Erinnerung gegen den Kostenansatz; Streitwert in einem „Goldfinger-Fall“
Leitsatz
NV: Zur Streitwertbemessung in einem Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit einer Feststellung im Sinne des § 180 Abs. 5 Nr. 1 der Abgabenordnung (negativer Progressionsvorbehalt) in einem „Goldfinger-Fall“.
Gesetze: GKG § 39 Abs. 1 und 2; GKG § 52 Abs. 1
Tatbestand
I.
1 Mit Urteil vom - 2 K 265/20 hat das Finanzgericht (FG) des Landes Sachsen-Anhalt die Klage der Klägerin, Kostenschuldnerin und Erinnerungsführerin (Klägerin) abgewiesen und ihr die Kosten des Verfahrens auferlegt. Diese Entscheidung erging in einem zweiten Rechtsgang, da die ursprüngliche Entscheidung (Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom - 6 K 194/15) in dem dagegen geführten Revisionsverfahren durch unter Zurückverweisung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (und zugleich unter Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG, § 143 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) aufgehoben worden war (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Gegen das Urteil vom hat die Klägerin Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt; dieses Verfahren ist beim BFH unter dem Aktenzeichen I B 75/22 anhängig. Die Zuständigkeit des I. Senats in dieser Sache beruht auf einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans des BFH des Inhalts, dass für Streitigkeiten im Zusammenhang mit § 180 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) nunmehr der I. Senat (und nicht mehr mit Blick auf die Rechtsform der Klägerin als GbR der IV. Senat) zuständig ist.
2 Mit Schlusskostenrechnung vom (KostL 254/23 (IV R 43/16)) hat die Kostenstelle des BFH Gerichtskosten in Höhe von 548.325 € (auf der Grundlage der Gebühr KV 6120 und unter Ansatz eines Streitwerts von 30 Mio. € [§ 39 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes —GKG—]) angesetzt. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Erinnerung vom . Das Erinnerungsverfahren wurde zunächst unter dem Aktenzeichen IV E 10/23 beim BFH aufgenommen; später wurde es an den I. Senat abgegeben, da Gegenstand des Streits über die Höhe der Gerichtskosten ein „Nebengesetz“ (hier: Gerichtskostengesetz) ist, sodass —unabhängig davon, dass dem Kostenansatz eine Kostengrundentscheidung zugrunde liegt, die auf ein Hauptsacheverfahren des IV. Senats zurückzuführen ist— der nach aktuell gültiger Geschäftsverteilung zuständige Fachsenat (der I. Senat) für das Erinnerungsverfahren als Anhangverfahren zuständig ist (s. insoweit III.2. der Ergänzenden Regelungen zum Geschäftsverteilungsplan des BFH 2023).
3 Mit ihrer Erinnerung macht die Klägerin geltend, der Streitwert für das Verfahren um die Anerkennung progressionswirksamer Verluste in Höhe von 80.256.810 € im Rahmen eines Feststellungsbescheids nach § 180 Abs. 5 Nr. 1 AO sei pauschal in Höhe von 25 % (abgerundet: 20.064.200 €) anzusetzen; die (ohnehin nicht heranzuziehende) konkrete einkommensteuerliche Auswirkung bei den Gesellschaftern der Klägerin rechtfertige keinen höheren Streitwertansatz. Mit Blick auf einen weiteren Streitpunkt im Rahmen des (verbundenen) Feststellungsbescheids gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO sei der Streitwert noch um 25 % von 1.932,76 € (damit um 483,19 €) zu erhöhen, sodass ein Streitwert von (gerundet) 20.064.700 € anzusetzen sei.
4 Die Klägerin beantragt, die Kosten unter Zugrundelegung eines Streitwerts von 20.064.700 € neu festzusetzen.
5 Die Erinnerungsgegnerin (Vertreterin der Staatskasse) beantragt, die Erinnerung zurückzuweisen.
Gründe
II.
6 1. Die Entscheidung über die Erinnerung ergeht gemäß § 66 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 5 GKG durch den im Geschäftsverteilungsplan des zuständigen I. Senats bestimmten Einzelrichter.
7 2. Die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren IV R 43/16 ist ohne Rechtsfehler ausgehend von einem Streitwert von 30 Mio. € festgesetzt worden; da dieser Wert der gesetzliche Höchstwert (§ 39 Abs. 2 GKG) für den gesamten Rechtsstreit ist (s. insoweit allgemein Senatsbeschluss vom - I E 1/06, BFH/NV 2006, 1674) und schon den auf den ersten Antrag der Klägerin entfallenden Streitwert begrenzt, ist eine Entscheidung zu möglichen Streitwerterhöhungen durch weitere Anträge der Klägerin (als Gesamtstreitwert des Verfahrens IV R 43/16) nicht zu treffen.
8 a) Bei Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen wegen einer gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung (§ 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO) bemisst der BFH in ständiger Rechtsprechung den Streitwert gemäß § 52 Abs. 1 GKG nach der typisierten einkommensteuerlichen Bedeutung des Verfahrens für die Feststellungsbeteiligten. Diese Bedeutung ist grundsätzlich —im Sinne einer Vereinfachungsregelung— mit 25 % des streitigen Gewinns oder Verlustes zu bemessen (z.B. , BFHE 262, 418, BStBl II 2019, 167; Senatsbeschluss vom - I E 1/19, BFH/NV 2019, 1355; BFH-Beschlüsse vom - IX S 16/19, BFH/NV 2019, 1354; vom - IX E 7/20, BFH/NV 2020, 903; vom - IX E 3/21, BFH/NV 2022, 609, jeweils m.w.N.). Die tatsächlichen steuerlichen Auswirkungen bei den einzelnen Beteiligten des Feststellungsverfahrens werden nicht ermittelt (z.B. BFH-Beschlüsse vom - IV E 1/12, BFH/NV 2012, 1153; vom - IV S 17/12, BFH/NV 2013, 248; vom - IV E 7/12, BFH/NV 2013, 403; vom - IV E 1/16, BFH/NV 2016, 1066; Senatsbeschluss vom - I E 1/19, BFH/NV 2019, 1355; , BFH/NV 2022, 609).
9 Dem Pauschalansatz liegt im Rahmen des eher summarischen Verfahrens der Streitwertbestimmung „nach Ermessen“ (§ 52 Abs. 1 GKG) die Überlegung zugrunde, bei der Streitwertbemessung sowohl der verfahrensrechtlichen Trennung von Feststellungs- und (Steuer-)Festsetzungsverfahren als auch zugleich einem etwaigen Geheimnisschutzinteresse einzelner Beteiligter (§ 30 AO) Rechnung zu tragen; nicht zuletzt geht es auch darum, den Ermittlungsaufwand, der abhängig von der Anzahl der Feststellungsbeteiligten (und zugleich der vom Rechtsstreit betroffenen Personen) das Verfahren zur Bemessung des Streitwerts bei einer strengen Individualisierung überfrachten könnte, zu begrenzen. Diesem Ansatz ist es immanent, dass sich der Blick auf die konkreten steuerlichen Auswirkungen bei einzelnen Feststellungsbeteiligten im Regelfall auf die Typisierung beschränkt, ob die erwarteten Auswirkungen (als streitwerterhebliches Interesse des Beteiligten im Sinne der „Bedeutung der Sache“, § 52 Abs. 1 GKG) durch den Pauschalwertansatz abgebildet sind, und dass die persönliche Zuordnung durch den Wert der Beteiligung an den gemeinschaftlichen Besteuerungsgrundlagen (hier: Höhe der Beteiligung an den gemeinschaftlichen Einkünften als Grundlage einer Auswirkung auf den inländischen Steuersatz) abgeschlossen wird. An dieser pauschalen Ermittlung des Streitwerts ist selbst dann festzuhalten, wenn im Verfahren über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung die tatsächlichen einkommensteuerlichen Auswirkungen bei den Feststellungsbeteiligten (als ertragsteuerliche Zurechnungssubjekte der gemeinschaftlich erzielten Einkünfte) bekannt geworden sind (z.B. BFH-Beschlüsse vom - IV E 5/05, BFH/NV 2006, 315; vom - IV E 1/12, BFH/NV 2012, 1153; vom - IV E 1/16, BFH/NV 2016, 1066; vom - IX E 3/21, BFH/NV 2022, 609). Diese „Absage“ an Bestrebungen einer (weitgehenden) Individualisierung der Streitwertbestimmung bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung (s. zu in der Rechtsprechung anerkannten —hier aber nicht einschlägigen— Ausnahmen die Nachweise bei Brandis in Tipke/Kruse, Vor § 135 FGO Rz 199a) ist als Gegenstand der ständigen BFH-Rechtsprechung zu respektieren (s.a. Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 139 FGO Rz 293a; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., Vor § 135 Rz 160 „Einheitliche (und gesonderte) Feststellung“ [a) Allgemeine Grundsätze]; Böwing-Schmalenbrock in Gosch, FGO § 139 Rz 112 „Einheitliche und gesonderte Feststellung"; Hendricks in Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz, 4. Aufl., Rz 10.34), was auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt wird.
10 b) Dieser Pauschalsatz (siehe zu a) ist bei einem Streit über die Höhe des festzustellenden Gewinns allerdings keine feste Größe. Ausnahmsweise kommt der Ansatz eines höheren Prozentsatzes in Betracht, wenn ohne besondere Ermittlungen im Gewinnfeststellungsverfahren erkennbar ist, dass der Pauschalsatz der tatsächlichen (einkommen-)steuerlichen Auswirkung bei den Beteiligten nicht gerecht wird. Daher ist der Satz von 25 % bei höheren Gewinn- beziehungsweise Verlustanteilen wegen der infolge des progressiven Einkommensteuertarifs zu erwartenden höheren einkommensteuerlichen Auswirkung angemessen zu erhöhen (s. z.B. BFH-Beschlüsse vom - IV S 4/97, BFH/NV 1997, 699; vom - IV E 2/14, BFH/NV 2014, 1766; vom - IV E 1/16, BFH/NV 2016, 1066; vom - IX E 3/21, BFH/NV 2022, 609). Die Obergrenze des Pauschalsatzes beträgt für die Feststellungs- beziehungsweise Veranlagungszeiträume ab 2005 grundsätzlich 40 % (Brandis in Tipke/Kruse, Vor § 135 FGO Rz 199b; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 139 FGO Rz 293a); dies entspricht auch dem —wenn auch nicht abschließend rechtsverbindlichen (z.B. Brandis in Tipke/Kruse, Vor § 135 FGO Rz 100; Böwing-Schmalenbrock in Gosch, FGO § 139 Rz 111), allerdings zur Orientierung und aus Gleichbehandlungsgründen ohne Weiteres auch in Verfahren beim BFH zur Kenntnis zu nehmenden (z.B. , BFH/NV 2016, 1039)— sogenannten Streitwertkatalog der Finanzgerichtsbarkeit (mit dem Stand Dezember 2021 nachgewiesen auf der Internetpräsenz der Finanzgerichte [z.B. www.fg-duesseldorf.nrw.de], I. Allgemeines/12. Gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, m.w.N.).
11 Diese Obergrenze findet insbesondere dann Anwendung, wenn „Verluste bzw. Verlustanteile bei Abschreibungsgesellschaften oder Bauherrengemeinschaften“ Gegenstand des Rechtsstreits sind (z.B. Streitwertkatalog der Finanzgerichtsbarkeit, ebenda, dort Buchst. e - mit Hinweis u.a. auf den , BFH/NV 2007, 1528; s.a. die weiteren Nachweise bei Brandis in Tipke/Kruse, Vor § 135 FGO Rz 203). Dem liegt die Wertung zugrunde, dass es bei diesen („steuerorientierten“) Verlusten für die Beteiligten darum geht, (entsprechend) hohe positive Einkünfte auszugleichen; dabei wird eine Anwendung des höchsten Pauschalsatzes auch dann als gerechtfertigt angesehen, wenn möglicherweise nicht bei allen Beteiligten ein Grenzsteuersatz in dieser Höhe erreicht wird (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom - IV E 2/80, BFHE 130, 363, BStBl II 1980, 520; vom - IV R 235/75, BFHE 131, 288, BStBl II 1981, 38; vom - VIII R 346/83, BFHE 152, 5, BStBl II 1988, 287; s.a. Beschluss vom - IV E 1/16, BFH/NV 2016, 1066).
12 c) Diese Maßgaben sind sinnentsprechend in der hier gegenständlichen Konstellation des Feststellungsbescheids des § 180 Abs. 5 Nr. 1 AO im Zusammenhang mit der Anwendung des sogenannten negativen Progressionsvorbehalts (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes) als Zielpunkt der Gestaltung heranzuziehen. Dazu hat das Hessische FG zutreffend ausgeführt (Urteil vom - 7 K 1095/15, Rz 44 des juris-Nachweises [insoweit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 1388 nicht abgedruckt]; zustimmend Brandis in Tipke/Kruse, Vor § 135 FGO Rz 203), es handele sich beim sogenannten Goldfingermodell um „ein für Spitzenverdiener interessantes“ Gestaltungsmodell zur Verlusterzielung, wobei der Verlust im Wege des negativen Progressionsvorbehalts der Herabsetzung des Spitzensteuersatzes auf Null dienen sollte. Ob bei allen Beteiligten der Spitzensteuersatz erreicht werde, sei unerheblich (dortiger Hinweis auf den , BFH/NV 2016, 1066 [zu einer Beteiligung an einem Filmproduktionsfonds zur Erzielung von Verlusten zum Ausgleich positiver Einkünfte]).
13 d) Auf dieser Grundlage hat die Kostenstelle des BFH zutreffend einen über 25 % liegenden Pauschalsatz auf den streitigen Verlustbetrag (als Grundlage eines negativen Progressionsvorbehalts) angewendet (hier: 40 %), den so errechneten Wert aber nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 GKG auf den gesetzlichen Höchstbetrag (30 Mio. €) begrenzt, sodass rechnerisch letztlich ein Satz von 37,37 % (damit ein unter 40 % liegender Satz) angewendet wurde.
14 3. Die Entscheidung über die Erinnerung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2023:B.271023.IE4.23.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2024 S. 189 Nr. 2
LAAAJ-55513