Feststellungen des Tatgerichts zum Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts vom Tatvorwurf des Mordes
Gesetze: § 24 StGB, § 211 StGB, § 224 Abs 1 StGB
Instanzenzug: LG Bochum Az: II-3 Ks 38/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
2Das Landgericht hat – soweit von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Der unbestrafte Angeklagte ist mit der Nebenklägerin verheiratet. Aus der Ehe, die von verbal und gelegentlich mit niedrigschwelliger Gewalt seitens des Angeklagten geführten Streitigkeiten geprägt war, gingen zwei – zur Tatzeit elf und acht Jahre alte – Kinder hervor. Der bereits in den letzten Wochen vor der Tat zunehmend psychisch auffällige Angeklagte hatte am Tattag nach einem körperlich anstrengenden Arbeitseinsatz mehrere Stunden geschlafen. Nachdem er kurz vor Mitternacht wieder aufgewacht war, lief er unruhig und „nicht mehr er selbst“ in der Wohnung in Gegenwart der Nebenklägerin umher. Er nahm – als Folge einer psychotisch verzerrten Wahrnehmung – an, dass seine Ehefrau ihn töten wolle. Als er die auf der Couch im Wohnzimmer sitzende Nebenklägerin mit seiner Befürchtung konfrontierte und diese seine Frage verneinte, ging er schnellen Schrittes in die Küche, um ein Messer zu holen und damit seine Ehefrau zu töten. Hierzu wählte der Angeklagte ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 24 cm aus. Die Nebenklägerin war ihrem Ehemann neugierig und ohne Argwohn gefolgt. Als sie im Türrahmen zur Küche lehnte und sich keines Angriffs des ihr mit dem Rücken zugewandten Angeklagten versah, drehte sich dieser um und begann unter Ausnutzung des Überraschungsmoments wortlos in Tötungsabsicht auf die Nebenklägerin einzustechen. Er versetzte ihr mehrere Stiche in den Oberkörper. Die Nebenklägerin flüchtete – um Hilfe schreiend – daraufhin ins Wohnzimmer. Dabei griff sie nach dem Messer, das in der Folge zu Boden fiel. Der Angeklagte hob es auf und setzte seinen Angriff gegen die schließlich im Wohnzimmer verletzungsbedingt zu Boden sackende Nebenklägerin fort. Auf die Hilfeschreie ihrer Mutter wachten die gemeinsamen Kinder auf. Zudem wurden hierdurch zwei Polizeibeamte auf der Straße vor dem Wohnhaus auf das Geschehen aufmerksam. Der Angeklagte wies seine ins Wohnzimmer geeilten Kinder an, wieder in ihre Zimmer zurückzugehen und trotz der Klopfgeräusche der inzwischen an der Wohnungstür eingetroffenen Polizeibeamten nicht die Tür zu öffnen. Zur Begründung erklärte er, dass er „noch nicht fertig“ sei. Dabei führte er den Angriff auf seine Ehefrau weiter fort. Die schwer verletzt am Boden liegende Nebenklägerin wandte sich nun an die Tochter und rief ihr zu, dass „die Mama“ sterben würde, falls sie die Tür nicht öffne. Hierauf begab sich das Kind zur Wohnungstür. Auf dem Weg dorthin kamen ihm bereits die Polizeibeamten entgegen, die inzwischen die Tür aufgetreten hatten. In diesem Moment gelang es der Nebenklägerin, ihrem Ehemann das Messer zu entreißen. Beim Eintreffen im Wohnzimmer sahen die Polizeibeamten den Angeklagten vor seiner am Boden liegenden Ehefrau stehen, die das Messer in ihrer Hand hielt. Sie fixierten und fesselten den Angeklagten und versorgten die Nebenklägerin.
4Der Angeklagte hatte der Nebenklägerin bis dahin insgesamt elf und davon neun, zum Teil tiefe Messerstiche in empfindliche Körperregionen (Brust, Bauch, Unterleib und Rücken) versetzt. Das hierdurch akut bedrohte Leben der Nebenklägerin konnte nur infolge der sofortigen Erstversorgung durch die Polizeibeamten und die anschließende mehrstündige ärztliche Notfallbehandlung gerettet werden.
5Das Landgericht hat den Messerangriff des Angeklagten als versuchten heimtückischen Mord und als tateinheitlich begangene gefährliche Körperverletzung gewertet. Es hat weiter angenommen, dass der Angeklagte an einer paranoiden Schizophrenie leide. Infolgedessen sei seine Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung sicher im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen.
II.
6Die Verurteilung wegen versuchten Mordes kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts mit nicht tragfähiger Begründung verneint hat.
71. Das Landgericht hat hierbei zunächst ausgeführt, dass aus der Perspektive des Angeklagten ein beendeter Versuch vorgelegen habe, weil er die Nebenklägerin nach den Messerstichen in Oberkörper und Unterleib in einer Blutlache auf dem Boden des Wohnzimmers habe liegen sehen. Auch habe er von ihr – wegen des Erscheinens der Polizeibeamten – nicht freiwillig abgelassen; Rettungsbemühungen seien von ihm zuvor nicht entfaltet worden. Zudem liege bereits ein „Fehlschlag“ vor, denn der Angeklagte habe infolge des zeitgleichen Eintreffens der Polizeibeamten und des Entreißens des Messers durch die Nebenklägerin die sich von ihm vorgestellte Tat nicht mehr fortsetzen können.
82. Diese Erwägungen sind rechtsfehlerhaft, weil sie von einer unrichtigen Prüfungsreihenfolge ausgehen, die zu den einzelnen Gesichtspunkten gemachten Ausführungen teilweise zueinander im Widerspruch stehen und wesentliche Feststellungen unerörtert bleiben.
9a) Im rechtlichen Ansatzpunkt zutreffend hat das Landgericht dabei auf das Vorstellungsbild des Angeklagten unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung abgestellt. Dieser sogenannte „Rücktrittshorizont“ ist sowohl bei der Beurteilung eines Fehlschlags als auch für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch maßgebend (vgl. Rn. 8 mwN; Beschluss vom – 4 StR 408/21 Rn. 6 mwN). Allerdings hätte das Schwurgericht zuerst das Vorliegen eines „Fehlschlags“ prüfen müssen. Fehlgeschlagen ist der Versuch, wenn der Täter erkennt, dass der Taterfolg mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr herbeigeführt werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt werden muss. Die subjektive Sicht des Täters ist auch dann maßgeblich, wenn der Versuch zwar objektiv fehlgeschlagen ist, der Täter dies aber nicht erfasst (st. Rspr.; vgl. etwa Rn. 10 mwN; Beschluss vom – 3 StR 205/18 Rn. 11 mwN; Beschluss vom – 4 StR 367/14 Rn. 6 mwN). Liegt ein Fehlschlag vor, scheidet ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 StGB von vornherein aus; umgekehrt kommt es nur dann, wenn ein Fehlschlag nicht gegeben ist, auf die Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an, die für die vom Täter zu erbringende Rücktrittsleistung von Bedeutung ist (vgl. Rn. 33 mwN).
10b) Die vorerwähnten Ausführungen des Schwurgerichts ergeben schon nicht mit hinreichender Klarheit, welches Vorstellungsbild der Angeklagte in Bezug auf den Todeseintritt nach der letzten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Tathandlung hatte. Das Landgericht schließt aus dem Verletzungsbild der Nebenklägerin auf die Vorstellung des Angeklagten, alles zur Verwirklichung des Todes Erforderliche getan und damit den Versuch für beendet gehalten zu haben. Hiermit unvereinbar ist seine Erwägung im Kontext der Begründung eines Fehlschlags, der Angeklagte habe die sich von ihm vorgestellte Tat bis zum Versterben der Nebenklägerin nicht mehr fortsetzen können. Diese legt nämlich den Schluss auf die Vorstellung eines für notwendig erachteten weiteren Handelns zur Herbeiführung des Todeserfolges nahe.
11c) Auch lassen die Urteilsgründe im Rahmen der Prüfung eines Rücktritts vom Versuch eine zusammenfassende Würdigung der festgestellten Tatumstände vermissen.
12aa) Das Landgericht meint, (allein) aus den objektiven Tatumständen – namentlich der in Folge der massiven Gewalteinwirkung schwer verletzt am Boden liegenden Nebenklägerin – sei auf die Vorstellung des Angeklagten zu schließen, alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan zu haben. Dies lässt sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht mit hinreichender Sicherheit annehmen. Zwar wird sich in Fällen offenkundig besonders gefährlicher Tathandlungen, deren Erfolgseignung der Täter erkennt, seine Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolgseintritts oft schon aus den objektiven Umständen der Tat erschließen lassen (vgl. Rn. 10). Vorliegend versteht sich dies mit Blick auf die festgestellte und gegen diese Annahme streitende Äußerung des Angeklagten, er sei „noch nicht fertig“, aber nicht von selbst. Diese Aussage ermöglicht einen Rückschluss auf das Vorstellungsbild des Angeklagten und hätte deshalb näherer Erörterung bedurft. Denn sie weist für sich genommen darauf hin, dass der Angeklagte von der Notwendigkeit weiterer Tathandlungen zur Herbeiführung des Todeseintritts ausging. Soweit das Schwurgericht festgestellt hat, dass der Angeklagte nach dieser Äußerung noch weiter handelte, was einen späteren Zeitpunkt für die Bewertung des Rücktrittshorizonts zur Folge hätte, ist dieser Umstand in der Beweiswürdigung nicht tragfähig belegt. Der Senat vermag auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Umstände das Schwurgericht zu der Annahme gelangt ist, dass der Angeklagte den Angriff auf seine Ehefrau in Kenntnis und Beabsichtigung der Lebensgefährlichkeit weiter fortgesetzt habe, als er seine Kinder angewiesen habe, die Tür nicht zu öffnen, weil er „noch nicht fertig“ sei.
13bb) Schließlich lässt die Überzeugung des Schwurgerichts, die Nebenklägerin habe dem Angeklagten das Messer unmittelbar vor dem Eintreffen der Polizeibeamten entrissen, wesentliche Umstände unberücksichtigt. Das Schwurgericht folgert aus der Wahrnehmung des Messers in der Hand der Nebenklägerin durch die am Tatort eingetroffenen Polizeibeamten und der Schilderung der Nebenklägerin während der Fahrt ins Krankenhaus, dass es ihr gerade aufgrund der Ablenkung ihres Mannes durch das Klopfen an der Tür am Ende gelungen sei, ihm das Messer wieder abzunehmen, auf das Entreißen des Messers vor dem Eintreten der Polizeibeamten. Dieser Schluss verträgt sich schon nicht mit der vorerwähnten Feststellung des Schwurgerichts, dass der Angeklagte nach dem Klopfen an der Wohnungstür den Messerangriff auf seine Ehefrau weiter fortgesetzt habe. Wenn dies tatsächlich der Fall gewesen sein sollte, streitet dieser Umstand für eine andauernde Fokussierung des Angeklagten auf die Herbeiführung des Todes der Nebenklägerin. Damit erscheint die von ihr gegenüber den Polizeibeamten geschilderte Ablenkung des Angeklagten als Gelegenheit zum Entreißen des Messers bedenklich und hätte deshalb näherer Erörterung bedurft. Ebenso verhält es sich mit der Feststellung des Landgerichts, beim Eintreffen der Polizeibeamten habe der Angeklagte vor der am Boden liegenden Nebenklägerin, die das Messer in der Hand gehalten habe, gestanden. Diese Annahme hätte eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage nahegelegt, wie die schwer verletzte und auf dem Boden liegende Nebenklägerin dem jedenfalls zuletzt stehenden (unverletzten) Angeklagten das Messer hat entreißen können.
143. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Das Urteil unterliegt in dem hier vorliegenden Fall von Rechtsfehlern im Schuldspruch wegen nur einer verfahrensgegenständlichen Tat der Aufhebung im Ganzen. Diese betrifft daher auch die tateinheitlich erfolgte – an sich rechtsfehlerfreie – Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 353 Rn. 12; Rn. 8) und zieht zudem die Aufhebung der auf § 63 StGB gestützten Maßregelanordnung nach sich.
154. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
16Sollte das neue Tatgericht den Angeklagten wiederum schuldig sprechen, darf die Art der Tatausführung nur dann ohne Abstriche strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so dass für eine strafschärfende Berücksichtigung durchaus Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 5 mwN). In einem solchen Fall müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass sich das Tatgericht dieses Umstandes bewusst war und ihm Rechnung getragen hat (vgl. BGH, aaO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:160823B4STR215.23.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-56111