BVerwG Beschluss v. - 5 B 2/23

Ausschluss von Beihilfe für "Verwandtenbehandlungen" im nordrheinwestfälischen Beihilferecht

Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 S 2 GG, Art 80 Abs 1 S 1 GG, § 3 Abs 6 S 1 Halbs 1 BhV NW 2009, § 75 Abs 8 S 1 BG NW 2016, § 75 Abs 8 S 2 BG NW 2016

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 1 A 258/21 Urteilvorgehend Az: 19 K 2205/19

Gründe

1Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.

21. Die Beschwerde ist unzulässig, weil ihre Begründung den Anforderungen an die Darlegung dieses Zulassungsgrundes (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) nicht genügt.

3Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Eine ausreichende Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) einer Rechtssache setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Frage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr, vgl. 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Dabei verlangt die Begründungspflicht des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO unter anderem, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der aufgeworfenen Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 5 B 45.11 - juris Rn. 3 und vom - 5 B 26.17 D - juris Rn. 3 m. w. N.). Soweit sich die Vorinstanz mit der Frage beschäftigt hat, gehört zu der erforderlichen Durchdringung des Prozessstoffes die Erörterung sämtlicher Gesichtspunkte, die im Einzelfall für die erstrebte Zulassung der Revision rechtlich Bedeutung haben könnten (stRspr, vgl. 5 B 40.18 - juris Rn. 3 m. w. N.). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

4Die Beschwerde bezieht die von ihr geltend gemachte Grundsatzbedeutung auf eine Reihe von "Einwendungen" gegen die "Rechtswirksamkeit" des Beihilfeausschlusses nach § 3 Abs. 6 Satz 1 BVO NRW, wonach Aufwendungen für die persönliche Tätigkeit von Kindern des Behandelten nicht beihilfefähig seien. Diese Einwendungen habe sie bereits "mit der Klage und der Berufung ... geltend gemacht" und wolle sie mit der Nichtzulassungsbeschwerde weiterverfolgen. Damit genügt die Beschwerdebegründung den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO auch dann nicht, wenn man den angeführten "Einwendungen" sinngemäß entsprechende Fragen entnimmt, denen die Beschwerde grundsätzliche Bedeutung beimessen möchte.

5a) Das gilt zunächst für die damit von der Beschwerde aufgeworfene Frage,

ob es "bereits an einer hinreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage" fehlt, "die - mit Blick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitserfordernis - geeignet ist, die im Verordnungswege erlassene Ausschlussregelung zu tragen".

6Denn die Beschwerde legt nicht schlüssig dar, dass diese Frage die Zulassung der Revision gebietet. Sie setzt sich insbesondere mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Rechtsfrage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, nicht in hinreichender Weise auseinander.

7Das Oberverwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung mit eingehender Begründung ausgeführt, dass eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für den in § 3 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 1 BVO NRW geregelten Beihilfeausschluss bestehe, weil § 75 Abs. 8 Satz 1 des Gesetzes über die Beamtinnen und Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen (LBG NRW) in der Fassung vom (GV. NRW. 2016, 310, 642) eine dem verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt und den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG genügende gesetzliche Ermächtigung für dessen Erlass darstelle. Es hat dabei die in Art. 80 Abs. 1 GG ausgeprägten, aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem folgenden Grundsätze über die Abgrenzung von Gesetzgebungsgewalt und Verordnungsgewalt, die auch für den Bereich der Landesgesetzgebung Geltung beanspruchen, unter Bezugnahme auf die Entscheidung des 5 B 11.16 - (juris Rn. 12 ff. m. w. N.) entfaltet und für das Beihilferecht konkretisiert sowie differenziert begründet, dass und warum § 3 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 1 BVO NRW in § 75 Abs. 8 Satz 1 LBG NRW eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage findet. Der Ausschlusstatbestand müsse nicht ausdrücklich im Gesetz aufgeführt werden, weil er keine wesentliche Einschränkung des Beihilfesystems enthalte, die der parlamentarische Gesetzgeber selbst in einem förmlichen Gesetz oder ausdrücklich in der Verordnungsermächtigung zu treffen habe (UA S. 10). Die Bestimmung bewirke bei einer persönlichen Behandlung durch nahe Angehörige zwar einen weitgehenden Leistungsausschluss. Dieser wirke sich aber für die betroffenen Beihilfeberechtigten nicht besonders einschneidend aus. Er greife nur punktuell bei Inanspruchnahme bestimmter Leistungen. Die für den jeweiligen Beamten mit der Regelung verbundene Belastung werde zudem durch den Umstand erheblich reduziert, dass der Beihilfeberechtigte ihre Anwendung durch eine entsprechende Auswahl des Behandelnden abwenden könne. Das grundsätzlich dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG unterfallende Recht des Beihilfeberechtigten auf freie Arztwahl sei nur marginal betroffen. Die Beihilfeberechtigten hätten in aller Regel die Möglichkeit, sich in medizinisch gleichwertiger Weise von einem Arzt bzw. sonstigem Behandler behandeln zu lassen, der nicht zu dem in § 3 Abs. 6 Satz 1 BVO NRW genannten Personenkreis gehöre (UA S. 10 f.). Das "Mischsystem" aus privat finanzierter Vorsorge und ergänzender Beihilfe umfasse zudem schon begrifflich keine volle Leistungserstattung, sondern gehe von vorneherein von Leistungsbeschränkungen bzw. -ausschlüssen in bestimmten näher zu definierenden Fällen aus. Wenn der Gesetzgeber daher in § 75 Abs. 8 Satz 1 LBG NRW von "Näherem" spreche, seien damit ersichtlich - hinreichend bestimmt - auch Leistungsbeschränkungen bzw. -ausschlüsse erfasst, und zwar in Abgrenzung zu § 75 Abs. 8 Satz 2 LBG NRW vor allem solche, die - wie hier - nicht grundsätzlicher Natur seien und keine hohe Grundrechtsrelevanz besäßen (UA S. 11).

8Mit dieser insoweit entscheidungstragenden Argumentation setzt sich die Beschwerde nicht hinreichend auseinander. Soweit sie die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz angreift, vermag dies die Zulassung der Revision wegen der aufgeworfenen Frage nicht zu begründen. Dazu kann etwa die bloße Behauptung, die Ermächtigung, das Nähere zu regeln, lasse bereits ihrem Wortlaut nach jedes Mindestmaß an inhaltlicher Bestimmtheit in einer Weise vermissen, der auch nicht im Wege der Auslegung abgeholfen werden könne, eine Ermächtigung ergebe sich im Übrigen erst aus dem Zusammenhang mit § 75 Abs. 8 Satz 2 LBG NRW, angesichts der deutlich weiterreichenden und vertiefteren Begründung der Vorinstanz nicht genügen.

9b) Die Beschwerde legt eine Grundsatzbedeutung im Sinne von § 132 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auch nicht hinreichend dar, soweit sie die Fragen aufwirft,

ob "hierbei, d. h. bereits bei der Prüfung anhand des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernisses ... auch zu berücksichtigen" sei, "dass die Ausschlussregelung des § 3 Abs. 6 Satz 1 BVO NRW zwangsläufig die Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG (zu Lasten des Behandelten und des Behandlers) und i. V. m. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG (zu Lasten des Behandlers) tangiert, indem sie allein das Kriterium der Familienzugehörigkeit des Behandlers zum Anknüpfungspunkt dafür nimmt, die Beihilfefähigkeit der Behandlungskosten zu verneinen",

und

ob, "indem die Ausschlussregelung des § 3 Abs. 6 Satz 1 BVO NRW mit den Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG kollidiert, ... dies die Unwirksamkeit dieser Verordnungsnorm [...] auch unabhängig von der Frage, ob dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot ausreichend Rechnung getragen ist", begründet.

10Das gilt schon deshalb, weil das Oberverwaltungsgericht mit einer ausführlichen Begründung unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ( u. a. - juris Rn. 3 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts einschließlich der dort angesprochenen, hier nicht einschlägigen Ausnahmefälle ( 2 C 80.10 - Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 22 Rn. 13 ff. und 22 m. w. N.) unter Aufzeigung des verfassungsrechtlichen Maßstabs eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG für nicht gegeben und eine anderweitige Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG oder des Art. 12 Abs. 1 GG für ersichtlich ausgeschlossen hält (UA S. 11 ff.). Weshalb sich gleichwohl auch im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitserfordernis oder die Auslegung der genannten Grundrechte eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung stellen sollte, legt die Beschwerde nicht dar. Mit der Behauptung, Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG sowie die persönlichen Freiheitsrechte des Art. 2 Abs. 1 GG aufseiten der Behandelnden und der Patienten seien ebenso betroffen wie Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG, beanstandet sie der Sache nach nur die Ergebnisrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung, ohne damit die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf eine fallübergreifend bedeutsame Auslegung in Bezug genommener Rechtsnormen des revisiblen Rechts aufzuzeigen. Soweit die Beschwerde außerdem meint, der vom Oberverwaltungsgericht herangezogene vermöge "nicht ansatzweise zu überzeugen", die Frage einer möglichen Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG werde dort nur mit einem Halbsatz angesprochen, die Begründung sei "schlichtweg nicht mehr nachvollziehbar", fehlt es an einer nachvollziehbaren Begründung des Klärungsbedarfs hinsichtlich der Auslegung des Verfassungsrechts. Die bloße Übertragung des der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur steuerrechtlichen Gleichbehandlung entnommenen Satzes, Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG verbiete es, Ehegatten im Vergleich zu Ledigen allein deshalb steuerlich schlechter zu stellen, weil sie verheiratet seien, genügt insoweit nicht.

11c) Im Hinblick auf die weitere Frage,

ob "eine Verkehrssitte, mit der die Rechtsprechung bislang die Regelung des § 3 Abs. 6 Satz 1 BVO NRW gerechtfertigt hat, jedenfalls für den streitbefangenen Zeitraum (2017)" noch feststellbar ist,

fehlt es ebenfalls an einer Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Das Vorliegen einer erheblichen Frage des revisiblen Rechts ist bereits deshalb nicht dargetan, weil es sich bei der Frage, ob (tatsächlich) eine Verkehrssitte besteht, nicht um eine Rechts-, sondern um eine Tatsachenfrage handelt. Die tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat die Beschwerde jedoch nicht mit Verfahrensrügen angegriffen.

12Jedenfalls legt die Beschwerde die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage nicht dar. Das Oberverwaltungsgericht hat sich nämlich weder allgemein noch gar tragend auf das Bestehen einer entsprechenden "Verkehrssitte" gestützt. Es hat seine Entscheidung in diesem Kontext vielmehr auf seine Tatsachenfeststellung gestützt, dass es nicht ganz unüblich sei, unterhaltsberechtigten Angehörigen für eine Behandlung selbst bei der Einschaltung von Mitarbeitern keine Rechnung zu stellen (UA S. 13). Diese Tatsachenfeststellung wäre, da sie die Beschwerde nicht mit Verfahrensrügen erfolgreich angegriffen hat, in einem etwaigen Revisionsverfahren für das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindend. An einer Auseinandersetzung der Beschwerde fehlt es auch mit dem weiteren Schluss des Oberverwaltungsgerichts, welches - unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - ausgeführt hat, der Vorschriftengeber gehe davon aus, "es bestehe die nahe liegende Möglichkeit, dass im Verhältnis zwischen unterhaltspflichtigen Angehörigen der Behandelnde entweder auf sein Honorar verzichtet oder seine Forderung auf das beschränkt, was als Versicherungsleistung und/oder Beihilfe erstattet wird, und gegebenenfalls Honorarforderungen nur deshalb erhoben und deshalb erfüllt werden, weil letztlich der Dienstherr und die Krankenversicherung die Aufwendungen [...] tragen" (UA S. 13 f.). Dementsprechend setzt sich die Beschwerde auch nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auseinander, welche die Frage des Bestehens einer entsprechenden Verkehrssitte offengelassen und unter anderem angeführt hat: "Auch wenn die unentgeltliche persönliche Behandlung naher Angehöriger, sogar von Eltern, nicht oder nicht mehr in dem Maße die Regel ist, dass sie als Verkehrssitte bezeichnet werden kann, bleibt die Erwägung berechtigt, dass eine Behandlung ohne Entgelt oder doch unter Beschränkung auf dasjenige, was als Versicherungsleistung und/oder Beihilfe erstattet wird, unter nahen Angehörigen jedenfalls nicht fernliegt" (so 2 C 23.81 - juris Rn. 19; vgl. ferner 2 C 80.10 - Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 22 Rn. 13 unter Hinweis auf - NVwZ 1993, 560).

132. Von einer weiteren Begründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

143. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:301023B5B2.23.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-55949