Anforderung an Beweiswürdigung in "Aussage gegen Aussage"-Konstellation bei Vergewaltigungsvorwurf
Gesetze: § 261 StPO
Instanzenzug: LG Meiningen Az: 1 KLs 436 Js 24334/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Vergewaltigung und Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs wegen Körperverletzung in zwei Fällen (Fälle II. 1 und II. 3 der Urteilsgründe) hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
32. Hingegen hält der Schuldspruch wegen Vergewaltigung im Fall II. 2 der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Auf die insoweit erhobene Verfahrensrüge kommt es danach nicht an.
4a) Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich der Angeklagte im April 2021 in das gemeinsam mit der Nebenklägerin genutzte Schlafzimmer und vollzog dort gegen deren Willen mit ihr den Geschlechtsverkehr, indem er mit seinen Händen unter ihren Po griff, diesen mit Gewalt hochdrückte und sodann vaginal mit seinem erigierten Penis in die Nebenklägerin eindrang. Obwohl diese erklärte, dass er ihr weh tue und er aufhören solle, setzte er den Geschlechtsverkehr fort, bis er diesen aufgrund eigener Erschöpfung beendete.
5Das Landgericht hat den Angeklagten, der den Tatvorwurf bestritten hat, aufgrund der Bekundung der Nebenklägerin als überführt angesehen.
6b) Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hält hinsichtlich der Vergewaltigung der Nebenklägerin – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. , StV 2017, 367, 368 mwN) – sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
7aa) In den Fällen, in denen – wie hier – „Aussage gegen Aussage“ steht, ist eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht vorzunehmen. Erforderlich sind vor allem eine sorgfältige Inhaltsanalyse, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (st. Rspr.; vgl. etwa , juris Rn. 7 mwN). Inwieweit der Tatrichter gehalten ist, die Angaben einer Belastungszeugin nicht nur zu würdigen, sondern auch deren wesentlichen Inhalt wiederzugeben, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Grundsätzlich ist er hierzu nicht verpflichtet. Der wesentliche Inhalt der Aussage ist jedoch darzustellen, wenn dies aus sachlich-rechtlichen Gründen erforderlich ist, um die tatrichterliche Beweiswürdigung auf Rechtsfehler zu überprüfen (vgl. , juris Rn. 11f.; Beschlüsse vom – 2 StR 94/14, juris Rn. 11; vom – 2 StR 152/20, juris Rn. 9; KK-StPO/Bartel, 9. Aufl., § 267 Rn. 29).
8bb) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Zwar hat das Landgericht nach seiner Darstellung die Aussage der Nebenklägerin einer besonders kritischen Würdigung unterzogen, da eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliege und die Nebenklägerin die Tat nicht sofort angezeigt habe. Es hat auch, wenngleich extrem knapp, eine Inhaltsanalyse der Aussage vorgenommen und sich – wie der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch hinreichend belegt − mit der Entstehungsgeschichte derselben sowie dem Aussagemotiv der Nebenklägerin befasst. Hingegen unterbleibt die gebotene Konstanzanalyse in Gänze.
9(1) Es fehlt bereits an einer zusammenfassenden Wiedergabe der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung. Zudem unterbleibt die Darstellung ihrer Anzeige bei der Polizei am und ihrer richterlichen Vernehmung vom beim Amtsgericht Meiningen. Entsprechende Veranlassung hätte hier jedenfalls deshalb bestanden, weil die Zeugin, augenscheinlich anders als im Ermittlungsverfahren, die Vorwürfe zu den Taten 2 bis 4 der Anklage, diese hatte dem Angeklagten drei weitere Vergewaltigungen zu ihrem Nachteil zur Last gelegt, nicht mehr bestätigt hat. Hierzu findet sich im freisprechenden Teil des Urteils, dass die Taten „nicht genau genug konkretisiert werden“ konnten und die Zeugin in der Hauptverhandlung eingeräumt habe, „dass sie diesen [gemeint den Geschlechtsverkehr] manchmal auch über sich habe ergehen lassen, ohne ihren entgegenstehenden Willen ausdrücklich kundzutun“.
10(2) Die Urteilsgründe lassen im Übrigen an keiner Stelle erkennen, dass sich das Landgericht mit der, anscheinend jedenfalls eingeschränkten, Konstanz der Aussagen der Nebenklägerin auseinandergesetzt oder diese in sonstiger Weise bewertet hätte.
11cc) Der Mangel der Beweiswürdigung zwingt zur Aufhebung der Verurteilung wegen Vergewaltigung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei einer rechtsfehlerfreien Würdigung der Aussage der Nebenklägerin zu einer für den Angeklagten günstigeren Entscheidung gelangt wäre.
123. Die Sache bedarf insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei weist der Senat darauf hin, dass es sich bei der Bildung einer Gesamtstrafe um einen eigenständigen Strafzumessungsvorgang handelt, der gemäß § 267 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 StPO gesondert zu begründen ist (vgl. st. Rspr.; vgl. etwa − 5 StR 134/23, juris Rn. 4 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:241023B2STR304.23.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-54487