BGH Urteil v. - 5 StR 120/23

Instanzenzug: Az: 5 KLs 593 Js 54279/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Beihilfe zu bandenmäßigem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Dagegen wenden sich der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft, deren zuungunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt vertreten wird, jeweils mit einer auf die Sachrüge – im Fall des Angeklagten auch auf eine unausgeführte Verfahrensrüge – gestützten Revision. Beide Rechtsmittel haben weitgehend Erfolg.

I.

21. Nach den Feststellungen schloss sich der Angeklagte vor Mai 2021 mit den gesondert Verfolgten S.      , H.       , Br.     und – ab Oktober 2021 – auch mit dem gesondert Verfolgten W.    zusammen in der Absicht, gemeinsam Betäubungsmittel, namentlich Kokain, Marihuana, Amphetamin und Ecstasy-Tabletten, mittels eines Pkw-Lieferdienstes (sogenanntes „Kokstaxi“) gewinnbringend an Kunden in und um N.        zu veräußern.

3a) Zur Organisationsstruktur des Lieferdienstes hat das Landgericht Folgendes festgestellt:

4Als Gründer und Chef der Bande fungierte der gesondert Verfolgte S.      . Er erwarb die Betäubungsmittel, koordinierte ihre Verteilung auf die einzelnen Fahrer und übernahm die Abrechnung der Einnahmen. Er erstellte zudem wöchentlich Schichtpläne, mit denen die Fahrer den an jedem Tag bestehenden zwei Fahrerschichten zugeordnet wurden. Die gesondert Verfolgten H.       , Br.     und W.    waren insbesondere als Fahrer für die Bande tätig.

5Während der Schichten war es Aufgabe der Fahrer, sich mit einem Fahrzeug zu einem vom Kunden angegebenen Lieferort zu begeben und ihm dort die gewünschte Art und Anzahl an Betäubungsmitteleinheiten gegen Barzahlung zu verkaufen. Dazu waren die Fahrzeuge stets mit einem Grundsortiment zum Verkauf bereits vorportionierter Betäubungsmitteleinheiten ausgestattet. Es bestand jeweils aus mindestens 20 Verkaufseinheiten Kokain zu je 0,5 Gramm, 20 Einheiten Cannabis zu je fünf Gramm Marihuana, sieben Einheiten Amphetamin zu je acht Gramm sowie zwei Einheiten Ecstasy-Tabletten zu je acht Stück. Jede Verkaufseinheit kostete 50 Euro. Im tatrelevanten Zeitraum veräußerten die Fahrer während ihrer Schichten zu keinem Zeitpunkt sämtliche mitgeführten Betäubungsmittel. Es blieben durchgängig Restbestände zurück, welche die Fahrer bis zum Beginn der nächsten Schicht im Pkw oder an anderen Orten verwahrten. Zu Beginn einer Schicht füllten die Fahrer ihren Betäubungsmittelvorrat derart wieder auf, dass zumindest das Grundsortiment erreicht war.

6Als Bindeglied zwischen den Kunden und den Fahrern fungierte ein sogenannter Schreiber. Diese Aufgabe übten im Tatzeitraum stets entweder der Angeklagte oder der gesondert Verfolgte S.      aus; an einem Tag ging der gesondert Verfolgte H.        dieser Tätigkeit nach. Der Schreiber bediente ein eigens von der Bande vorrätig gehaltenes Mobiltelefon mit der in Kundenkreisen bekannten Mobilfunknummer für Betäubungsmittelbestellungen. In diesem Zentralhandy waren Kundenkontakte abgespeichert. Hatte ein Kunde über WhatsApp seine Bestellung aufgegeben, war es Aufgabe des Schreibers zu prüfen, ob der Kunde als Kontakt gespeichert war, ihm anschließend den Lieferzeitpunkt mitzuteilen sowie über das Mobiltelefon Kontakt zum schichthabenden Auslieferungsfahrer aufzunehmen und diesen den vom Kunden gewünschten Übergabeort mitzuteilen. Eine Schreiberschicht umfasste zwei Fahrerschichten. Jeder Fahrer verkaufte pro Schicht mindestens 25 Verkaufseinheiten Betäubungsmittel an Kunden. Der Schreiber erhielt für jede vermittelte Verkaufseinheit einen Betrag in Höhe von zwei Euro.

7b) Das Landgericht hat folgende konkrete Handlungen des Angeklagten im Rahmen des Lieferdienstes festgestellt:

8aa) Anfang Juli 2021 erwarb der Angeklagte 500 Stück Salbenkruken für einen Gesamtbetrag von 100 Euro. Diese dienten als Verpackungsmaterial für zwei Kilogramm Amphetamin, welche der gesondert Verfolgte S.      Ende Juni erworben hatte und die in der Folgezeit durch die Bande abverkauft wurden.

9bb) Vom 9. bis zum übernahm der Angeklagte an zwölf Tagen die Schreibertätigkeit für die Bande (Tat 16 der Anklageschrift), während die gesondert Verfolgten H.       , Br.     und W.    als Fahrer fungierten.

10cc) Am 29. November und am ging der Angeklagte erneut der Schreibertätigkeit für die Bande nach (Taten 17 bis 19 der Anklageschrift). An diesen Tagen waren die gesondert Verfolgten W.    und Br.      als Fahrer tätig.

112. Mit der zugelassenen Anklage war dem Angeklagten zudem zur Last gelegt worden, bereits im Zeitraum von Anfang Mai bis Ende September 2021 jeweils an mindestens 15 Tagen monatlich für die Bande als Schreiber fungiert und hierfür vom gesondert Verfolgten S.      insgesamt mindestens 1.280 Euro erhalten zu haben (Taten 1 bis 15 der Anklageschrift). Im Tatzeitraum habe der Angeklagte zudem mehrfach – zuletzt im Juli 2021 – Verpackungsmaterial für die Bande bestellt und gelegentlich Auslieferungsfahrzeuge angemietet.

12Im Eröffnungsbeschluss wurde für die Taten 1 bis 9 der Anklageschrift der Tatzeitraum auf Ende Mai bis Ende September 2021 konkretisiert. Zudem wurde dort sowie bei den Taten 12 bis 15 der Anklageschrift eine Zeit der Unterbrechung der Tätigkeit der Bande zwischen 28. Juli und aus dem für relevant erachteten Tatzeitraum ausgenommen.

133. Das Landgericht hat den Angeklagten wie folgt schuldig gesprochen:

14a) Den Erwerb des Verpackungsmaterials Anfang Juli 2021 hat es als Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 1 BtMG, § 27 Abs. 1 StGB angesehen.

15b) Die Ausübung der Schreibertätigkeit hat die Strafkammer als bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bewertet, begangen als Mittäter neben den gesondert verfolgten Fahrern H.       , Br.     und W.    (§ 30a Abs. 1 BtMG, § 25 Abs. 2 StGB).

16Dabei hat das Landgericht hinsichtlich der Schreibertätigkeit vier Taten angenommen. Es ist davon ausgegangen, dass die Betäubungsmittelumsätze der gesondert Verfolgten H.       , Br.     und W.    im Zeitraum 9. bis (Tat 16 der Anklageschrift) wegen der Entnahme aus einem Betäubungsmittelvorrat eine Bewertungseinheit und damit eine Tat bilden. Die späteren Abverkäufe am 29. November und am durch die gesondert Verfolgten W.    (Tat 17 der Anklage) und Br.     (Taten 18 und 19 der Anklage) hätten für sich ebenfalls jeweils eine Bewertungseinheit gebildet. Diese letztgenannten drei Taten stünden aufgrund teilidentischer Ausführungshandlungen in Form des Vorrätighaltens der Kundendaten über das Schreiberhandy, insbesondere der Telefonnummern, zueinander in Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB. Zwischen Tat 16 und den Taten 17 bis 19 der Anklageschrift hat das Landgericht Tatmehrheit angenommen.

17c) Von den mit der Anklage vorgeworfenen weiteren 15 Taten des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, da die Beweisaufnahme „keine ausreichenden Feststellungen ergeben“ habe.

18Zwar habe sich der Angeklagte dahin eingelassen, dass er von Mai bis zur Unterbrechung der Bandentätigkeit Ende Juli 2021 ein bis drei Tage in der Woche, insgesamt an 19 Tagen, der Schreibertätigkeit für die Bande nachgegangen sei. Der Einlassung folgend sei aber denkbar, dass er in den vier Wochen im Mai vor Beginn des – nach Maßgabe des Eröffnungsbeschlusses – angeklagten Zeitraumes bereits insgesamt an zwölf Tagen die Funktion des Schreibers ausgeübt habe. Hinsichtlich der verbleibenden sieben Tage, in denen der Angeklagte der Schreibertätigkeit im angeklagten Zeitraum nachgegangen sei, könne man nicht ausschließen, dass diese nicht Gegenstand der angeklagten Taten seien. Für eine Verurteilung habe es der Feststellung seiner Mitwirkung an bestimmten, von der Anklage umfassten Umsätzen der jeweiligen Fahrer bedurft. Erkenntnisse, die eine Zuordnung in diesem Sinne hinreichend konkret zuließen, habe man unter Berücksichtigung des Umstandes, dass zeitweilig auch noch andere Personen sowie der gesondert Verfolgte S.      als Fahrer beteiligt gewesen seien, nicht treffen können.

II.

19Die Revision der Staatsanwaltschaft hat überwiegend Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

201. Aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft unterliegt das Urteil in seiner Gesamtheit der Überprüfung durch das Revisionsgericht.

21a) Zwar ist das Rechtsmittel nach dem Revisionsvorbringen entgegen dem darin gestellten unbeschränkten Aufhebungsantrag auf die Anfechtung des Freispruchs des Angeklagten in den Fällen 1 bis 15 der Anklageschrift beschränkt. Denn hinsichtlich des Angriffsziels ist der Sinn der Revisionsbegründung maßgeblich, ausweislich derer die Staatsanwaltschaft ausschließlich beanstandet, dass der Angeklagte nicht auch in diesen Fällen verurteilt worden ist. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV versteht der Senat das Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft die Verurteilung für das Beihilfedelikt sowie in den Fällen 16 bis 19 der Anklageschrift nicht angreifen will (vgl. hierzu nur ; vom – 5 StR 313/21, NStZ-RR 2022, 201).

22b) Die Beschränkung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft erweist sich jedoch als unwirksam. Der Freispruch in den Fällen 1 bis 15 der Anklageschrift kann nicht losgelöst von der Verurteilung in den Fällen 16 bis 19 beurteilt werden, da das Urteil Anhaltspunkte dafür enthält, dass aus den unten näher auszuführenden Gründen eine Zusammenfassung der Handlungen des Angeklagten zu einer Tateinheit in Betracht kommt (vgl. ; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 8 mwN). Hierfür genügt im hier gegebenen Fall unvollständiger Feststellungen bereits die Möglichkeit, dass eine neue Verhandlung das Vorliegen von Tateinheit ergibt (vgl. für den Fall eines möglichen Fortsetzungszusammenhangs RReg 4 St 198/90, NJW 1991, 2582; ferner LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 21). Denn nur auf diese Weise kann verhindert werden, dass die Verurteilung in Rechtskraft erwächst, was – wenn sich die Annahme einer Bewertungseinheit bestätigt – jedenfalls insoweit einer Verfolgung der vom Freispruch berührten Betäubungsmittelgeschäfte wegen des Verbots aus Art. 103 Abs. 3 GG entgegenstehen könnte ().

232. Soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, weist das Urteil in mehrfacher Hinsicht Rechtsfehler auf.

24a) Es genügt schon nicht den insoweit bestehenden Darstellungsanforderungen. Wird der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, so müssen nach Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen festgestellt werden, die der Tatrichter für erwiesen hält. Erst auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Nur hierdurch wird das Revisionsgericht in die Lage versetzt, nachprüfen zu können, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (; vom – 1 StR 405/12, NJW 2013, 1106). Für die Taten 1 bis 15 der Anklageschrift hat die Strafkammer aber keine Feststellungen zu den Handlungen des Angeklagten getroffen.

25So hat die Strafkammer schon nicht festgestellt, an wie vielen Tagen der Angeklagte im Zeitraum Mai bis Ende September 2021 der Schreibertätigkeit nachging. Der bloße Verweis auf seine insoweit nicht weiter gewürdigte Einlassung genügt hierzu nicht, zumal der Angeklagte sich ausweislich der Urteilsgründe nicht auf die erwähnten 19 Tage festgelegt hat, sondern auch eine Schreibertätigkeit an 22 Tagen für möglich gehalten hat. Auch erwähnen die Urteilsgründe lediglich beiläufig, dass neben den gesondert Verfolgten S.      , H.       , Br.     und W.    noch weitere Fahrer für die Bande tätig waren. Feststellungen zu dieser – für das Ausmaß der potentiell durch den Angeklagten koordinierten Auslieferungstätigkeit der Bande wesentlichen – Frage enthält das Urteil darüber hinaus aber nicht, insbesondere nicht dazu, inwieweit hiervon der Zeitraum der Taten 1 bis 15 betroffen ist.

26Zudem fehlen im Urteil die erforderlichen Angaben, um das Konkurrenzverhältnis der Taten untereinander sowie in Bezug zu denjenigen Taten beurteilen zu können, für die der Angeklagte verurteilt wurde. So ist zwar festgestellt, dass bei den Fahrern am Schichtende stets Restbestände an Betäubungsmitteln zurückblieben, welche im Pkw oder an anderen Orten verwahrt wurden, bis die Fahrer ihren Vorrat zum Beginn der nächsten Schicht bis zum Erreichen des Grundsortiments wieder auffüllten. Es bleibt jedoch schon offen, inwieweit dem Angeklagten diese Handhabung bekannt war. Ebenso ist unklar, ob sie auch über die Pause der Bandentätigkeit zwischen Juli und September 2021 hinweg praktiziert wurde. Nicht geklärt hat das Landgericht zudem, wann über den Tatzeitraum hinweg die zwei Kilogramm Amphetamin verkauft wurden, für die der Angeklagte Verpackungsmaterial beschafft hatte.

27b) Angesichts der im Urteil im Übrigen enthaltenen Angaben zum Verbleib von Betäubungsmittelmengen bei den Fahrern sowie zur Verpackung des Amphetamins kann der Freispruch auch deshalb keinen Bestand haben, weil nicht ausschließbar ist, dass die betroffenen Taten mit den abgeurteilten Taten in Tateinheit stehen. Für letztere steht daher im Raum, dass das Landgericht insoweit seiner Kognitionspflicht (§ 264 StPO) nicht voll gerecht geworden ist. Sie gebietet, den durch die zugelassene Anklage abgegrenzten Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs zu erschöpfen. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa ; vom – 5 StR 236/21, NStZ 2022, 409, 410 mwN).

28Ein tateinheitliches Verhältnis aller angeklagten Taten des Angeklagten ist vorliegend deshalb denkbar, weil er nach den Feststellungen mittäterschaftlich als Vermittler an den täglichen Absatzhandlungen der Fahrer mitwirkte, die sich wiederum aufgrund der Wiederauffüllung des nie aufgebrauchten Grundsortiments stets mit den Auslieferungen der vorangegangenen und der folgenden Schicht überschnitten. Im Einzelnen:

29aa) Der Angeklagte hat gegen Provisionszahlungen des gesondert Verfolgten S.      in dessen Auftrag die Umsatzgeschäfte der Fahrer vermittelt und auf diese Weise mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, nämlich eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeiten entfaltet. Mit Blick auf seine zentrale Funktion für das „Kokstaxi“-Liefersystem sowie auf sein durch die Provisionszahlungen vermitteltes Eigeninteresse am Absatzerfolg hat das Landgericht den Angeklagten rechtsfehlerfrei als Mittäter jedenfalls der Fahrer angesehen (vgl. zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ; speziell bei Vermittlungsgeschäften , NStZ-RR 2022, 248).

30bb) Sind an mehreren Taten ‒ insbesondere an einer Deliktserie ‒ mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, so ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für jeden Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden (siehe nur , NStZ-RR 2020, 375; Urteil vom – 2 StR 176/17).

31Die Handelsmenge des Angeklagten bestand jeweils in dem durch jeden Fahrer mitgeführten Grundsortiment. Die darin enthaltenen Einheiten wurden zwar an getrennte Abnehmer ausgeliefert, jedoch hielten die Fahrer während ihrer Schicht ständig das gesamte Grundsortiment zum Verkauf bereit. Alle Tätigkeiten des Angeklagten im Rahmen seiner Schicht als Schreiber bezogen sich ebenfalls auf den Absatz der zu Schichtbeginn von einem Fahrer als Grundsortiment mitgeführten 49 Verkaufseinheiten. Sie überschnitten sich folglich und stehen daher in gleichartiger Tateinheit.

32Da die Fahrer in jeder Schicht auch noch Betäubungsmitteleinheiten aus der vorangegangenen Schicht mitführten und die nunmehr übrig bleibenden Einheiten wiederum erst in der nachfolgenden Schicht verkauft wurden, ergeben sich zusätzliche, zu Tateinheit führende Überschneidungen zwischen den auf-einander folgenden Schichten der Fahrer und damit auch zwischen den Schreiberschichten des Angeklagten. Denn die Mitnahme solcherart zusammengesetzter Sortimente begründete jeweils einen Besitz der Fahrer an den vom Vortag verbliebenen und den neu übernommenen Einheiten, der über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausging und die Wertung rechtfertigt, dass die tatsächliche Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die andere darstellte (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 408/22; vom – 2 StR 287/18, NStZ 2020, 227 mwN).

33Die so vermittelte Tateinheit zwischen mehreren Schichten des Angeklagten kann sich über die verurteilten Taten hinaus auch auf diejenigen Tätigkeiten als Schreiber erstrecken, für die er freigesprochen worden ist. Denn es kommt in Betracht, dass auch während der Pause der Bandentätigkeit ab Ende Juli 2021 Restmengen bei einzelnen Fahrern verblieben und zur Fortführung des Auslieferungsservice im September 2021 wieder aufgefüllt wurden. Zudem lassen die Feststellungen offen, über welchen Zeitraum hinweg die zwei Kilogramm Amphetamin verkauft wurden, für deren Verpackung der Angeklagte Anfang Juli 2021 Salbenkruken erworben hatte. Teile dieser Menge können nach diesem Zeitpunkt, zu dem sie naheliegend noch einen einheitlichen Vorrat bildeten, zum Grundsortiment verschiedener Fahrerschichten gehört haben. Soweit der Angeklagte dabei als Schreiber mitwirkte, galten seine Bemühungen der gleichen Betäubungsmittelmenge, an deren Absatz er bereits durch die Materialbeschaffung mitgewirkt hatte. In seiner Person können sie daher eine Bewertungseinheit bilden (vgl. etwa ).

34c) Darüber hinaus weist die Revision zu Recht darauf hin, dass sich das Landgericht offenbar an einer Verurteilung gehindert gesehen hat, weil es von einem zu geringen Umfang der angeklagten Taten ausgegangen ist.

35So liegt der Gliederung der Taten 1 bis 15 der Anklageschrift zwar eine Differenzierung anhand der jeweils eingesetzten Fahrer zugrunde, für die dabei eine Mindestzahl an Einsatztagen benannt wird. Für die mit der Vorbereitung und Koordination der Fahrten befassten Bandenmitglieder, darunter den als Schreiber und damit als Bindeglied zwischen Kunden und Fahrern tätigen Angeklagten, bedeutet dies aber nicht, dass von der Anklage lediglich bestimmte Auslieferungsfahrten durch konkrete Fahrer umfasst wären. Vielmehr legt diese dem Angeklagten für den Zeitraum Mai bis September 2021 neben der Bestellung von Verpackungsmaterial und der Anmietung von Fahrzeugen zur Last, monatlich jeweils an mindestens 15 Tagen als Schreiber fungiert zu haben. Dass sich dieser Tatvorwurf keineswegs auf die Koordination der Fahrten der in den Taten 1 bis 15 genannten gesondert Verfolgten H.        und Br.     beschränkt hat, folgt bereits daraus, dass die Anklage als weitere, zeitweise aktive Fahrer die gesondert Verfolgten M.      S.      , R.  K.    S.      und         C.         benennt.

36Das Ausmaß der angeklagten Taten ergibt sich zudem daraus, dass der Lieferservice im gesamten Tatzeitraum bis auf wenige Ausnahmen täglich erreichbar gewesen sein und die „Taxizentrale“ durch den Angeklagten (lediglich) zusammen mit dem gesondert Verfolgten S.      geleitet worden sein soll. Auch das Landgericht ist bei der Tätigkeit des Schreibers offenbar von einer an jedem Tag ausgeübten Funktion ausgegangen, die stets entweder durch den Angeklagten oder durch den gesondert Verfolgten S.      ausgeübt worden sei; lediglich an einem Tag habe sie der gesondert Verfolgte H.        übernommen.

37Die Umgrenzungsfunktion der Anklage ist dabei durch die Festlegung auf den modus operandi, die in zentraler Funktion beteiligten Personen, den Tatzeitraum und die sich aus den weiteren Daten ergebende Mindestanzahl an Taten gewahrt (vgl. zu den Anforderungen bei Tatserien , NJW 2015, 181; Beschluss vom – StB 39/21, NStZ-RR 2022, 75). Sollen innerhalb der so konkretisierten Tatserie weitere Einsätze als „Schreiber“ abgeurteilt werden, so müssen auch hierzu nicht die konkreten Tage der Tätigkeit und die Namen der betreuten Fahrer bezeichnet werden, um die Unterscheidbarkeit von anderen, gleichartigen Taten zu gewährleisten und den Umfang der Rechtskraft festzulegen (vgl. zu den Anforderungen BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 536/90, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 1; vom – 3 StR 188/93, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 4).

383. Der Freispruch unterliegt daher der Aufhebung. Aus den oben genannten Gründen ist zugleich die Verurteilung für das Beihilfedelikt sowie die Taten 16 bis 19 der Anklageschrift aufzuheben (vgl. ).

III.

39Auch die Revision des Angeklagten hat überwiegend Erfolg; sie führt in demselben Umfang wie das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zur Aufhebung des Urteils.

401. Soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, weist das Urteil zu seinem Nachteil insoweit einen Rechtsfehler auf, als die Annahme von Tatmehrheit zwischen den Schreibertätigkeiten vom 9. bis (Tat 16 der Anklageschrift) einerseits sowie am 29. November und am (Taten 17 bis 19 der Anklageschrift) andererseits durch die Feststellungen nicht belegt ist. Ein tateinheitliches Verhältnis zwischen diesen Taten wird zwar entgegen der Überlegung, welche das Landgericht nur für die Taten 17 bis 19 angestellt hat, nicht über die durchgehende Nutzung des Mobiltelefons mit Kundenkontakten begründet. Denn die bloße Verwendung desselben Tatwerkzeugs kann mehrere Handlungen konkurrenzrechtlich nicht zu einer Einheit verbinden. Jedoch folgt aus dem oben Gesagten auch für diese Taten eine Tateinheit aufgrund Überschneidung der Ausführungshandlungen.

412. Weil die rechtsfehlerhaft abgeurteilten Taten danach mit denjenigen angeklagten Taten in Tateinheit stehen könnten, von denen der Angeklagte freigesprochen worden ist, ist das Urteil auch auf seine Revision insoweit aufzuheben. Einer Verschärfung im Schuldspruch nach dem Ergebnis einer neuen Hauptverhandlung steht das Verschlechterungsverbot nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 129/67, BGHSt 21, 256; vom – 2 StR 63/84, NStZ 1984, 566; LR/Franke, aaO, § 344 Rn. 21 mwN).

IV.

42Da lediglich Wertungsfehler inmitten stehen, können entgegen den Anträgen beider Revisionen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Taten, in denen der Angeklagte verurteilt worden ist, bestehen bleiben. Sie können um nicht widersprechende weitere ergänzt werden. Zu den Taten 1 bis 15 der Anklageschrift, für die der Angeklagte freigesprochen worden ist, sind Feststellungen erstmals zu treffen.

43Hinsichtlich der Bestellung von Verpackungsmaterial durch den Angeklagten wird das neue Tatgericht zu beachten haben, dass im Fall der Annahme einer Tateinheit, welche die Tätigkeit des Angeklagten als Schreiber im gesamten Tatzeitraum umfasst und eine Verurteilung wegen eines in Mittäterschaft begangenen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge trägt, kein Raum mehr bliebe für eine gesonderte Verurteilung wegen einer Beihilfetat. Eine solche ginge vielmehr im täterschaftlichen Handeln auf (vgl. , NStZ 1994, 29; Fischer, StGB, 70. Aufl., Vor § 25 Rn. 11).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270923U5STR120.23.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-55117