Steuerberater unter den persönlich haftenden Gesellschaftern ausschlaggebend. A und die Beigeladene durften nach § 11 des Gesellschaftsvertrags zudem nicht in ihrer Unabhängigkeit und Freiheit zu pflichtgemäßem Handeln beeinträchtigt werden.

5 Nach § 11 des Gesellschaftsvertrags hatten die Beigeladene und A die Gesellschafterversammlungen der Klägerin einzuberufen. Die Beigeladene war in den Gesellschafterversammlungen jedoch nicht stimmberechtigt, da nach dem Gesellschaftsvertrag nur je angefangene 100,00 € der Festeinlage eine Stimme in der Gesellschafterversammlung gewährt wurde und die Beigeladene keine Festeinlage leisten musste und auch nicht geleistet hatte.

6 A und die Beigeladene hatten als persönlich haftende Gesellschafter der Klägerin den Jahresabschluss für das abgelaufene Geschäftsjahr festzustellen (§ 12 des Gesellschaftsvertrags). Der Gewinn war nur zwischen B und A quotal zu verteilen. Die Beigeladene nahm am Ergebnis nicht teil.

7 Im Fall der Auflösung der Klägerin waren A und die Beigeladene als Liquidatoren bestimmt, soweit nicht durch Beschluss der Gesellschafterversammlung besondere Liquidatoren bestellt würden (§ 15 des Gesellschaftsvertrags).

8 Mit ihrer aktiven Geschäftstätigkeit als Steuerberatungsgesellschaft begann die Klägerin erst nach dem Streitjahr im März 2017.

9 Im Bescheid zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte für das Streitjahr vom wurden A (Beteiligung 99,9 %), die Beigeladene (Beteiligung 0 %) und B (Beteiligung 0,1 %) als Feststellungsbeteiligte behandelt. Als Einkunftsart der Klägerin wurden Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgestellt. Es wurden ein negativer laufender Gesamthandsgewinn in Höhe von 689,62 € und Sonderbetriebseinnahmen des A in Höhe von 1,22 € festgestellt. Der negative laufende Gesamthandsgewinn wurde an B und an A quotal verteilt.

10 Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) sah die Beigeladene als Mitunternehmerin der Klägerin an. Da die Beigeladene kraft Rechtsform gemäß § 8 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) Einkünfte aus Gewerbebetrieb erziele, sei sie als berufsfremde, nicht freiberuflich tätige Mitunternehmerin der Klägerin zu qualifizieren. Dies schließe die Erzielung und Feststellung von Einkünften aus selbständiger Arbeit auf Ebene der Klägerin aus. Die Begründung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 204 mitgeteilt.

11 Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt im Hinblick auf die Einordnung der Beigeladenen als Mitunternehmerin der Klägerin im Streitjahr die Verletzung materiellen Bundesrechts.

12 Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das sowie die Einspruchsentscheidung vom und den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte für das Streitjahr vom dergestalt zu ändern, dass Einkünfte aus selbständiger Arbeit gesondert und einheitlich festgestellt werden.

13 Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

14 Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

15 Die Beigeladene trat bereits am als Komplementärin wieder aus der Klägerin aus. Nach der Zustellung des FG-Urteils am wechselte A zum von der Stellung als Komplementär in die Stellung eines Kommanditisten der Klägerin. B übertrug ihren Mitunternehmeranteil zum auf A und schied aus der Klägerin aus, sodass A ab diesem Zeitpunkt alleiniger Kommanditist der Klägerin war. (Alleinige) Komplementärin der Klägerin war seit dem die wieder in die Klägerin eingetretene Beigeladene.

16 A übertrug im Jahr 2021 seinen Kommanditanteil auf die Y Familienstiftung als neue alleinige Kommanditistin. A verstarb während des Revisionsverfahrens am . Zum Zeitpunkt des Todes des A bestand die Klägerin somit nur noch aus der Beigeladenen als Komplementärin und der Y Familienstiftung als Kommanditistin. Die Erben des A sind nicht bekannt.

Gründe

II.

17 Die Revision ist begründet.

18 B und die (derzeit unbekannten) Erben des A sind zum Verfahren gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) jeweils notwendig beizuladen. Der Senat übt das ihm nach § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO eingeräumte Ermessen dahingehend aus, die erforderlichen notwendigen Beiladungen nicht selbst vorzunehmen und den Streitfall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

19 1. B und A sind als nach dem Streitjahr aus der Klägerin ausgeschiedene Gesellschafter gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren notwendig beizuladen. Da A während des Revisionsverfahrens verstorben ist, sind dessen (derzeit unbekannte) Erben als Gesamtrechtsnachfolger notwendig beizuladen.

20 a) Die Feststellung zur Art der auf Ebene der Mitunternehmerschaft erzielten Einkünfte gehört zu den selbständig anfechtbaren Feststellungen eines Gewinnfeststellungsbescheids (vgl. z.B. , BFH/NV 2008, 53, unter II.1. [Rz 21]; vom  - IV R 4/18, BFHE 271, 154, Rz 25, m.w.N.; vom  - IV R 18/19, BFHE 278, 273, BStBl II 2023, 326, Rz 14; vom  - IV R 5/19, BFHE 279, 450, BStBl II 2023, 649, Rz 30). Hinsichtlich der Feststellung zur Art der Einkünfte ist während ihres Bestehens die Gesellschaft (Klägerin) als Prozessstandschafterin gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO vorrangig klagebefugt (, BFH/NV 2008, 53, unter II.1. [Rz 21]; vom  - VIII R 63/93, BFHE 177, 28, BStBl II 1996, 93, unter I.3. [Rz 13]). Auch einem ausgeschiedenen Gesellschafter steht wegen dieser Feststellung gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO jedoch eine eigene Klagebefugnis zu (, BFHE 270, 363, BStBl II 2021, 367, Rz 16; vom  - VIII R 71/06, juris, unter III.1.b [Rz 25]; vom  - VIII R 77/05, BFH/NV 2008, 53, unter II.1. [Rz 22]).

21 b) Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO muss eine Beiladung notwendig erfolgen, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die gerichtliche Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Ausgeschiedene Gesellschafter sind im Verfahren über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Gewinns bei sie betreffenden streitigen Feststellungen stets notwendig beizuladen, und zwar auch dann, wenn es um Feststellungen geht, für die an sich nur der zur Vertretung berufene Geschäftsführer nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO klagebefugt ist (, juris, unter II.2. [Rz 11, 12]). Die notwendige Beiladung ist auch dann erforderlich, wenn ein Gesellschafter erst während eines bereits in Gang gesetzten Revisionsverfahrens aus einer Personengesellschaft ausscheidet, die als Prozessstandschafterin Klage gegen einen Feststellungsbescheid erhoben hat (vgl. , BFH/NV 2011, 271, Rz 22, 23). Ist der an sich klagebefugte und beizuladende ausgeschiedene Gesellschafter (Mitunternehmer) vor der Beiladung verstorben, sind dessen Erben notwendig beizuladen.

22 aa) Die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung sind im Hinblick auf die hier streitige Feststellung zur Art der Einkünfte für B und A erfüllt. Beide sind mit ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft im Jahr 2020 (B) und im Jahr 2021 (A) gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO im Revisionsverfahren klagebefugt geworden. Dass während der Mitunternehmerstellung beider Gesellschafter zunächst eine ausschließliche Klagebefugnis der Klägerin gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO bestand und die Klagebefugnis der Klägerin als Prozessstandschafterin bislang mangels Vollbeendigung der Klägerin auch nicht erloschen ist, steht der Klagebefugnis von B und A als ausgeschiedene Gesellschafter und der damit einhergehenden erforderlichen notwendigen Beiladung nicht entgegen (vgl. , BFH/NV 2011, 271, Rz 22, 23).

23 bb) Für den verstorbenen A sind dessen Erben als Gesamtrechtsnachfolger notwendig beizuladen (vgl. , juris, unter 2. [Rz 32]). Dies gilt selbst dann, wenn der oder die Erben nach dem Erbfall nicht selbst Gesellschafter der Klägerin werden sollten. Die Beiladung ist auch in diesem Fall erforderlich, weil der Rechtsstreit die Zeit bis zum Eintritt der Erbfolge betrifft. Da auch die Erben als Gesamtrechtsnachfolger des A wie dieser selbst durch die angefochtene Feststellung zur Art der Einkünfte für das Streitjahr betroffen sind, kann die Beiladung auch nicht ausnahmsweise unterbleiben (vgl. , juris, unter II.2. [Rz 13, 14]).

24 2. Der Senat übt das ihm nach § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO eingeräumte Ermessen dahingehend aus, die erforderlichen notwendigen Beiladungen von B und der (unbekannten) Erben des A nicht selbst vorzunehmen und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Der mit dieser Regelung verbundene Zweck der Verfahrensbeschleunigung kann im Streitfall nicht erreicht werden. Die Erben des A sind derzeit unbekannt und können vom Senat auch nicht ermittelt werden. Der Prozessbevollmächtigte hat mitgeteilt, das Testament des A sei trotz des seit dem Tod des A inzwischen vergangenen Zeitraums noch nicht eröffnet worden. Eine Entscheidung im Revisionsverfahren ohne Vornahme der Beiladungen kommt nicht in Betracht, da eine unterbliebene notwendige Beiladung ausgeschiedener klagebefugter Gesellschafter (oder von deren Erben) zu einem Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens führen würde (vgl. , BFH/NV 2018, 1156, Rz 18). Vorliegend ist die Zurückverweisung des Streitfalls an das FG auch deshalb zweckmäßig und ermessensgerecht, um B und den unbekannten Erben des A die Möglichkeit zu geben, sich zu dem angegriffenen Gewinnfeststellungsbescheid als Verfahrensbeteiligte (§ 57 Nr. 3 FGO) in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht äußern zu können.

25 3. Der Senat ist nicht wegen einer Unterbrechung des Revisionsverfahrens gemäß § 155 FGO i.V.m. § 239 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) an einer Entscheidung gehindert.

26 Zwar kann ein finanzgerichtliches Verfahren nach diesen Vorschriften auch unterbrochen sein, wenn ein notwendig Beigeladener als Verfahrensbeteiligter während des Verfahrens verstirbt (, BFHE 248, 28, BStBl II 2017, 34, Rz 11; zur unterbleibenden Unterbrechung, wenn die Vollmacht des Prozessbevollmächtigten über den Tod des vertretenen Beteiligten hinaus fort gilt s. aber § 155 FGO i.V.m. § 86, § 246 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO). Eine Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 155 FGO i.V.m. § 239 Abs. 1 ZPO setzt bei sinngemäßer Anwendung des Merkmals des „Todes einer Partei“ im Rahmen eines finanzgerichtlichen Verfahrens jedoch voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter im Sinne des § 57 Nr. 1 bis 3 FGO verstirbt. A hatte zum Zeitpunkt seines Todes die Stellung eines notwendig Beigeladenen nicht inne und war bis zu seinem Tod nicht Verfahrensbeteiligter gemäß § 57 Nr. 3 FGO geworden. Ein notwendig Beizuladender erhält die Stellung als Verfahrensbeteiligter gemäß § 57 Nr. 3 FGO erst durch den Beiladungsbeschluss, der gegenüber A bis zu dessen Tod nicht ergangen ist (vgl. , BFH/NV 2011, 271, Rz 24).

27 4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat im zweiten Rechtsgang die Beiladungen der B und der (unbekannten) Erben des A nachzuholen. Aus prozessökonomischen Gründen weist der Senat ohne Bindungswirkung gemäß § 126 Abs. 5 FGO zu dem Streitpunkt, ob die Beigeladene im Streitjahr Mitunternehmerin der Klägerin ist und ob die Voraussetzungen für eine Erzielung von Einkünften aus selbständiger Arbeit auf Ebene der Klägerin im Streitjahr erfüllt sind, auf Folgendes hin.

28 a) Die Beigeladene kann im Streitjahr Mitunternehmerin der Klägerin (und Feststellungsbeteiligte) sein, wenn sie ein schwach ausgeprägtes Mitunternehmerrisiko getragen hat, welches durch besonders stark ausgeprägte Mitunternehmerinitiativrechte kompensiert worden ist. Es erscheint aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG als naheliegend, dass die hierfür erforderlichen Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind.

29 aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist nicht jeder zivilrechtliche Gesellschafter einer Personengesellschaft auch Mitunternehmer im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Dies ist er nur dann, wenn er aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen (oder einer wirtschaftlich vergleichbaren) Stellung Mitunternehmerinitiative ausüben kann und ein Mitunternehmerrisiko trägt (, BFHE 238, 444, BStBl II 2013, 79; vom  - VIII R 63/13, BFHE 252, 294, BStBl II 2016, 383; Beschluss des Großen Senats des , BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751). Die Kriterien für die Annahme einer freiberuflichen Mitunternehmerschaft unterscheiden sich dabei grundsätzlich nicht von denen einer gewerblichen Mitunternehmerschaft (§ 18 Abs. 4 Satz 2 EStG, s. z.B. , BFHE 238, 444, BStBl II 2013, 79; vom  - VIII R 73/05, BFHE 221, 238, BStBl II 2008, 681, m.w.N.). Die Merkmale der Mitunternehmerinitiative und des Mitunternehmerrisikos können im Einzelfall mehr oder weniger ausgeprägt sein (z.B. BFHE 238, 444, BStBl II 2013, 79). Allerdings müssen beide Merkmale vorliegen. Bei Abweichungen von der Regelausprägung kann ein stark ausgeprägtes Initiativrecht ein schwach ausgeprägtes Mitunternehmerrisiko ausgleichen. Ob beide Merkmale vorliegen und ob gegebenenfalls eine solche Kompensation eines schwächer ausgeprägten Merkmals vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller die rechtliche und wirtschaftliche Stellung einer Person insgesamt bestimmenden Umstände zu würdigen. Die für die Entscheidung über die Mitunternehmerstellung erforderliche Gesamtwürdigung obliegt in erster Linie dem FG als Tatsacheninstanz. Sie ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar (, BFHE 238, 444, BStBl II 2013, 79; vom  - VIII R 74/03, BFHE 213, 358, BStBl II 2006, 595; vom  - VIII R 21/04, BFH/NV 2006, 1839, jeweils m.w.N.).

30 bb) Wie der BFH mehrfach entschieden hat, trägt der persönlich haftende Gesellschafter (Komplementär) in einer kapitalistisch organisierten KG wegen seines Haftungsrisikos ein Mitunternehmerrisiko und zwar selbst dann, wenn ihm kein Gewinnanteil und kein Anteil am Kapital der Gesellschaft (einschließlich einer Beteiligung an den stillen Reserven) zusteht und er im Innenverhältnis von der Haftung freigestellt wird. Ist neben einer (vermögenslosen) Komplementär-GmbH eine natürliche Person weiterer Komplementär und ist deshalb bei wirtschaftlicher Betrachtung die vorrangige Inanspruchnahme dieses Komplementärs durch Gläubiger der Klägerin wahrscheinlich, spricht dieses faktisch reduzierte Risiko der Inanspruchnahme im Außenverhältnis ebenfalls nicht gegen das Tragen von Mitunternehmerrisiko der Komplementär-GmbH. Es genügt, dass sich aus der Sicht der Komplementär-GmbH eine Inanspruchnahme im Außenverhältnis abstrakt weder ganz noch teilweise ausschließen lässt (, BFHE 144, 357, BStBl II 1987, 33, unter 2.b [Rz 16]; vom  - VIII R 42/10, BFHE 238, 444, BStBl II 2013, 79, Rz 25, 26).

31 cc) Hat die fehlende Beteiligung am Gewinn und Verlust des Unternehmens bei einer Komplementär-GmbH zur Folge, dass sich das Unternehmerrisiko auf eine unbeschränkte Haftung für die Schulden der KG begrenzt und damit die Regelanforderungen an das Vorliegen mitunternehmerischen Risikos nicht erfüllt werden, kann und muss das schwach ausgeprägte Mitunternehmerrisiko durch eine besondere Ausprägung der Mitunternehmerinitiativrechte kompensiert werden (, BFHE 213, 358, BStBl II 2006, 595, unter II.2.a [Rz 22]; vom  - IV R 100/06, BFH/NV 2010, 2056; vom  - IV R 6/01, BFH/NV 2003, 36, m.w.N.; vom  - VIII R 122/86, BFHE 163, 346). Zu den Anforderungen an ausreichend stark ausgeprägte (kompensierende) Mitunternehmerinitiativrechte einer Komplementär-GmbH hat der BFH unter anderem die folgenden Grundsätze aufgestellt.

32 aaa) Für eine Komplementär-GmbH, die alleinige Vollhafterin einer KG ist und nicht am Gewinn, Verlust und den stillen Reserven beteiligt ist, hat der Senat im (BFHE 238, 444, BStBl II 2013, 79) das Vorliegen ausreichend ausgeprägter Mitunternehmerinitiativrechte bejaht, wenn die Komplementär-GmbH die Kontroll-, Widerspruchs- und Informationsrechte ausüben kann, die einem Kommanditisten nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) zustehen (vgl. §§ 161 Abs. 2, 118, 164, 166 HGB, dazu , BFHE 155, 514, BStBl II 1989, 762, unter 1. [Rz 18]) und sie im Außenverhältnis vertretungsbefugt ist. Dies gilt selbst dann, wenn eine solche Komplementär-GmbH von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist und über kein Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung der KG verfügt (, BFHE 238, 444, BStBl II 2013, 79; vom  - VIII R 73/05, BFHE 221, 238, BStBl II 2008, 681, unter II.2.d [Rz 36]; auch , BFHE 181, 423, BStBl II 1997, 272, unter II.2.d [Rz 46]; zustimmend Kempermann, Finanz-Rundschau 2013, 284, 285; Dötsch, juris Praxisreport-Steuerrecht 5/2013 Anm. 1; kritisch Karl, GmbH-Rundschau 2013, 163, 163: problematisches Sonderrecht für die Mitunternehmerstellung einer Komplementär-GmbH).

33 bbb) Haften mehrere Gesellschafter als Komplementäre persönlich unbeschränkt für die Schulden einer KG, so liegen besonders stark ausgeprägte (kompensierende) Mitunternehmerinitiativrechte der Komplementär-GmbH vor, wenn ihr eine Einzelgeschäftsführungsbefugnis und Einzelvertretungsmacht eingeräumt wird (vgl. , BFHE 213, 358, BStBl II 2006, 595, unter II.2.a [Rz 22]). Ebenso genügt es für ausreichend ausgeprägte besondere Mitunternehmerinitiativrechte, wenn einem einzelnen Komplementär eine Einzelgeschäftsführungsbefugnis und ein Widerspruchsrecht gegen Geschäftsführungsmaßnahmen des anderen unbeschränkt haftenden und vertretungsberechtigten Gesellschafters (§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 114, § 115 HGB) zustehen (vgl. , BFHE 213, 358, BStBl II 2006, 595, unter II.2.a und II.3. [Rz 22, 25] mit Verweis auf , BFH/NV 2004, 1080, unter 2.e bb [Rz 31, 32]; vom  - VIII R 43/98, BFH/NV 1999, 1196, unter 1.a bis 1.a cc [Rz 15 bis 18]; zum Widerspruchsrecht s. § 161 Abs. 2, § 114 Abs. 1, § 115 Abs. 1 HGB, dazu Gummert in Gummert/Weipert, MünchHdb. GesellR II, 5. Aufl., § 52 Rz 1).

34 b) Wäre die Beigeladene nach diesen Vorgaben Mitunternehmerin der Klägerin, wären die Voraussetzungen für eine Erzielung und Feststellung von Einkünften aus selbständiger Arbeit nicht erfüllt.

35 aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH entfaltet eine Personengesellschaft nur dann eine Tätigkeit, die die Ausübung eines freien Berufs im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG darstellt, wenn sämtliche Gesellschafter die Merkmale eines freien Berufs erfüllen, denn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Freiberuflichkeit können nicht von der Personengesellschaft selbst, sondern nur von natürlichen Personen erfüllt werden. Das Handeln der Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit und damit das Handeln der Gesellschaft darf kein Element einer nicht freiberuflichen Tätigkeit enthalten. Das bedeutet, dass jeder Gesellschafter als Steuerpflichtiger die Hauptmerkmale des freien Berufs in eigener Person positiv erfüllen muss; er muss über die persönliche Berufsqualifikation verfügen und eine freiberufliche Tätigkeit, zu deren Ausübung er persönlich qualifiziert ist, tatsächlich auch entfalten. Erfüllt auch nur einer der Gesellschafter diese Voraussetzungen nicht, so erzielen alle Gesellschafter Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Der schädlichen Beteiligung eines Berufsfremden gleichgestellt ist die mitunternehmerische Beteiligung einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, da diese gemäß § 8 Abs. 2 KStG keine freiberuflichen Einkünfte beziehen kann, selbst wenn sie durch ihre Organe, insbesondere durch ihre Geschäftsführer, der Art nach ausschließlich freiberuflich tätig ist und sowohl diese als auch sämtliche Gesellschafter die persönliche Qualifikation für eine freiberufliche Tätigkeit besitzen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit auf seine Begründung in den Senatsurteilen vom  - VIII R 73/05, (BFHE 221, 238, BStBl II 2008, 681) und vom  - VIII R 42/10 (BFHE 238, 444, BStBl II 2013, 79, jeweils m.w.N.) Bezug.

36 bb) Die zu § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 1 und § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 Alternative 1 EStG und auch im Verlustfall für die sogenannte Seitwärtsabfärbung von der BFH-Rechtsprechung entwickelte absolute und relative Bagatellgrenze (vgl. , BFHE 278, 42, BStBl II 2023, 118, m.w.N.) ist im Fall des Erzielens auch geringfügiger gewerblicher Einkünfte wegen eines berufsfremden Mitunternehmers nicht anwendbar. Denn in diesem Fall ist der Tatbestand des § 18 EStG nicht erfüllt, sodass eine Abweichung vom Grundtatbestand des § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG wegen des Erzielens freiberuflicher Einkünfte nicht in Betracht kommt (, BFHE 238, 444, BStBl II 2013, 79, Rz 30; vom  - VIII R 24/17, BFHE 270, 310, BStBl II 2021, 81, Rz 22).

37 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2023:U.050923.VIIIR31.20.0

Fundstelle(n):
BStBl 2024 II Seite 184
AO-StB 2024 S. 40 Nr. 2
AO-StB 2024 S. 40 Nr. 2
BFH/NV 2024 S. 357 Nr. 3
BFH/PR 2024 S. 122 Nr. 4
DStR-Aktuell 2024 S. 13 Nr. 1
DStRE 2024 S. 243 Nr. 4
ErbBstg 2024 S. 85 Nr. 4
ErbBstg 2024 S. 87 Nr. 4
GStB 2024 S. 15 Nr. 4
GmbHR 2024 S. 780 Nr. 14
StuB-Bilanzreport Nr. 5/2024 S. 200
StuB-Bilanzreport Nr. 5/2024 S. 200
KAAAJ-56572