Abberufung als Betriebsbeauftragter für Abfall
Leitsatz
Wird ein Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis unter Erweiterung seines Arbeitsvertrags um die mit diesem Amt verbundenen Aufgaben zum Abfallbeauftragten bestellt, unterliegt seine nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz einseitig mögliche Abberufung, mit der der Arbeitgeber auch die Anpassung des Vertrags rückgängig machen will, einer gerichtlichen Überprüfung nach § 315 BGB.
Gesetze: § 55 Abs 1a S 2 BImSchG, § 55 Abs 1 S 2 BImSchG, § 60 Abs 3 KrWG, § 315 BGB
Instanzenzug: Az: 15 Ca 4538/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Nürnberg Az: 5 Sa 76/22 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten - soweit für die Revision noch von Bedeutung - über die Abberufung des Klägers als Betriebsbeauftragter für Abfall, die zum erfolgte. Hilfsweise hat sich der Kläger gegen die ihm anschließend mit Schreiben vom ab dem zugewiesenen Tätigkeiten gewandt.
2Der Kläger ist seit dem bei der Beklagten beschäftigt, einem selbstständigen Kommunalunternehmen der Stadt N. Nach dem Arbeitsvertrag vom wurde er als „Angestellter“ eingestellt und in Vergütungsgruppe II BAT eingruppiert. Auf das Arbeitsverhältnis finden zwischenzeitlich aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung die Bestimmungen des TVöD für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser (im Folgenden TVöD-K) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Der Kläger erhielt zuletzt eine Vergütung entsprechend Entgeltgruppe 13 TVöD-K.
3Zum bestellte die Beklagte den Kläger zum Betriebsbeauftragten für Abfall. Diese Bestellung nahm sie mit Wirkung zum nochmals vor. Mit Schreiben vom widerrief die Beklagte die Bestellung des Klägers und bestellte zum einen externen Abfallbeauftragten. In der Folge verhandelten die Parteien über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. den zukünftigen Inhalt der Tätigkeit des Klägers. Mit Schreiben vom wies die Beklagte dem Kläger mit Wirkung zum eine Stelle als Sachbearbeiter mit Sonderaufgaben im Projektmanagement der Themenfelder Medizintechnik zu.
4Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, seine Abberufung als Abfallbeauftragter sei unwirksam. Sie verstoße gegen das Benachteiligungsverbot und sei nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt.
5Der Kläger hat zuletzt - soweit noch für die Revision von Bedeutung - sinngemäß beantragt
6Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Abberufung des Klägers sei ordnungsgemäß erfolgt. Sie sei zwingende Konsequenz der unternehmerischen Entscheidung gewesen, aus wirtschaftlichen und prozessoptimierenden Gründen einen externen Abfallbeauftragten zu bestellen. Der Klage stehe der Einwand der Verwirkung entgegen. Der Kläger habe sich zweieinhalb Jahre nach der Abberufung nicht mehr gerichtlich gegen diese zur Wehr setzen können.
7Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dabei insbesondere festgestellt, dass die Rechtsstellung des Klägers als Betriebsbeauftragter für Abfall nicht durch die Abberufung der Beklagten vom beendet worden sei. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und den Feststellungsantrag abgewiesen. Weiter hat es auf den Hilfsantrag des Klägers festgestellt, dass die Weisung der Beklagten vom bezüglich der ab dem auszuübenden Tätigkeiten unwirksam sei. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Gründe
8Die zulässige Revision ist begründet. Der Berufung der Beklagten gegen das dem Feststellungsantrag entsprechende Urteil des Arbeitsgerichts kann mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung nicht stattgegeben werden. Zu Recht rügt die Revision, das Landesarbeitsgericht hätte die Abberufung des Klägers als Betriebsbeauftragter für Abfall als einseitige Maßnahme der Arbeitgeberin einer Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterziehen müssen.
9I. Die Revision ist - anders als der Kläger in der Revisionsbegründung argumentiert - nicht bereits deshalb begründet, weil die Berufung der Beklagten unzulässig gewesen wäre. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht von deren Zulässigkeit ausgegangen. Die Berufungsbegründung der Beklagten genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO (vgl. dazu - Rn. 38). Sie vertieft den erstinstanzlichen Vortrag zu den Gründen für die Abberufung des Klägers. Darüber hinaus setzt sich die Berufungsbegründung auch mit dem Prüfungsmaßstab als solchem auseinander und argumentiert, das Arbeitsgericht habe die Bedeutung der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten zum „Outsourcing“ der Position des Abfallbeauftragten nicht ausreichend berücksichtigt.
10II. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts nicht stattgegeben werden.
111. Das Landesarbeitsgericht hat zunächst im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der streitgegenständliche Feststellungsantrag zulässig ist. Der Kläger will festgestellt haben, dass seine Rechtsstellung als Betriebsbeauftragter für Abfall nicht durch die Abberufung der Beklagten vom beendet worden ist. Dieses Klagebegehren ist in einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend zu machen (vgl. zum Datenschutzbeauftragten - Rn. 17 mwN). Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Zwischen den Parteien ist ein Rechtsverhältnis im Streit, nämlich ob der Kläger weiterhin Betriebsbeauftragter für Abfall bei der Beklagten ist (vgl. zum Sozialen Ansprechpartner - Rn. 11, BAGE 153, 32; zum Datenschutzbeauftragten - Rn. 15, BAGE 121, 369).
122. Ebenfalls zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass eine - unterstellte - Verletzung der in § 60 Abs. 3 KrWG iVm. § 55 Abs. 1a Satz 2 BImSchG vorgesehenen Verpflichtung zur Unterrichtung des Personalrats bei der Abberufung des Abfallbeauftragten nicht zu deren Unwirksamkeit führen würde (BeckOK UmweltR/Schwertner Stand BImSchG § 55 Rn. 4a mwN). Entsprechendes gilt auch für einen - etwaigen - Verstoß der Beklagten gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Anzeige der Abberufung bei der zuständigen Behörde nach § 60 Abs. 3 KrWG iVm. § 55 Abs. 1 Satz 2 BImSchG (Jarass BImSchG 14. Aufl. § 55 Rn. 8, 6). Die gesetzlichen Regelungen sehen die Unwirksamkeit der Abberufung als Rechtsfolge nicht vor.
133. Das Landesarbeitsgericht hat im Weiteren jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Abberufung des Klägers keiner gerichtlichen Überprüfung unterliege.
14a) Die Frage, welchen Wirksamkeitsvoraussetzungen die Abberufung eines Betriebsbeauftragten für Abfall unterliegt, lässt sich nicht unabhängig von dem ursprünglichen Bestellungsakt beantworten.
15aa) „Bestellung“ iSv. § 60 Abs. 3 KrWG iVm. § 55 Abs. 1 Satz 1 BImSchG ist die konkrete Zuweisung der Aufgaben eines Abfallbeauftragten iSv. § 59 KrWG im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses. Entsprechendes galt nach den bei der (nochmaligen) Bestellung des Klägers geltenden Regelungen, § 55 Abs. 3 KrW-/AbfG iVm. § 55 Abs. 1 BImSchG aF (vgl. zum Ganzen - Rn. 20 mwN, BAGE 130, 166).
16(1) Die Bestellung erzeugt für den Beauftragten keine Pflichten gegenüber der Überwachungsbehörde, sondern nur im Verhältnis zum Anlagenbetreiber. Es handelt sich daher um eine rein privatrechtliche Willenserklärung. Da die Bestellung nicht gegen den Willen des Beauftragten erfolgen kann, bedarf sie seiner Zustimmung (vgl. BeckOK UmweltR/Queitsch Stand KrWG § 60 Rn. 11; Landmann/Rohmer UmweltR/Kersting Stand September 2023 KrWG § 60 Rn. 29 (EL 66 Juni 2012)). Die Bestellung ist von dem zwischen Anlagenbetreiber und Abfallbeauftragten bestehenden Grundverhältnis zu unterscheiden. Ist dieses Grundverhältnis ein Arbeitsverhältnis, bedarf die Bestellung zur wirksamen Aufgabenwahrnehmung auch einer entsprechenden arbeitsvertraglichen Verpflichtung des Abfallbeauftragten. Inwieweit hierfür eine Vertragsänderung, die konkludent möglich ist, erforderlich ist und mit welchem konkreten Inhalt ggf. der Arbeitsvertrag geändert und angepasst wird, ist durch Auslegung der Vereinbarung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (vgl. zum Datenschutzbeauftragten - Rn. 29 f. mwN). Da ein Arbeitnehmer nur mit seiner Zustimmung zum Abfallbeauftragten bestellt werden kann, scheidet - soweit entsprechendes nicht bereits im Arbeitsvertrag vorgesehen ist - eine Aufgabenzuweisung im Wege des Direktionsrechts aus.
17(2) Durch die Bestellung einzelner Arbeitnehmer zu Funktionsbeauftragten im bestehenden Arbeitsverhältnis wird regelmäßig der Arbeitsvertrag nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen um die mit diesem Amt verbundenen Aufgaben erweitert. Nimmt der Arbeitnehmer das Angebot durch Übernahme der Tätigkeit an und dokumentiert er damit sein Einverständnis mit der Bestellung, wird der Arbeitsvertrag für die Zeitspanne der Amtsübertragung entsprechend geändert und angepasst. Wird die Bestellung wirksam widerrufen oder entfällt das Funktionsamt auf andere Weise, ist die Tätigkeit nicht mehr Bestandteil der vertraglich geschuldeten Leistung ( - Rn. 30; - 10 AZR 588/09 - Rn. 15 ff., BAGE 135, 327; zu einer anderen Vertragslage vgl. - Rn. 29, BAGE 121, 369).
18bb) Auch im vorliegenden Fall sollte dementsprechend lediglich für die Dauer der wirksamen Bestellung der Arbeitsvertrag um die Wahrnehmung des Funktionsamts erweitert werden. Der Kläger wurde nach seinem - für den öffentlichen Dienst typischen - Arbeitsvertrag „als Angestellter“ eingestellt und nicht als „Abfallbeauftragter“. Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien abweichend von den Gepflogenheiten des öffentlichen Dienstes die vertragliche Verwendbarkeit des Klägers dauerhaft einschränken wollten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Beklagte wollte ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Bestellung eines Abfallbeauftragten genügen und die dafür erforderlichen vertraglichen Vereinbarungen treffen, aber keine weitergehenden Verpflichtungen eingehen. Der Kläger strebte, wie es regelmäßig der Fall sein dürfte, keine - für ihn nachteilige - vertragliche Einschränkung auf die Tätigkeiten des Amtes an (vgl. zu der typischen Interessenlage - Rn. 15, BAGE 135, 327). Die Parteien haben damit - konkludent - eine Änderung des Arbeitsvertrags für die Zeitspanne vereinbart, für die der Kläger das Amt nach den gesetzlichen Bestimmungen ausübt.
19b) Hinsichtlich der Abberufung eines Abfallbeauftragten sind ausgehend von den vorstehenden Erwägungen sowohl die gesetzlichen Vorgaben des Umweltschutzrechts als auch die Anforderungen, die sich aus dem Grundverhältnis - hier dem konkludent angepassten Arbeitsvertrag - ergeben, in den Blick zu nehmen.
20aa) Im Kreislaufwirtschaftsgesetz ist die Abberufung des Abfallbeauftragten nicht eigenständig geregelt (vgl. - zum Immissionsschutzbeauftragten und noch zu § 11b ff. AbfG - - zu B III 1 der Gründe). § 60 Abs. 3 Satz 1 KrWG verweist für das Verhältnis zwischen dem zur Bestellung Verpflichteten und dem Abfallbeauftragten auf Regelungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zum Immissionsschutzbeauftragten. Dessen Abberufung ist allerdings ebenfalls nicht ausdrücklich geregelt. Sie wird lediglich als actus contrarius zu der Bestellung in § 55 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 1a Satz 2 BImSchG erwähnt und in § 55 Abs. 2 Satz 2 BImSchG als möglich vorausgesetzt.
21bb) Für die Abberufung des Abfallbeauftragten durch den zur Bestellung Verpflichteten stellt das Kreislaufwirtschaftsgesetz - auch iVm. den Regelungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - damit keine spezifischen Anforderungen auf. Damit unterscheidet es sich von den Bestimmungen, die für den Datenschutzbeauftragten gelten. Dessen Abberufung ist nach § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG nur in entsprechender Anwendung von § 626 BGB zulässig, also beim Vorliegen eines wichtigen Grundes. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung im Bundes-Immissionsschutzgesetz bedeutet aber - anders als das Landesarbeitsgericht gemeint hat - nicht, dass die Abberufung eines Abfallbeauftragten vollkommen „frei“ möglich wäre. Vielmehr sind, wie bei der Bestellung, auch die sich aus dem Vertragsrecht ergebenden Anforderungen des Grundverhältnisses zu beachten, soweit es sich dabei um ein Arbeitsverhältnis handelt (aA Landmann/Rohmer UmweltR/Hansmann/Maciejewski Stand September 2023 BImSchG § 55 Rn. 38 (EL 93 August 2020); Jarass BImSchG 14. Aufl. § 55 Rn. 8; strenger Landmann/Rohmer UmweltR/Kersting Stand September 2023 KrWG § 60 Rn. 30 (EL 66 Juni 2012) Abberufung nur aus wichtigem Grund möglich). Dies ist in den umweltrechtlichen Regelungen bereits angelegt. Soweit § 59 KrWG iVm. der Abfallbeauftragtenverordnung (AbfBeauftrV) die Bestellung eines internen, in einem Arbeitsverhältnis stehenden Abfallbeauftragten vorsieht, führt dessen Bestellung regelmäßig für die Dauer der Übertragung des Funktionsamts zu einer Erweiterung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten (sh. Rn. 17). Damit unterliegt in der Folge die in § 60 KrWG iVm. § 55 BImSchG vorausgesetzte einseitige Abberufung durch den zur Bestellung Verpflichteten den Prüfungsanforderungen, die sich aus dem (Arbeits-)Vertragsrecht ergeben.
22cc) Das Landesarbeitsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der Abberufung als actus contrarius zur Bestellung nicht um eine Ausübung des Direktionsrechts des Arbeitgebers handelt. Auch wenn sie damit keiner Ausübungskontrolle nach § 106 Satz 1 GewO unterliegt, folgt daraus aber nicht, dass die einseitige Abberufung kontrollfrei wäre. Hierin liegt der Rechtsfehler des Berufungsurteils. Es hat nicht gesehen, dass die Abberufung als einseitige Leistungsbestimmung der Beklagten nach § 315 BGB der Billigkeit entsprechen muss.
23(1) Weder das Kreislaufwirtschaftsgesetz noch das Bundes-Immissionsschutzgesetz enthalten ausdrückliche Regelungen zur Abberufung der Abfall- und Immissionsschutzbeauftragten (sh. Rn. 20). Beide Gesetze erkennen jedoch eine besondere Schutzbedürftigkeit dieser Personen an, indem sie Bestimmungen zum nachwirkenden Kündigungsschutz und zum Benachteiligungsverbot treffen (vgl. Däubler/Deinert/Zwanziger/Brecht-Heitzmann KSchR 11. Aufl. § 58 BImSchG Rn. 18 f.). Letzteres deutet bereits darauf hin, dass der Gesetzgeber nicht von einer „freien“ Abberufungsentscheidung ausgegangen und die Abberufungsentscheidung des Arbeitgebers einer Überprüfung am Maßstab des § 315 BGB zu unterziehen ist. Denn diese Bestimmung ist entsprechend heranzuziehen, wenn ein Gesetz einem Beteiligten ein nicht näher konkretisiertes Bestimmungsrecht zuweist und der Vertragspartner, der der Bestimmung durch den Anderen unterworfen wird, eines Schutzes gegen willkürliche Vertragsgestaltung bedarf ( - Rn. 33, BAGE 133, 50; vgl. auch - Rn. 16, BGHZ 172, 315).
24Gegenstand von Leistungsbestimmungsrechten kann auch ein nicht-monetärer Leistungsinhalt bzw. eine Leistungsmodalität sein (BeckOGK/Netzer Stand BGB § 315 Rn. 6 f.). Das Bestimmungsrecht kann sich je nach der Parteivereinbarung sowohl auf Art und Umfang der Leistung als auch auf Leistungsmodalitäten beziehen (MüKoBGB/Würdinger 9. Aufl. BGB § 315 Rn. 33). § 315 Abs. 1 BGB ist eine Auslegungsregel, die greift, wenn die Parteien keinen anderen engeren oder weiteren Bestimmungsmaßstab vereinbart haben (BeckOGK/Netzer aaO Rn. 71). Die Beweislast dafür, dass entgegen der Auslegungsregel des § 315 Abs. 1 BGB eine Leistungsbestimmung nach „freiem Ermessen“, nach „freiem Belieben“ iSd. § 319 Abs. 2 BGB oder nach einem anderen Maßstab vereinbart ist, trägt der Bestimmungsberechtigte (MüKoBGB/Würdinger aaO Rn. 63). Auch wenn es vorliegend auf die Frage, ob die Abberufung selbst eine Benachteiligung sein kann, nicht entscheidend ankommt, dürfte im Übrigen eine Abberufung, die nicht billigem Ermessen entspricht, gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen (vgl. - Rn. 21 und 33, BAGE 130, 166 zu § 55 Abs. 3 KrW-/AbfG iVm. § 58 Abs. 2 BImSchG).
25(2) Vorliegend haben die Parteien den Arbeitsvertrag für die Dauer der Übertragung des Funktionsamts (sh. Rn. 18) angepasst. Diese Anpassung und die Bestellung zum Abfallbeauftragten war nur mit der (jedenfalls konkludent erteilten) Zustimmung des Klägers möglich. Die nach den umweltrechtlichen Regelungen vorgesehene einseitige Abberufung durch den zur Bestellung Verpflichteten stellt sich in der Folge als eine einseitige Leistungsbestimmung des Arbeitgebers dar, welche die Anpassung des Arbeitsvertrags wieder rückgängig machen soll. Zum Schutz vor willkürlicher Vertragsgestaltung durch den Arbeitgeber bedarf es einer Kontrolle der Abberufungsentscheidung am Maßstab der Billigkeit. Es sind keine Anhaltspunkte dafür festgestellt oder vorgetragen, dass sich die Parteien bei der Anpassung des Arbeitsvertrags auf eine „freie Widerruflichkeit“ der Amtsübertragung geeinigt hätten. Damit muss nach der Zweifelsregelung in § 315 Abs. 1 BGB der einseitige Entzug des Funktionsamts durch die Beklagte billigem Ermessen genügen. Dem nahekommend ist im Übrigen die Beklagte jedenfalls bis zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts davon ausgegangen, für die Abberufung des Klägers müsse ein sachlicher Grund vorliegen.
26III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Das Recht des Klägers, sich gerichtlich gegen seine Abberufung als Abfallbeauftragter zu wehren, war nicht verwirkt.
271. Das Landesarbeitsgericht hat von seiner Rechtsauffassung ausgehend folgerichtig nicht geprüft, ob Verwirkung vorliegt. Es hat allerdings den erforderlichen Sachverhalt vollständig festgestellt. Weiteres tatsächliches Vorbringen der Parteien ist nicht zu erwarten. Der Senat kann deshalb die Prüfung der Verwirkung selbst vornehmen (vgl. - Rn. 59, BAGE 156, 157).
282. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) und soll dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen. Sie hat nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen (Zeitmoment). Es müssen vielmehr besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen ( - Rn. 23). Der Berechtigte muss unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden ( - Rn. 60, BAGE 156, 157).
293. Ausgehend hiervon scheidet vorliegend eine Verwirkung aus. Die Beklagte hat bereits keine Umstände vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen könnten, sie habe darauf vertrauen können, der Kläger werde von einer gerichtlichen Prüfung der Abberufung absehen. Vielmehr hat er sich nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts während der Verhandlungen über eine etwaige Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. den zukünftigen Inhalt seiner Tätigkeit eine gerichtliche Überprüfung seines Beschäftigungsanspruchs vorbehalten.
30IV. Ob die Abberufung des Klägers als Abfallbeauftragter vom wirksam ist, kann der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend entscheiden. Er kann die Prüfung nach § 315 BGB nicht selbst vornehmen. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass die Abberufungsentscheidung keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Ausgehend hiervon hat es - folgerichtig - keine ausreichenden Feststellungen zur Ausübung billigen Ermessens getroffen. Der Rechtsstreit ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
311. Im Rahmen der Billigkeitskontrolle wird das Landesarbeitsgericht zu beachten haben, dass die Beklagte für die Einhaltung des billigen Ermessens die Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. zu § 106 GewO vgl. - Rn. 38; - 10 AZR 11/16 - Rn. 28; jew. mwN). Beruht die Leistungsbestimmung - wie hier von der Beklagten vorgetragen - auf einer unternehmerischen Entscheidung, kommt dieser ein besonderes Gewicht zu, ohne dass das unternehmerische Konzept auf seine Zweckmäßigkeit zu überprüfen wäre (zu § 106 GewO vgl. - Rn. 41; - 10 AZR 11/16 - Rn. 30). Dies gilt auch für die Bestellung eines externen Abfallbeauftragten, die nach den umweltschutzrechtlichen Regelungen grundsätzlich möglich ist (§ 59 Abs. 1 KrWG iVm. § 5 AbfBeauftrV).
322. Der Arbeitnehmer kann allerdings - wie hier der Kläger - einwenden, die Berufung auf eine unternehmerische Entscheidung sei rechtsmissbräuchlich oder die Entscheidung sei willkürlich (vgl. zu kündigungsschutzrechtlichen Fragestellungen - Rn. 14). Im Prozess hat der Arbeitnehmer die Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich dies ergeben soll. Der Vortrag des Klägers, die unternehmerische Entscheidung sei lediglich „vorgeschoben“, kann danach grundsätzlich erheblich sein.
333. Sollte das Landesarbeitsgericht - ggf. nach Erteilung sachdienlicher Hinweise - zu dem Ergebnis kommen, der Kläger habe den für das Vorliegen einer willkürlichen oder missbräuchlichen Unternehmerentscheidung notwendigen Vortrag gehalten und ordnungsgemäß Beweis angeboten, sind die von ihm angetretenen Beweise zu erheben, soweit die Beklagte zuvor die Indiztatsachen ausreichend bestritten hat (§ 138 Abs. 2 ZPO). Die Ergebnisse der Beweisaufnahme sind unter Beachtung der den Arbeitnehmer treffenden objektiven Beweislast zu würdigen (§ 286 Abs. 1 ZPO).
34V. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:181023.U.5AZR68.23.0
Fundstelle(n):
BB 2024 S. 115 Nr. 3
DB 2024 S. 871 Nr. 14
DB 2024 S. 871 Nr. 14
NJW 2024 S. 306 Nr. 5
RAAAJ-55657