Heimtückischer Mord bei Stichverletzung nach kurzer verbaler Auseinandersetzung
Gesetze: § 211 Abs 2 StGB
Instanzenzug: Az: 1 Ks 112 Js 57497/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt sowie die Einziehung des Tatmessers angeordnet. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er – ohne weitere Ausführungen – die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
2Nach den Feststellungen des Landgerichts begegnete am der Angeklagte, der ein Jagdmesser mit einer Klingenlänge von 7,5 Zentimetern mit sich führte, auf einem Bahnsteig des Bahnhofs W. dem unbewaffneten Geschädigten H. . Im Gegensatz zu dem Geschädigten erkannte der Angeklagte diesen sofort als Kontrahenten einer etwa zwei Jahre zurückliegenden Auseinandersetzung wieder, in deren Verlauf der Geschädigte durch mindestens einen Faustschlag in das Gesicht des stark kurzsichtigen Angeklagten diesen verletzt und seine Brille zerstört hatte. Nachdem der Angeklagte den Geschädigten passiert und den Bahnsteig über eine Treppe mit anschließender Unterführung verlassen hatte, entschloss er sich aus einem nicht feststellbaren Grund zur Rückkehr auf den Bahnsteig. Er wusste, dass er hierbei abermals auf den Geschädigten treffen konnte. Auf eine etwaige erneute Konfrontation war der sich seines Messers bewusste Angeklagte gedanklich vorbereitet.
3Im Bereich der unteren Hälfte der zu den Bahnsteigen führenden Treppe stieß der Angeklagte auf den arglosen Geschädigten, der seinerseits den Bahnsteig um 18:30:37 Uhr in Richtung Unterführung verlassen hatte. Nach einer in normaler Lautstärke geführten kurzen Kommunikation, in deren Verlauf sich beide wechselseitig als „Arschloch“ bezeichnet hatten, beschloss der Angeklagte, das mitgeführte Jagdmesser gegen den Geschädigten einzusetzen. Ohne dass der Geschädigte noch schwerwiegendere Beleidigungen ausgesprochen oder den Angeklagten körperlich angegriffen hatte, zog der frontal zu dem Geschädigten stehende Angeklagte unvermittelt mit seiner rechten Hand das in seiner Hosentasche mitgeführte Jagdmesser aus der Scheide und stach diesem in Ausführung seines Tatentschlusses wuchtig in Richtung Herz. Der Geschädigte versah sich zum Zeitpunkt des Stichs keines Angriffs auf sein Leben und war infolgedessen zur Verteidigung außerstande, was der Angeklagte erkannte und bewusst ausnutzte. Den Tod des Geschädigten nahm er billigend in Kauf.
4Durch den Stich drang die Klinge u.a. durch den Herzbeutel und die Herzvorderwand in die linke Herzkammer des Geschädigten. Die unmittelbar einsetzende massive innere Blutung führte nicht zu dessen sofortigem Tod. Vielmehr folgte der – den Vorgang zuerst kognitiv nicht erfassende – Geschädigte ruhigen Schrittes dem sich in normaler Geschwindigkeit in Richtung Bahnsteig entfernenden Angeklagten. Im oberen Bereich der Treppe fragte der Geschädigte den Angeklagten zunächst verwundert, ob dieser ihn gestochen habe; nachdem er die Stichverletzung erkannt hatte, stellte er – wiederum in ruhigem Ton – fest: „Du hast mich gestochen“. Der Angeklagte betrat den Bahnsteig um 18:31:29 Uhr und begab sich, gefolgt von dem Geschädigten, in eine S-Bahn. Dort angekommen, brach der Geschädigte zusammen und verstarb trotz sofort eingeleiteter Erste-Hilfe-Maßnahmen.
II.
5Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des angefochtenen Urteils hat entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler aufgedeckt. Der Schuldspruch wegen Mordes hält einer revisionsrechtlichen Prüfung stand.
61. Dies gilt insbesondere für die tatgerichtlichen Beweiserwägungen zu den Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke.
7a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Täter sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Heimtückisches Handeln erfordert jedoch kein „heimliches“ Vorgehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (vgl. Rn. 28 und vom – 5 StR 299/19 Rn. 9; Beschlüsse vom – 1 StR 397/21 Rn. 12 f. und vom – 1 StR 32/20 Rn. 5 mwN).
8b) Die zum Mordmerkmal der Heimtücke getroffenen Feststellungen hat das Landgericht rechtsfehlerfrei beweiswürdigend belegt.
9aa) Das Landgericht hat in einer Gesamtschau der durch die Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse den möglichen Schluss gezogen, dass sich der Geschädigte zum Zeitpunkt des Messerstichs durch den Angeklagten keines erheblichen Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit oder gar sein Leben versah. Dabei hat es gewürdigt, dass der Geschädigte bei Betreten der Treppe „völlig arglos [war], da er den Angeklagten bis dahin nicht wahrgenommen hatte“ (UA S. 35, 47), und er aufgrund des anschließenden kurzen Austauschs von Beleidigungen – aufgrund des Missverhältnisses zwischen diesen und dem Messerangriff – gleichfalls nicht mit einem solchen rechnete. Insoweit hat das Landgericht rechtsfehlerfrei aus der Reaktion des Geschädigten nach der Tat abgeleitet, dass der Angeklagte den Messereinsatz vor dem Stich nicht angedroht und der Geschädigte das Messer auch nicht anderweitig wahrgenommen hatte. Gestützt wird dies durch das Ergebnis des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens, wonach der Geschädigte weder Kampf- noch Abwehrverletzungen aufwies.
10bb) Das Landgericht hat angesichts der festgestellten Tatumstände zudem ohne Rechtsfehler beweiswürdigend belegt, dass der Angeklagte die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten bewusst zur Tatbegehung ausnutzte. Das Ausnutzungsbewusstsein bedarf in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter auch bei Taten aus rascher Eingebung keiner näheren Darlegung (vgl. Rn. 14 mwN; vom – 4 StR 433/14 Rn. 14 und vom – 5 StR 189/08 Rn. 6). Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (vgl. Rn. 14 und vom – 4 StR 147/14 Rn. 7; Beschlüsse vom – 1 StR 81/22 Rn. 7 und vom – 1 StR 370/18 Rn. 7).
11Eine nähere Darlegung war danach nicht geboten. Das sachverständig beratene Landgericht hat einen die Erkenntnisfähigkeit in Frage stellenden tiefgreifenden Erregungszustand des Angeklagten insbesondere mit Blick auf das zielgerichtete Nachtatverhalten verneint. Der Angeklagte wusste, dass der Geschädigte ihn bei dem Zusammentreffen auf dem Bahnsteig nicht als früheren Kontrahenten erkannt hatte. Dies lässt den Schluss zu, dass der einsichtsfähige Angeklagte die wehrlose Lage des keinen Arg hegenden Geschädigten zutreffend erfasste und ausnutzte.
122. Auch im Übrigen weist die Beweiswürdigung – eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 480/20 Rn. 2 und vom – 1 StR 631/19 Rn. 5 jeweils mwN) – keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
13a) Sie ist insbesondere nicht lückenhaft. Das Landgericht hat die wesentlichen für die Entscheidungsfindung bedeutsamen Gesichtspunkte erörtert und diese auch im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau (vgl. nur Rn. 10) abgewogen.
14Das Landgericht war hierbei nicht gehalten, Tatsachen zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, für die es keine Anhaltspunkte gab (vgl. nur Rn. 7). Daher bedurfte es nicht der Erörterung, ob ein – hier rechtsfehlerfrei ausgeschlossener – körperlicher Angriff des Geschädigten auf den Angeklagten zumindest unmittelbar bevorgestanden oder dieser sich einen solchen vorgestellt habe und deswegen einem Erlaubnistatbestandsirrtum unterlegen gewesen sei. Ebenso wenig musste sich das Landgericht mit der (bloßen) Möglichkeit befassen, der Angeklagte könnte den Geschädigten vor dem Messerangriff auf die zwei Jahre zurückliegende Körperverletzung angesprochen und hierdurch einen verbalen oder körperlichen Streit ausgelöst haben. Denn weder die Einlassungen des Angeklagten noch die weiteren in der Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse boten hierzu Anlass. Unbeteiligte Zeugen haben einen Streit oder eine lautstarke Kommunikation zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten gerade nicht vernommen. Das von dem Landgericht festgestellte Zeitfenster von lediglich 12 bis maximal 32 Sekunden für die Kommunikation und die eigentliche Tathandlung des Angeklagten hat entsprechende Erörterungen gleichfalls nicht nahegelegt.
15b) Anderweitige den Bestand des Urteils gefährdende Rechtsfehler weist die Beweiswürdigung nicht auf. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts hat das Landgericht die Einlassung des Angeklagten nicht bloß isoliert und getrennt von einem hierneben ermittelten „objektiven Beweisergebnis“, sondern mit den weiteren angefallenen Erkenntnissen im Rahmen einer umfassenden Gesamtschau gewürdigt (UA S. 35 bis 45).
16c) Der Senat besorgt auch nicht, dass das Landgericht auf der Grundlage eines nicht existenten Erfahrungssatzes aus den in der Vergangenheit bei Streitgesprächen gezeigten Charakterzügen des Geschädigten auf sein Verhalten in der Tatsituation geschlossen habe. Vielmehr hat es die durch zahlreiche Zeugenaussagen bestätigten Charaktereigenschaften des Geschädigten auch insoweit in eine Gesamtschau eingestellt und hierbei nicht zuletzt aus dem – durch Videoaufnahmen vom Bahnsteig dokumentierten sowie durch Zeugenaussagen bestätigten – ruhigen Verhalten des Geschädigten unmittelbar nach der Tat einen möglichen Schluss gezogen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:151123U1STR104.23.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-54925