Nichtanrechnung von Ausbildungszeiten auf die Ausbildung zum Offizier des militärfachlichen Dienstes
Gesetze: § 6 Abs 1 WBO, § 7 Abs 1 WBO, § 38 VwVfG
Tatbestand
1Der Antrag betrifft die Anrechnung des von dem Antragsteller erworbenen Abschlusses als "staatlich geprüfter Hotelbetriebswirt" auf die Ausbildung zum Offizier des militärfachlichen Dienstes.
2Der 1978 geborene Antragsteller war von März 1999 bis Februar 2007 Soldat, davon in dem Zeitraum ab Juni 1999 in einem Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit. Im Juli 2007 erwarb er nach einer - im Rahmen einer Beförderungsdienstmaßnahme im Dienstgrad Stabsunteroffizier durchgeführten - Ausbildung an einer Hotelfachschule den Abschluss eines staatlich geprüften Hotelbetriebswirts. Im Jahre 2015 wurde der Antragsteller unter erneuter Berufung in ein Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zum Hauptfeldwebel ernannt. Seit 2018 ist er Berufssoldat. Der Antragsteller wurde im Oktober 2020 zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes zugelassen und führt seitdem den Dienstgrad eines Oberfähnrichs. Im Rahmen seiner Ausbildung war nach der Bereichsrichtlinie C2-225/0-0-5636 "Ausbildung der Offizieranwärterinnen und Offizieranwärter des militärfachlichen Dienstes des Zulassungsjahres 2020" neben dem Offizierlehrgang, der Sprachausbildung Englisch und der Qualifikation zum Übungsleiter Bundeswehr zunächst auch eine zweijährige Ausbildung zum staatlich geprüften Betriebswirt an der Fachschule der Luftwaffe in ... vorgesehen. Aufgrund der zivilberuflichen Ausbildung wurde für den Antragsteller die Fachrichtung Logistik festgelegt.
3Mit Schreiben vom beantragte der Antragsteller "die Anrechnung meines Abschlusses als staatlich geprüfter Hotelbetriebswirt auf die Ausbildungszeit zum OffzMilFD und Verkürzung um 18 Monate nach § 41 (1) SLV".
4Diesen Antrag lehnte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr mit Bescheid vom , dem Antragsteller am eröffnet, ab. Zur Begründung führte es u. a. aus, dass der Abschluss als staatlich geprüfter Hotelbetriebswirt im Rahmen der Laufbahnausbildung zum Offizier des militärfachlichen Dienstes nicht als gleichartig einzustufen sei.
5Gegen diese Entscheidung beschwerte sich der Antragsteller unter dem .
6Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zu Anfang des Jahres 2021 bekundete der Antragsteller in einem Telefonat mit dem Referat II 2 des Bundesministeriums der Verteidigung, dass er die zweijährige Ausbildung an der Fachschule der Luftwaffe in ... nicht durchlaufen wolle. Im Rahmen zweier weiterer Telefonate mit dem besagten Referat wurde mit dem Antragsteller eine Änderung des Ausbildungsplans mit einer Einplanung in den lediglich elfmonatigen Lehrgang "Stabsdienstmanager Bundeswehr" an der Schule für Feldjäger und Stabsdienst in ... erörtert. Das Bundesamt für das Personalmanagement erstellte daraufhin für den Antragsteller eine neue Ausbildungsplanung, die seiner Dienststelle unter dem übermittelt worden ist. Infolgedessen wurde er von der ursprünglich angedachten zweijährigen Fachschulausbildung in ... ausgeplant und für den lediglich zwölfmonatigen Lehrgang "Stabsdienstmanager Bundeswehr" in ... (einschließlich einer dreimonatigen Sprachausbildung) eingeplant.
7Mit Schreiben vom nahm die Bevollmächtigte des Antragstellers die Beschwerde zurück, eine Sachentscheidung sei nicht mehr erforderlich.
8Unter dem erklärte der Antragsteller, dass er die Beschwerde wiederaufnehme; er widerrufe die Rücknahme der Beschwerde und bitte um eine Entscheidung in der Sache. Zu den Gründen der Wiederaufnahme teilte die Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom mit, die vom Bundesamt für das Personalmanagement versprochene Abhilfe sei "nicht eingehalten" worden.
9Mit Schreiben vom beantragte der Antragsteller seine Ausplanung von der geplanten Ausbildung zum Stabsmanager in ...
10Der Antragsteller wurde mit Verfügung des Bundesamtes für das Personalmanagement vom an die Schule für Feldjäger und Stabsdienst in ... zur Teilnahme an der Ausbildung zum Stabsmanager versetzt. Am begann er diese Ausbildung und beendete sie am .
11Das Bundesministerium der Verteidigung wies die Beschwerde des Antragstellers mit Bescheid vom zurück. Die Beschwerde sei u. a. unzulässig, weil die als neue Beschwerde zu wertende Erklärung des Antragstellers über die Wiederaufnahme der Beschwerde als verfristet anzusehen und die ursprüngliche Beschwerde wirksam zurückgenommen worden sei. Gründe für einen Widerruf der Rücknahmeerklärung, wie etwa ein treuwidriges Verhalten, lägen nicht vor.
12Der Antragsteller hat am durch seine Bevollmächtigte einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Bundesministerium der Verteidigung stellen lassen. Das Bundesministerium der Verteidigung hat diesen Antrag dem Senat mit einer Stellungnahme vom vorgelegt.
13Der Antragsteller lässt vortragen, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei nicht deshalb unzulässig, weil die Beschwerde zurückgenommen worden sei. Denn die Rücknahmeerklärung sei wirksam widerrufen worden. Der Dienstherr habe sich treuwidrig verhalten, weil er im Vorfeld der Rücknahmeerklärung ausgesprochene Zusagen insbesondere zur weiteren Verwendung nicht eingehalten habe; eine zugesicherte Verwendung auf einem Dienstposten in ... bis zum Ende der Ausbildung sei ihm nicht übertragen worden. Stattdessen sei er zu dem Lehrgang als Stabsmanager in ... versetzt worden. Eine gegen diese Entscheidung beabsichtigte Beschwerde habe der Dienstherr über einen erneuten "Deal" verhindert. Die Beschwerderücknahme vom Dienstherrn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen sei ohne Beteiligung oder Information der Bevollmächtigten erwirkt worden. Er als juristischer Laie habe die gemachten Zusagen als verlässlich erachtet und deren angekündigte Durchführung seiner Entscheidung zur Beschwerderücknahme zu Grunde gelegt. Der Dienstherr habe dieses Vertrauen jedoch enttäuscht. Stattdessen seien immer neue Versprechungen und Änderungen vorheriger Versprechungen erfolgt.
14Der Antragsteller beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom in Gestalt des Beschwerdebescheides des Bundesministeriums der Verteidigung vom aufzuheben und das Bundesministerium der Verteidigung zu verpflichten, über die Anrechnung der Vorausbildung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
15Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
16Es tritt dem Antrag entgegen und verteidigt die angefochtene Entscheidung.
17Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Gründe
18Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bleibt erfolglos, weil der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom in Bestandskraft erwachsen ist.
191. Der Antragsteller hat seine unter dem gegen den Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement vom erhobene Beschwerde rechtswirksam durch seine Bevollmächtigte mit Schreiben vom zurücknehmen lassen; sie ist damit erledigt (§ 8 Abs. 1 Satz 4 WBO).
20a) Die Zurücknahme einer Beschwerde (§ 8 Abs. 1 Satz 1 WBO) kann zwar nicht wegen eines Willensmangels angefochten werden (so zu einem Widerspruch nach der VwGO 6 C 10.78 - BVerwGE 57, 342, 346 ff.). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Verwaltungsprozessrecht ist allerdings anerkannt, dass Prozesshandlungen unter bestimmten Umständen widerrufen werden können.
21Ein Widerruf wird - was hier nicht in Rede steht - dann als möglich angesehen, wenn ein Restitutionsgrund im Sinne des § 580 ZPO vorliegt (dazu 6 C 10.78 - BVerwGE 57, 342 = Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 60). Ein Widerruf kommt ferner dann in Betracht, wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben, der das gesamte Recht unter Einschluss der Verwaltungsgerichtsordnung beherrscht, unvereinbar wäre, einen Beteiligten an einer von ihm vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten (vgl. zum Ganzen 4 B 75.98 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 115; siehe auch 6 C 27.05 - Buchholz 310 § 134 VwGO Nr. 54). Ein Beteiligter kann an einer von ihm vorgenommenen Prozesshandlung auch dann nicht festgehalten werden, wenn die Prozesshandlung durch Drohung, sittenwidrige Täuschung, unzulässigen Druck oder unzutreffende richterliche Belehrung bzw. Empfehlung u. ä. herbeigeführt wurde (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 6 B 222.84 - NVwZ 1985, 196 Rn. 3, und vom - 4 B 75.98 - NVwZ-RR 1999, 407 Rn. 3; IVb ZR 592/80 - NJW 1981, 576 Rn. 2).
22Diese Grundsätze gelten auch für den Widerruf der Rücknahme eines Widerspruchs (so Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 69 Rn. 8) und lassen sich auf den Widerruf der Zurücknahme einer Beschwerde übertragen (in diesem Sinne bei einer durch eine strafbare Handlung oder die Täuschung eines Vorgesetzten ausgelöste Zurücknahme der Beschwerde; Bachmann, in: Franke/Weiß, GKÖD I, Yo § 8 WBO Rn. 6, Stand: Februar 2013).
23b) Gemessen an diesen Grundsätzen kann sich der Antragsteller nicht auf einen an dem Grundsatz von Treu und Glauben orientierten Widerrufsgrund berufen. Es bestehen auch nach dem Vorbringen des Antragstellers keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich die Zurücknahme der Beschwerde auf ein treuwidriges Verhalten des Dienstherrn zurückführen lässt.
24Vielmehr legen die aus den vorliegenden Akten ersichtlichen Geschehensabläufen nahe, dass der Dienstherr bemüht gewesen ist, dem Anliegen des Antragstellers entgegenzukommen. Die Ausplanung des Antragstellers von der Ausbildung in ... entspricht dessen ausdrücklich geäußertem - und später auch nicht bestrittenem - Wunsch, dass er die zweijährige Ausbildung an der Fachschule der Luftwaffe in ... nicht durchlaufen wolle. Auch die Einplanung in den lediglich zwölfmonatigen Lehrgang "Stabsdienstmanager Bundeswehr" an der Schule für Feldjäger und Stabsdienst in ... ist mit dem Antragsteller - wie er ebenfalls nicht in Abrede stellt - vor dieser Maßnahme erörtert worden. Es lässt sich nicht erkennen, dass die Einplanung gegen den Willen des Antragstellers vorgenommen worden ist; sie entspricht im Gegenteil seinem Wunsch nach Verkürzung der Ausbildung und stellt ein Entgegenkommen des Dienstherrn dar. Die von dem Bundesamt für das Personalmanagement vorgenommene entsprechende Umstellung der Ausbildungsplanung hat der Antragsteller dann auch - jedenfalls in dem Zeitraum bis zur "Wiederaufnahme" seiner Beschwerde - unwidersprochen hingenommen und den Lehrgang dann überdies später absolviert.
25Dass dem Antragsteller - wie er behauptet - eine von dem Dienstherrn in Aussicht gestellte Verwendung auf einem Dienstposten in ... nicht übertragen worden sei, deutet ebenfalls nicht auf ein gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßendes Verhalten, auf das ein Widerruf der Zurücknahme der Beschwerde gestützt werden könnte. Abgesehen davon, dass dieser Umstand in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Beschwerdeverfahrens steht, handelt es sich allenfalls um planerische Vorstellungen, die sich auch ändern können. Es sind jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder auch nur ansatzweise vorgetragen, dass dem Antragsteller eine den Maßgaben des § 38 VwVfG entsprechende Zusicherung für die besagte Verwendung erteilt worden ist. Das Bundesministerium der Verteidigung hat dazu nachvollziehbar und unwidersprochen vorgetragen, dass von dem Antragsteller zwar eine weitere Verwendung in ... erbeten worden sei; diese habe ihm jedoch aus Gründen der Gleichbehandlung mit allen derzeit in der Ausbildung zum Offizier des militärfachlichen Dienstes befindlichen Soldatinnen und Soldaten nicht "versprochen" werden können. Die von dem Antragsteller behauptete Vorspiegelung von falschen Tatsachen durch den Dienstherrn erscheint danach aus Sicht des Senats fernliegend.
26Nach alledem erscheint es nicht mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar, den Antragsteller an die Zurücknahme seiner Beschwerde durch seine Bevollmächtigte festzuhalten, zumal der Bevollmächtigten die Konsequenzen der abgegebenen Erklärung bewusst gewesen sein müssen und sie Gelegenheit hatte, sich über eine Rücksprache mit ihrem Mandanten und durch die Einholung belastbarer Erklärungen des Dienstherrn zu etwaigen Absprachen mit dem Antragsteller darüber zu vergewissern, ob die Zurücknahme der Beschwerde aus dem Blickwinkel ihres Mandanten auf einer hinreichenden Rechtfertigung beruht und ihm unter Wahrung der anwaltlichen Vorsicht auch angeraten werden kann. Dafür, dass der Dienstherr die Bevollmächtigte des Antragstellers aus dem Verfahren "herausgedrängt" hätte, lassen sich ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte finden. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Dienstherr Personalgespräche mit dem Soldaten führt, ohne dass dessen Bevollmächtigte dabei zugegen ist.
272. Auch eine Umdeutung der "Wiederaufnahme" der zurückgenommenen Beschwerde als neue Beschwerde führt nicht zum Erfolg des Antrages auf gerichtliche Entscheidung, weil diese - erst am erhobene - Beschwerde die nach § 6 Abs. 1 WBO zu beachtende Frist von einem Monat erkennbar nicht einhält; der Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement vom wurde dem Antragsteller am ordnungsgemäß zugestellt. Der Fristablauf am Montag, den , wurde auch nicht durch Umstände gehemmt, die im Sinne von § 7 Abs. 1 WBO als unabwendbarer Zufall zu werten wären. Der Rechtsbehelf der Beschwerde und die dafür geltende Frist des § 6 Abs. 1 WBO können bei allen Soldaten als bekannt vorausgesetzt werden (stRspr, vgl. 1 WB 38.08 - Rn. 31 m. w. N.). Die angefochtene Entscheidung bedurfte auch keiner Rechtsbehelfsbelehrung (§ 7 Abs. 2 WBO; vgl. dazu z. B. 1 WB 43.12 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 87 Rn. 35 m. w. N.).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:261023B1WB23.22.0
Fundstelle(n):
BAAAJ-56549