BGH Beschluss v. - 6 StR 345/23

Betäubungsmittelrecht: Strafmilderung bei Aufklärungserfolg; Verfahrensvoraussetzungen der Anklageerhebung und des Eröffnungsbeschlusses

Gesetze: § 264 Abs 1 StPO, § 53 StGB, § 30a Abs 1 BtMG, § 31 S 1 Nr 1 BtMG

Instanzenzug: LG Neubrandenburg Az: 22 KLs 30/22nachgehend Az: 6 StR 369/24 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „bewaffneten Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen in Tatmehrheit mit unerlaubtem bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, bei allen vier Taten in Tateinheit“ mit einem Waffendelikt, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt er die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 206a Abs. 1, § 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Hinsichtlich der von dem Landgericht festgestellten ersten drei Ernten der Cannabis-Plantage (Fälle II.1 bis 3 der Urteilsgründe) fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung einer Anklageerhebung (§ 200 StPO) und demzufolge auch an der eines Eröffnungsbeschlusses.

3a) Die Urteilsfindung hat die Tat im verfahrensrechtlichen Sinne zum Gegenstand (§ 264 Abs. 1 StPO). Diese bestimmt sich nach dem von der zugelassenen Anklage umschriebenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Sie erstreckt sich auf das gesamte Verhalten des Täters, das nach natürlicher Auffassung ein mit diesem geschichtlichen Vorgang einheitliches Geschehen bildet (vgl. , NStZ 2012, 168, 169). Liegen nach dieser Maßgabe verschiedene Lebenssachverhalte und mithin mehrere selbstständige prozessuale Taten vor, so sind diese nur dann Gegenstand der Urteilsfindung, wenn sich nach dem aus der Anklageschrift erkennbaren Willen der Staatsanwaltschaft ergibt, dass sie sämtlich einer Aburteilung zugeführt werden sollen (vgl. , BGHSt 43, 96, 99 ff.; vom – 3 StR 407/12, Rn. 10).

4b) Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage war dem Angeklagten zur Last gelegt worden, „seit 2019“ bewaffnet mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben und „durch dieselbe Handlung“ ein Waffendelikt begangen zu haben, indem er am bei einer Durchsuchung auf einem Grundstück in A.         mit einem „scharf geladenen Revolver“ sowie Bargeld in Höhe von ca. 9.170 Euro sowie 10.000 norwegischen Kronen unweit einer dort betriebenen „professionellen“ Cannabis-Indoorplantage angetroffen wurde; 1.700 Pflanzen unterschiedlicher Wuchshöhe und bereits abgeerntetes Pflanzenmaterial wurden sichergestellt. Weitere Anpflanzungen und Ernten werden im konkreten Anklagesatz nicht benannt. Lediglich im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird zur Erläuterung ausgeführt, dass der Angeklagte in seinem Notizbuch als Zeitpunkt der Fertigstellung der Plantage „August 2019“ festgehalten habe; ferner sei es zu Streitigkeiten „während der Plantagenernte im April 2020“ gekommen.

5c) Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der Angeklagte mit den gesondert Verfolgten L.     und M.     überein, auf dem Grundstück seiner Ehefrau in A.          eine Cannabis-Indoorplantage zu betreiben. Er sollte im Rahmen der Arbeitsteilung insbesondere für die Beschaffung von Treibstoff für die eingesetzten Diesel-Aggregate verantwortlich sein und eine Beteiligung an den Verkaufserlösen erhalten. Jedenfalls im Sommer 2019 wurde die notwendige technische Ausstattung geliefert und aufgebaut. Um die Aufzucht „kümmerte sich“ der Niederländer „Onkelchen“. Die Ernte erbrachte 15,5 kg, die – „vermutlich, aber nicht sicher“ – im März 2020 erfolgte zweite Ernte ca. 30 kg Cannabis. Sodann löste sich die Gruppierung wegen eines Streits auf.

6Einige Monate später kam der Angeklagte mit „Onkelchen“ dahin überein, fortan die Plantage zu zweit zu betreiben. Ihm oblag wiederum die Beschaffung von Diesel-Kraftstoff. In der Folgezeit kam es zu einer Ernte von mindestens 40 kg Cannabis. Bei der Festnahme des Angeklagten am wurden unter anderem ein geladener „Trommelrevolver“, weitere Munition sowie 1.700 Pflanzen unterschiedlicher Wuchshöhe und 2.295 g abgeerntetes Pflanzenmaterial mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 1.395 g sichergestellt.

7Das Landgericht hat ferner ausgeführt, dass „einzelne Tathandlungen“ ohne die im Hauptverfahren abgegebene geständige Einlassung des Angeklagten „nicht hinreichend konkretisierbar waren“, so dass sie auch in der Anklageschrift nicht aufgeführt werden konnten.

8d) Die von der Strafkammer abgeurteilten ersten drei Ernten (Fälle II.1 bis 3 der Urteilsgründe) haben weder in abstrakter noch in konkreter Weise Eingang in den Anklagesatz gefunden. Soweit die erste Ernte (Fall II.1 der Urteilsgründe) im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen erwähnt wird, ist angesichts der näheren Umstände davon auszugehen, dass dies lediglich zur Schilderung der Tathintergründe erfolgt ist, ohne dass die Staatsanwaltschaft sie zur Anklage bringen wollte.

9Entgegen der Ansicht des Landgerichts liegt keine einheitliche prozessuale Tat vor (§ 264 StPO). Da die jeweiligen Anpflanzungen mit der Ernte ihr Ende fanden und es danach zu Neuanpflanzungen kam, stellt sich die getrennte Betrachtung der verschiedenen Anpflanzungen gerade nicht als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Ju-li 1987 – 3 StR 36/87, BGHSt 35, 14, 17), sondern als sachlich naheliegend dar (vgl. , Rn. 13); daran ändert auch der von der Staatsanwaltschaft angegebene – zum übrigen konkreten Anklagesatz freilich in Widerspruch stehende – mehrjährige Tatzeitraum nichts. Dies korrespondiert schließlich auch mit der materiell-rechtlichen Bewertung der Anbauvorgänge; diese erweisen sich als grundsätzlich selbständige Taten (vgl. , Rn. 14). Da hier auch kein Fall der Bewertungseinheit vorliegt (vgl. ), ist das Verfahren – mangels erhobener Nachtragsanklage (§ 266 StPO) – gemäß § 354 Abs. 1, § 206a Abs. 1 StPO insoweit einzustellen; die gebildete Gesamtstrafe entfällt.

102. Die Überprüfung des Schuldspruchs im Fall II.4 der Urteilsgründe hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hingegen hält der nach der Verfahrenseinstellung verbleibende Rechtsfolgenausspruch revisionsgerichtlicher Überprüfung überwiegend nicht stand.

11a) Bereits die Strafrahmenwahl begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

12aa) Zwar erörtert das Landgericht, ob die vom Angeklagten im Zuge der Durchsuchung gemachten Angaben zu einem Beteiligten zu einem Aufklärungserfolg im Sinne des § 31 BtMG geführt haben. Hierzu stellt es fest, dass der Angeklagte den eingesetzten Beamten den Namen „    G.   “ für den bis dahin unbekannten Tatbeteiligten „Onkelchen“ sowie dessen Tatbeiträge nannte und dieser Name polizeilich einer realen Person zugeordnet werden konnte. Die Strafkammer verneint aber einen Aufklärungserfolg mit der Begründung, dass das „kooperative Verhalten“ bei der Durchsuchung den Anwendungsbereich der Norm nicht eröffne; der Angeklagte habe sich zu einem späteren Zeitpunkt vor Eröffnung des Verfahrens nicht zur Sache eingelassen.

13bb) Diese Erwägungen lassen besorgen, dass die Strafkammer einen zu engen Anwendungsbereich von § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG zugrundegelegt hat. Nach den Feststellungen liegt es nahe, dass der Angeklagte bereits im Zuge des Ermittlungsverfahrens durch freiwillige Benennung des Beteiligten „G.    “ dazu beigetragen hat, die Tat über seinen Tatbeitrag hinaus wesentlich aufzuklären. Die Vorschrift des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG greift bereits ein, wenn der Täter durch konkrete Angaben die Voraussetzung dafür geschaffen hat, dass gegen den Belasteten ein Strafverfahren voraussichtlich mit Erfolg durchgeführt werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 463/95, BGHR BtMG § 30 Abs. 2 Strafrahmenwahl 4; vom – 3 StR 413/08, NStZ-RR 2009, 58, 59; vom – 3 StR 394/21, StV 2022, 389). Dass der in der Hauptverhandlung umfassend geständige Angeklagte im Anschluss an die Durchsuchung und seine Festnahme keine weiteren Angaben gemacht hat, steht dem nicht entgegen (vgl. ; Patzak/Volkmer/Fabricus, BtMG, 10. Aufl., § 31 Rn. 22 mwN).

14cc) Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung der im Fall II.4 der Urteilsgründe verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Das neue Tatgericht wird zudem zu beachten haben, dass die bislang straffreie Lebensführung eines Angeklagten ein gewichtiger Strafzumessungsgrund ist, dessen Berücksichtigung es regelmäßig bedarf (vgl. , BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 4; Beschluss vom – 4 StR 133/23).

15b) Auch die Einziehungsentscheidung unterliegt teilweise ebenfalls der Aufhebung. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Die Einziehung von Tatmitteln ist dagegen gem. § 74 Abs. 3 Satz 1 StGB nur zulässig, wenn die Gegenstände zur Zeit der Entscheidung dem Täter oder Teilnehmer gehören oder zustehen. Der Beschwerdeführer war (lediglich) Eigentümer des eingezogenen PKW Mercedes (UA S. 11). Die übrigen eingezogenen Tatmittel (Leuchten; Dieselgeneratoren und sonstiges „Eqipment“) standen nach den Feststellungen (UA S. 4) dagegen nicht im Eigentum des Angeklagten (UA S. 11). Auch die vom Landgericht (zusätzlich) für die Dieselgeneratoren herangezogene Vorschrift des § 74a StGB trägt nicht. Zwar lässt § 74a StGB die Einziehung fremder Gegenstände zu. Voraussetzung dafür ist aber eine gesetzliche Vorschrift, die auf § 74a StGB verweist. Die vom Landgericht benannte Verweisungsnorm (§ 33 Satz 2 BtMG) erfasst jedoch nicht Tatmittel, sondern betrifft allein die Einziehung von Beziehungsgegenständen (Senat –, juris).“

16Dem schließt sich der Senat an.

173. Er bemerkt ergänzend:

18a) Der konkrete Anklagesatz dient nicht der Nacherzählung des Ermittlungsverfahrens, sondern hat die Tat als einmaligen Lebensvorgang zu umgrenzen, regelmäßig unter Angabe von Tatzeit, Tatort und Tatobjekt sowie unter Angabe des konkret vorgeworfenen Verhaltens. Jedes Merkmal, des zugrundeliegenden Straftatbestandes ist durch Angabe von tatsächlichen Umständen zu belegen, die nach Auffassung der Anklagebehörde dieses Merkmal erfüllen (vgl. nur KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 200 Rn. 3 und 4 mwN).

19b) Die schriftlichen Urteilsgründe sollen in allgemein verständlicher und sachlicher Form abgefasst sein (vgl. , NStZ-RR 2009, 103, 104). Ein klarer sprachlicher Ausdruck dient ebenso wie eine Gliederung der notwendigen intersubjektiven Vermittelbarkeit der bestimmenden Beweisgründe (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 160/94, NStZ 1994, 400; vom – 2 StR 380/19, NStZ-RR 2020, 258; vom – 2 StR 7/20, NStZ-RR 2020, 321, 322).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:141123B6STR345.23.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-55249