Sozialgerichtliches Verfahren - Tatbestandsberichtigungsantrag wegen unrichtiger Würdigung- fehlendes Rechtsschutzbedürfnis - Beweiskraft des Tatbestandes
Gesetze: § 139 Abs 1 SGG, § 139 Abs 2 S 1 SGG, § 139 Abs 2 S 3 SGG, § 139 Abs 2 S 4 SGG, § 202 S 1 SGG, § 314 ZPO
Instanzenzug: Az: S 10 AL 419/18 Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 10 AL 84/20 Urteil
Gründe
1I. Der Senat hat auf die mündliche Verhandlung vom die Revision des Klägers, der sich als Rechtsanwalt selbst vertreten hat, zurückgewiesen. An der Verhandlung waren als Berufsrichter die damalige Vizepräsidentin des BSG Dr. M sowie die Richter am BSG S und Dr. Sc beteiligt. Das im Termin verkündete Urteil ist dem Kläger am zugestellt worden. Am hat der Kläger einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung gestellt. Er macht geltend, das Urteil enthalte zwei unrichtige Passagen, die zu streichen seien. Außerdem sei eine in dem Urteil als "Auffassung des Klägers" bezeichnete Feststellung unrichtig.
2II. 1. Zur Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Tatbestandsberichtigung sind nur die an der mündlichen Verhandlung beteiligten Richter am BSG S und Dr. Sc berufen. Nach § 139 Abs 2 Satz 1 SGG, der im Revisionsverfahren unmittelbar anwendbar ist (vgl Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 153 RdNr 18 mwN), hat der Senat durch Beschluss und, da er ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ohne ehrenamtliche Richter (vgl § 12 Abs 1 Satz 2 iVm § 33 Abs 1 Satz 2 und § 40 Satz 1 SGG) zu entscheiden. Außerdem wirken nur die Richter mit, die an dem Urteil mitgewirkt haben, soweit sie nicht verhindert sind (§ 139 Abs 2 Satz 3 und 4 SGG). Verhindert in diesem Sinne ist wegen ihrer Ernennung zur Richterin des BVerfG im April 2023 die frühere Vizepräsidentin des BSG Dr. M. Durch ihre Ernennung zur Richterin des BVerfG (§ 10 BVerfGG) ist sie zwar aus ihrem bisherigen Amt nicht ausgeschieden, ihre Rechte und Pflichten aus dem Amt ruhen aber (§ 101 Abs 1 Satz 1 BVerfGG iVm § 70 DRiG; vgl - BVerfGE 65, 152 <158 f>; Föllmer in Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl 2022, § 101 RdNr 2). Ihr ist daher eine Mitwirkung an der vorliegenden Entscheidung von Rechts wegen nicht möglich.
32. Der Antrag des Klägers ist unzulässig. Es fehlt schon an einem Rechtsschutzbedürfnis (vgl dazu Schütz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 139 RdNr 13 ff; Harks in BeckOGK-SGG, § 139 RdNr 12, Stand ).
4§ 139 Abs 1 SGG ergänzt die Möglichkeit einer Urteilsberichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 138 SGG und bestimmt, dass für den Fall, dass der Tatbestand des Urteils andere Unrichtigkeiten oder Unklarheiten enthält, die Berichtigung binnen zwei Wochen nach Zustellung des Urteils beantragt werden kann. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Tatbestandsberichtigung wird durch den verfahrensrechtlichen Sinn und Zweck des Urteilstatbestands bestimmt. Der Tatbestand hat nach § 314 ZPO, der über § 202 Satz 1 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar ist, Beweiskraft für das mündliche Vorbringen der Beteiligten. Dementsprechend ist eine Tatbestandberichtigung auf das mündliche tatsächliche Vorbringen und die Prozesserklärungen und Anträge der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung beschränkt (so die stRspr zu § 119 VwGO, vgl - juris RdNr 2 mwN; vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 139 RdNr 2; Wolff-Dellen in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 139 RdNr 4). Die Tatbestandsberichtigung erfasst nicht die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachenwertungen, die Beweiswürdigung und die Willensbildung des Gerichts; einem Antrag auf Tatbestandsberichtigung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die zu berichtigenden Tatsachen nicht dieser gesetzlichen Beweiskraft oder gesetzlichen Bindungsregelungen unterliegen ( - juris RdNr 2). So liegt der Fall hier.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:150223UB11AL4221R0
Fundstelle(n):
JAAAJ-56448