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BAG Beschluss v. - 6 AZR 155/21 (B)

Massenentlassung - Aussetzung

Gesetze: § 45 Abs 3 S 1 ArbGG, § 17 Abs 3 S 2 KSchG, § 17 Abs 3 S 3 KSchG, § 17 Abs 3 S 4 KSchG, § 134 BGB, Art 2 Abs 3 UAbs 2 EGRL 59/98

Instanzenzug: ArbG Osnabrück Az: 1 Ca 79/20 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 17 Sa 890/20 Urteil

Gründe

1A. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer im Rahmen einer Massenentlassung erklärten ordentlichen betriebsbedingten Kündigung des seit 1981 bei der Schuldnerin beschäftigten Klägers.

2Auf Antrag der Schuldnerin eröffnete das Insolvenzgericht mit Beschluss vom das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin in Eigenverwaltung und bestellte den Beklagten zum Sachwalter. Mit Beschluss vom hob das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung auf und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.

3Infolge der am beschlossenen vollständigen Einstellung ihres Geschäftsbetriebs spätestens zum übermittelte die Schuldnerin dem Betriebsrat am gleichen Tag den Entwurf eines Interessenausgleichs, der die Kündigung sämtlicher Mitarbeiter der Schuldnerin zum Gegenstand hatte. Ausweislich dessen Regelungen sollten mit den Interessenausgleichsverhandlungen die aufgrund der beabsichtigten Massenentlassung erforderlichen Konsultationen mit dem Betriebsrat verbunden und durchgeführt werden. Entgegen Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59/EG (im Folgenden MERL) sowie § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG übermittelte die Schuldnerin der zuständigen Agentur für Arbeit Osnabrück keine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat.

4Am einigten sich die Betriebsparteien auf einen Interessenausgleich mit Namensliste sowie einen Sozialplan. Der Betriebsrat erklärte in seiner abschließenden Stellungnahme gleichen Tages, dass er keine Möglichkeiten sehe, die beabsichtigten Entlassungen zu vermeiden.

5Nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige am kündigte die Schuldnerin ua. das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom zum . Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben.

6Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei ua. deshalb unwirksam, weil es aufgrund der unterbliebenen Übermittlung einer Abschrift der das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat einleitenden Mitteilung an die Agentur für Arbeit an einer wirksamen Massenentlassungsanzeige fehle.

7Der Kläger hat beantragt

8Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hält die Kündigung für wirksam. Insbesondere führe ein Verstoß gegen die Übermittlungspflicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.

9Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das vom Kläger angestrengte Revisionsverfahren hat der Senat mit Beschluss vom (- 6 AZR 155/21 (A) -) ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH - nach Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über die Frage ersucht, welchem Zweck Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL dient. Diese hat der - C-134/22 -) beantwortet.

10Mit Beschluss vom hat der Sechste Senat in dem Verfahren - 6 AZR 157/22 (B) - eine Anfrage an den Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts gestellt, ob dieser an seiner Rechtsprechung festhalte, wonach ein Fehler im Anzeigeverfahren gemäß § 134 BGB zur Unwirksamkeit der Kündigung des betroffenen Arbeitnehmers führe.

11B. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts über die Anfrage des Sechsten Senats im Verfahren - 6 AZR 157/22 (B) - in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO ausgesetzt. Gegenstand der Anfrage ist die Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts, wonach die den Arbeitgeber im Anzeigeverfahren obliegenden Pflichten, überhaupt eine Anzeige zu erstatten, gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2, Satz 3 KSchG die Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen bzw. den Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat darzulegen sowie in die Anzeige die sog. Muss-Angaben gemäß § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG aufzunehmen, Verbotsgesetze iSd. § 134 BGB sind, deren Verletzung zur Unwirksamkeit einer im Rahmen der Massenentlassung erklärten Kündigung führt. An dieser Rechtsprechung, die auch dieser Senat seinen bisherigen Entscheidungen zugrunde gelegt hat, möchte er nicht festhalten, da er - wie in der Anfrage ausgeführt - das Sanktionssystem für Fehler im Anzeigeverfahren insgesamt für inkohärent und unverhältnismäßig hält. Zwar gehört die Bestimmung des Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL, dessen nationaler Umsetzung § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG dient, zu Teil II der Richtlinie, der das Konsultationsverfahren regelt ( - [G GmbH] Rn. 28). Die Anfrage des Senats nimmt jedoch auch die Rechtsfolgen für Fehler im Konsultationsverfahren in den Blick. Die Beantwortung der Anfrage kann sich daher auch auf die Entscheidung des Senats im vorliegenden Verfahren auswirken.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:141223.B.6AZR155.21B.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-56176