Elektronischer Rechtsverkehr: Erforderlichkeit eines Dienstsiegels bei Übermittlung des Vollstreckungsantrags der Vollstreckungsbehörde über das besondere elektronische Behördenpostfach
Leitsatz
Für den elektronisch einzureichenden Vollstreckungsantrag der Vollstreckungsbehörde nach § 322 Abs. 3 AO, der über das besondere elektronische Behördenpostfach übermittelt worden ist, genügt die einfache Signatur der verantwortenden Person. Eines Dienstsiegels bedarf es nicht (im Anschluss an , NJW-RR 2023, 906).
Gesetze: § 130a Abs 3 S 1 ZPO, § 130a Abs 4 S 1 Nr 3 ZPO, § 130d ZPO, § 322 Abs 3 AO, § 15 ZVG, § 27 ZVG
Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 6 T 96/23vorgehend AG Westerstede Az: 66 K 2016/21
Gründe
I.
1Auf Antrag der Beteiligten zu 1 hat das die Zwangsversteigerung des eingangs genannten Grundbesitzes des Schuldners angeordnet und am den Beitritt der Beteiligten zu 2 zugelassen. Die Beteiligte zu 3, die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Hauptzollamt (nachfolgend: Hauptzollamt), hat am über das besondere elektronische Behördenpostfach einen Antrag nach § 322 Abs. 3 AO auf Zulassung des Beitritts als einfach elektronisch signiertes Dokument an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Amtsgerichts übermittelt. Der Aufforderung, den Antrag in Papierform oder elektronisch mit qualifizierter Signatur zu übersenden, ist das Hauptzollamt nicht nachgekommen. Daraufhin hat das Amtsgericht den Antrag auf Zulassung des Beitritts zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg gehabt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt das Hauptzollamt seinen Antrag weiter.
II.
2Das Beschwerdegericht meint, die Übermittlung des Antrags auf Zulassung des Beitritts zu dem Zwangsversteigerungsverfahren nach § 322 Abs. 3 AO über das besondere Behördenpostfach ohne qualifizierte elektronische Signatur genüge nicht den erweiterten Anforderungen an einen titelersetzenden Vollstreckungsauftrag. Auch nach Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bedürfe es zur Wahrung des materiellen Schriftformerfordernisses bei Vollstreckungsaufträgen mit titelersetzender Wirkung der qualifizierten elektronischen Signatur oder eines elektronischen Siegels der Behörde. Nur auf diese Weise könne Verantwortung für den Vollstreckungsauftrag übernommen und die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs geforderte und auch nach neuer Rechtslage weiter zu fordernde besondere Authentizität durch Erkennbarkeit und Nachweis der die Verantwortung tragenden Person umgesetzt werden. Ein in das elektronische Dokument eingefügtes Dienstsiegel biete, anders als die qualifizierte elektronische Signatur, das elektronische Siegel oder das gestempelte Siegel auf einem privatschriftlichen Dokument, für die Beurteilung der Authentizität keinen Mehrwert.
III.
3Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist begründet. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts bedurfte der über das besondere Behördenpostfach elektronisch übermittelte Antrag des Hauptzollamts auf Zulassung des Beitritts zu dem Zwangsversteigerungsverfahren (§§ 15, 27 ZVG) weder einer qualifizierten Signatur noch eines Dienstsiegels.
41. Die Finanzbehörden können Verwaltungsakte, mit denen eine Geldleistung, eine sonstige Handlung, eine Duldung oder Unterlassung gefordert wird, im Verwaltungsweg vollstrecken (§ 249 Abs. 1 Satz 1 AO). Für die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen verweist § 5 VwVG auf die Vorschriften in § 77 Abs. 2, §§ 322, 323 AO. Nach § 322 Abs. 1 Satz 2 AO sind auf die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen des Schuldners die für die gerichtliche Zwangsvollstreckung geltenden Vorschriften, namentlich die §§ 864 bis 871 ZPO und das Zwangsversteigerungsgesetz, anzuwenden. Der auf die Anordnung eines Zwangsversteigerungsverfahrens (§ 15 ZVG) oder einen Beitritt (§ 27 ZVG) bezogene Antrag fällt in den Verantwortungsbereich der Vollstreckungsbehörde (§ 322 Abs. 3 Satz 1, § 249 Abs. 1 Satz 3 AO; vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 130/19, WM 2021, 1800 Rn. 21; BFHE 152, 53, 56). Sie hat hierbei zu bestätigen, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen (§ 322 Abs. 3 Satz 2 AO). Ob dies zutrifft, darf nicht durch das Vollstreckungsgericht nachgeprüft werden (§ 322 Abs. 3 Satz 3 AO). Die Maßnahmen, die zur Durchführung der Zwangsversteigerung eines Grundstücks getroffen werden müssen, bestimmen sich nach dem Zwangsversteigerungsgesetz (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 130/19, WM 2021, 1800 Rn. 7).
52. Nach der grundsätzlich auch im Zwangsversteigerungsverfahren anwendbaren Zivilprozessordnung (§ 869 ZPO) muss die Vollstreckungsbehörde den Antrag gemäß §§ 15, 16, 27 ZVG auf Anordnung des Zwangsversteigerungsverfahrens bzw. auf Zulassung des Beitritts als elektronisches Dokument übermitteln (§ 130d ZPO). Nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde und der elektronischen Poststelle des Gerichts.
63. Anders als das Beschwerdegericht meint, legt § 130a ZPO die formellen Anforderungen an den Vollstreckungsantrag der Vollstreckungsbehörde nach § 322 Abs. 3 AO abschließend fest.
7a) Das Berufungsgericht stützt sich für seine Beurteilung auf den , WM 2015, 1117) zu §§ 6, 7 JBeitrO aF (§§ 6, 7 JBeitrG). Ob diese Rechtsprechung auf einen Vollstreckungsantrag nach § 322 Abs. 3 AO überhaupt übertragbar ist, lässt sich, wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht, im Hinblick auf die in § 322 Abs. 3 Satz 3 AO getroffene Regelung bezweifeln; es handelt sich nämlich - anders als das Beschwerdegericht annimmt - nicht um einen titelersetzenden Vollstreckungsantrag (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 130/19, WM 2021, 1800 Rn. 21).
8b) Das kann aber dahinstehen, weil sich selbst für das Justizbeitreibungsgesetz die Anforderungen an den (dort titelersetzenden) Vollstreckungsantrag zwischenzeitlich geändert haben. Der Bundesgerichtshof hat - allerdings erst nach Erlass des angegriffenen Beschlusses - entschieden, dass die zuvor geltenden Anforderungen an einen in Papierform eingereichten titelersetzenden Vollstreckungsantrag (vgl. , WM 2015, 1117 Rn. 16) auf einen elektronisch eingereichten Vollstreckungsantrag, der den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten unterliegt, nicht übertragen werden können. Nimmt das Verfahrensrecht auf die Vorschrift des § 130a ZPO Bezug, ergeben sich daraus die Anforderungen an die Übermittlung des titelergänzenden Vollstreckungsantrags als elektronisches Dokument. Titelersetzende Vollstreckungsanträge entsprechen danach den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn sie entweder von der sie verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden oder von der sie verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden sind. Durch die Einreichung über einen sicheren Übermittlungsweg ist die Authentizität des Vollstreckungsantrags mit Blick auf dessen Herkunft von der dazu befugten Behörde gewährleistet. Weitere Formerfordernisse bestehen nicht, es sei denn, das Verfahrensrecht, dem der titelersetzende Vollstreckungsantrag unterliegt, bestimmt etwas anderes (vgl. zum Ganzen , NJW-RR 2023, 906 Rn. 22 ff., 27 ff., 32 zu dem Vollstreckungsantrag nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG; Beschluss vom - I ZB 69/22, WM 2023, 1469 Rn. 11 ff., 13 zu der Vollstreckung nach § 5a Abs. 1 Satz 5 VwVG NW aF/§ 5a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwVG NW nF).
9c) Ebenso legt die von § 322 Abs. 1 Satz 2 AO durch Verweisung auf die Zivilprozessordnung in Bezug genommene Vorschrift des § 130a ZPO die formellen Anforderungen an den Vollstreckungsantrag der Vollstreckungsbehörde nach § 322 Abs. 3 AO abschließend fest. Für den elektronisch einzureichenden Vollstreckungsantrag der Vollstreckungsbehörde nach § 322 Abs. 3 AO, der über das besondere elektronische Behördenpostfach übermittelt worden ist, genügt die einfache Signatur der verantwortenden Person. Die (einfache) Signatur in Verbindung mit einem sicheren Übermittlungsweg ist der qualifizierten elektronischen Signatur nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO gleichgestellt. Eines Dienstsiegels bedarf es nicht. Der Gesetzgeber hat in § 130a ZPO kein solches Formerfordernis vorgesehen (vgl. , NJW-RR 2023, 906 Rn. 32).
104. Der Antrag des Hauptzollamts auf Zulassung des Beitritts gemäß § 322 Abs. 3 AO, § 27 ZVG entspricht den Anforderungen des elektronischen Rechtsverkehrs. Er wurde nach § 130a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO auf einem sicheren Übermittlungsweg über das besondere elektronische Behördenpostfach eingereicht und ist von der verantwortenden Person (einfach) signiert.
III.
111. Der angefochtene Beschluss kann somit keinen Bestand haben. Da die Sache entscheidungsreif ist, kann der Senat über den Antrag des Hauptzollamts selbst entscheiden und seinen Beitritt zulassen (§ 577 Abs. 5 ZPO). Aus dem in Bezug genommenen Antrag vom ergibt sich, dass das Hauptzollamt das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Vollstreckung bestätigt hat (§ 322 Abs. 3 Satz 2 AO).
122. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da sich die Beteiligten in einem Zwangsversteigerungsverfahren im Grundsatz - und auch hier - nicht kontradiktorisch gegenüber stehen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rn. 7).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:280923BVZB16.23.0
Fundstelle(n):
DB 2024 S. 386 Nr. 7
NJW-RR 2024 S. 269 Nr. 4
WM 2024 S. 31 Nr. 1
UAAAJ-55241