Online-Nachricht - Donnerstag, 07.12.2023

Einkommensteuer | Erstattungszinsen als tarifbegünstigte Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten (BFH)

Erstattungszinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, sind als tarifbegünstigte Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten anzusehen, wenn die zugrunde liegende Steuererstattung als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG tarifbegünstigt ist (Abweichung vom mit Zustimmung des VIII. Senats) (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Es kam im Streitfall zu einer Zusammenballung von Einkünften. Das Finanzamt hatte 2004 aufgrund einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung geänderte Umsatzsteuerbescheide mit erheblichen Nachzahlungen erlassen. Der Kläger wehrte sich hiergegen und erreichte 2012 eine tatsächliche Verständigung, die zu einer Minderung der Umsatzsteuer von ca. 321.000 € sowie zu einer Minderung der Erstattungszinsen von ca. 203.000 € führte. Beide Ansprüche aktivierte der Kläger zum gewinnerhöhend. Das Finanzamt gewährte nur für die Umsatzsteuererstattung die Tarifermäßigung, nicht aber für die Erstattungszinsen (s. BBK 12/2022 S. 546).

Die Revision der Kläger war begründet:

  • Es handelt sich nicht nur bei den aufgrund des langjährigen Rechtsstreits zusammengeballt zu versteuernden Umsatzsteuererstattungen, sondern auch bei den darauf beruhenden Erstattungszinsen um ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte in Gestalt von Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten (§ 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG).

  • Vergütungen sind nach der von der neueren Rechtsprechung verwendeten Definition alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert, die der Steuerpflichtige im Rahmen der jeweiligen Einkunftsart erzielt. Unter diese Begriffsbestimmung fallen auch Erstattungszinsen zu Betriebssteuern, die wie im Streitfall zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören. Denn es handelt sich um Vorteile von wirtschaftlichem Wert, die im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt werden.

  • Nach der für die Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG geltenden Syste-matik findet die weite Auslegung des Begriffs der "Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten" dadurch ihr Korrektiv, dass zusätzlich die "Außerordentlichkeit" der Einkünfte erforderlich ist, wozu auch eine typischerweise eintretende Progressionswirkung gehört (). Vorliegend sind dem Kläger nicht nur die Umsatzsteuererstattungen aufgrund des langjährigen Rechtsstreits geballt zugeflossen und zum selben Zeitpunkt gewinnerhöhend zu erfassen gewesen; dies gilt vielmehr ebenso für die durch die Umsatzsteuererstattungen ausgelösten Erstattungszinsen. Diese haben die bereits durch die Umsatzsteuererstattungen ausgelöste Progressionswirkung zudem noch erheblich verstärkt.

  • Zur Progressionswirkung trägt im vorliegenden Fall gerade die erhebliche Höhe der Zinsen im Vergleich zur Hauptschuld bei: Die Erstattungszinsen (203.022 €) belaufen sich auf 63,1 % der erstatteten Umsatzsteuer (321.774 €) beziehungsweise auf 38,7 % des zusammengeballt zu versteuernden Gesamtbetrags (524.796 €).

  • § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG entfaltet im Streitfall keine Sperrwirkung. Nach dieser Regelung kommen als außerordentliche Einkünfte Nutzungsvergütungen und Zinsen i. S. des § 24 Nr. 3 EStG (d. h. nur solche für die Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke), soweit sie für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nachgezahlt werden, in Betracht. Der VIII. Senat hat hieraus für die Einkünfte aus Kapitalvermögen gefolgert, dass andere Zinsen als die in § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG genannten generell nicht von § 34 Abs. 2 EStG erfasst werden sollen (). Für Zinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, kann aus § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG jedoch keine derart umfassende Sperrwirkung abgeleitet werden. Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte jener Norm.

Anmerkung von Prof. Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:

Während es unstreitig ist, dass Steuererstattungen, die aufgrund eines langjährigen Rechtsstreits zusammengeballt an den Steuerpflichtigen gezahlt werden, Vergütungen i. S. des § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG und damit tarifbegünstigt zu besteuern sind, war dies bislang für die hiermit zusammenhängenden Erstattungszinsen nicht der Fall. Dies ändert sich aufgrund des vorliegenden Urteils des X. Senats des BFH.

Hintergrund dieser Änderung ist die von der neueren BFH-Rechtsprechung verwendete weite Begriffsbestimmung der „Vergütung für mehrjährigen Tätigkeiten“ (vgl. nur , BStBl II 2021, 141, Rz 13). Solche Vergütungen sind „alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert“. Dazu gehören auch Erstattungszinsen im Zusammenhang mit Betriebssteuern. Sie sind für eine Tätigkeit zu beziehen, wobei es nach der Zustimmung des VIII. Senats des BFH nicht mehr darauf ankommt, ob diese Zinsen aus einer freiwilligen oder unfreiwilligen Kapitalüberlassung herrühren. Bislang hatte der VIII. Senat des BFH Erstattungszinsen als Ausfluss einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung an den Staat angesehen (, BStBl II 2010, 25, unter II.2.d). Diese Sichtweise hat er aufgegeben.

Als Korrektiv stellt die BFH-Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG auf die „Außerordentlichkeit“ i. S. einer Atypik ab (vgl. , , BStBl II 2019, 583, Rz 24). Diese sieht der BFH bei den Erstattungszinsen als steuerlichen Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 Nr. 4 AO) als gegeben an, auch bei einem bilanzierenden Gewerbetreibenden. Denn dieser darf aufgrund des Vorsichtsprinzips weder die (angenommenen) Steuererstattungen noch die Erstattungszinsen bis zur Zahlung aktivieren.

Soweit § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG auf § 24 Nr. 3 EStG und damit lediglich auf Zinsen für die Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke verweist, wird die Außerordentlichkeit von Erstattungszinszahlungen nicht eingeschränkt. Dies ergibt sich bereits aus der Entstehungsgeschichte der Norm.

Quelle: ; NWB Datenbank (JT)

Fundstelle(n):
VAAAJ-54328