BGH Urteil v. - VIa ZR 387/22

Instanzenzug: Az: 16a U 67/19vorgehend LG Rottweil Az: 2 O 169/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am von der Beklagten einen von ihr hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 220 CDI Coupé, der mit einem Motor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert.

3Der Kläger hat, gestützt auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs, zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und Zahlung einer Nutzungsentschädigung (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 3) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu 1 und zu 3 weiter.

Gründe

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Der Kläger habe keinen deliktischen Schadensersatzanspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags. Ein solcher Anspruch folge nicht aus §§826, 31 BGB. Aus der Implementierung des Thermofensters ergebe sich kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten. Dabei könne dahinstehen, ob in tatsächlicher Hinsicht der Vortrag des Klägers zu der Bedatung des Thermofensters zutreffe und ob es sich in rechtlicher Hinsicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Jedenfalls funktioniere die Abgasrückführung auf dem Prüfstand wie auf der Straße grundsätzlich in gleicher Weise. Die Beklagte habe das Kraftfahrt-Bundesamt auch nicht über das Fehlen einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug getäuscht. Sie habe im Typgenehmigungsverfahren die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung offengelegt. Die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung umfasse die Genehmigung des Thermofensters als zulässig. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide bereits aus Rechtsgründen aus, weil der Schutz des Interesses, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der Bestimmungen der EG-FGV liege.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte hafte nicht aus §§ 826, 31 BGB, lässt einen entscheidungserheblichen Rechtsfehler nicht erkennen. Entgegen seiner Annahme kann einem Schadensersatzanspruch zwar nicht die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung entgegengehalten werden (vgl.  VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 10 ff., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ; Urteil vom - III ZR 303/20, juris Rn. 14). Das Berufungsgericht hat jedoch - von der Revision unbeanstandet (vgl. § 559 Abs. 2 ZPO) - festgestellt, die Funktionsweise des Thermofensters sei weder auf den Prüfstand ausgerichtet, noch habe die Beklagte sie der Typgenehmigungsbehörde arglistig verschwiegen. Dann aber hat es zu Recht keine Umstände gesehen, die für ein besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten sprechen könnten (vgl. aaO, Rn. 11 bis 13).

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12die erforderlichen Dabei wird es zu beachten haben, dass Ausgangspunkt für die Bemessung des Differenzschadens der gezahlte Kaufpreis ist ( aaO, Rn. 73). Etwa gewährte Rabatte mindern entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat den Differenzschaden nicht.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:131123UVIAZR387.22.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-56418