BGH Beschluss v. - I ZB 113/22

Gesetze: § 74 IRG, § 87 IRG, § 87f IRG, § 87n IRG, § 6 JBeitrO, § 7 S 1 JBeitrO, § 7 S 2 JBeitrO, § 130a Abs 3 S 1 ZPO, § 130d ZPO, § 753 ZPO, § 754 ZPO

Instanzenzug: Az: 51 T 330/22vorgehend AG Pankow-Weißensee Az: 34 M 1511/22nachgehend Az: I ZB 113/22 Beschluss

Gründe

1A. Das für die Gläubigerin, die Bundesrepublik Deutschland, handelnde Bundesamt für Justiz betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer gegen ihn in Polen verhängten Geldsanktion.

2Das Bundesamt für Justiz beantragte im Juli 2022 die Abnahme der Vermögensauskunft und bei unentschuldigtem Fernbleiben des Schuldners den Erlass eines Haftbefehls. Der Antrag ist qualifiziert elektronisch signiert, trägt den Nachnamen der Bearbeiterin, jedoch weder ein Dienstsiegel noch eine Unterschrift. Er wurde über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) des Bundesamts für Justiz an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Amtsgerichts zur Weiterleitung an den zuständigen Gerichtsvollzieher übermittelt.

3Die Gerichtsvollzieherin bat um Übersendung eines Vollstreckungsantrags auf dem Postweg.

4Das Amtsgericht hat die hiergegen gerichtete Erinnerung der Gläubigerin zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Vollstreckungsantrag weiter.

5B. Das Beschwerdegericht hat angenommen, auch mit Blick auf die verpflichtende elektronische Einreichung des Vollstreckungsantrags durch die Gläubigerin sei eine Einreichung des den Titel ersetzenden Vollstreckungsantrags in Papierform weiterhin erforderlich.

6Gemäß § 7 Satz 2 JBeitrG ersetze der Vollstreckungsantrag die nach § 754 ZPO grundsätzlich erforderliche Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Schuldtitels an das Vollstreckungsorgan. An den Vollstreckungsantrag seien hohe Anforderungen zu stellen; es dürften keinerlei Zweifel an seiner Echtheit bestehen. Der unterschriebene Vollstreckungsantrag sei daher schriftlich einzureichen und mit einem Dienstsiegel zu versehen. Hierdurch werde gewährleistet, dass aus dem Schriftstück die Person erkennbar werde, die für seinen Inhalt die Verantwortung übernehme. Eine Prüfung durch den Gerichtsvollzieher sei nur dann möglich, wenn er das Original des Vollstreckungsantrags in den Händen halte. Durch § 753 Abs. 4 und 5 und die §§ 130 ff. ZPO habe keine Vereinfachung des Zwangsvollstreckungsverfahrens erreicht werden sollen, so dass diese Anforderungen auch bei einer elektronischen Einreichung des Vollstreckungsantrags Geltung beanspruchten.

7Weder die qualifizierte elektronische Signatur noch die einfache Signatur in Kombination mit einem sicheren Übermittlungsweg könnten die durch den Bundesgerichtshof aufgestellten Anforderungen an den Vollstreckungsantrag erfüllen. Die qualifizierte elektronische Signatur ersetze zwar die Unterschrift und gebe daher die Person wieder, die die Verantwortung für den Vollstreckungsantrag übernehme; allerdings fehle es an einem Pendant zum Dienstsiegel. Die Versendung aus einem besonderen elektronischen Behördenpostfach möge zwar ein Dienstsiegel ersetzen; allerdings fehle es an einer Unterschrift.

8C. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

9I. Das Bundesamt für Justiz ist nach § 74 Abs. 1 Satz 4, §§ 87, 87f Abs. 1, § 87n IRG zuständig für die Vollstreckung von Geldsanktionen im Wege der Vollstreckungshilfe für einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach dem Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen. Die Vorschriften des Justizbeitreibungsgesetzes sind in diesem Verfahren nach § 87n Abs. 2 Satz 4 IRG anwendbar, soweit im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen nichts anderes bestimmt ist (vgl. hierzu auch BeckOK.Kostenrecht/Berendt, 42. Edition [Stand ], § 1 JBeitrG Rn. 21). Bestimmungen über die Abnahme der Vermögensauskunft und den Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft enthält das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen nicht. Insbesondere ist die in § 87n Abs. 2 Satz 1 IRG, § 96 OWiG eröffnete Möglichkeit der Vollstreckungsbehörde, Erzwingungshaft zur Zahlung der Geldsanktion zu beantragen, keine andere Bestimmung im Sinne des § 87n Abs. 2 Satz 4 IRG, weil sie nicht die Erzwingung der Vermögensauskunft, sondern die (eingriffsintensivere) Erzwingung der Zahlung selbst betrifft (vgl. Krenberger/Krumm, OWiG, 7. Aufl., § 96 Rn. 5 mwN).

10Die Abnahme der Vermögensauskunft beantragt die Vollstreckungsbehörde gemäß § 7 Satz 1 JBeitrG bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher; dieser Antrag ersetzt gemäß § 7 Satz 2 JBeitrG den vollstreckbaren Schuldtitel. Gleiches gilt für den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft (vgl. , DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 15]). Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 JBeitrG, § 753 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO können schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien als elektronisches Dokument beim Gerichtsvollzieher eingereicht werden. Für das elektronische Dokument gelten § 130a ZPO, auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnungen sowie § 298 ZPO entsprechend. § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Gemäß § 753 Abs. 5 ZPO in Verbindung mit § 130d Satz 1 ZPO sind Behörden verpflichtet, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.

11II. Das Bundesamt für Justiz ist im Streitfall befugt, die Anträge auf Abnahme der Vermögensauskunft (§ 802c Abs. 1 Satz 1 ZPO) und auf Erlass eines Haftbefehls (§ 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO) wegen der Vollstreckung einer gegen den Schuldner in Polen verhängten Geldsanktion zu stellen. Partei des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist dessen ungeachtet die Bundesrepublik Deutschland, die Vollstreckungshilfe für die Republik Polen leistet und in dieser Funktion Gläubigerin der beizutreibenden Forderung ist. Soweit § 6 Abs. 2 Satz 1 JBeitrG bestimmt, dass an die Stelle des Gläubigers die Vollstreckungsbehörde tritt, betrifft dies die Vertretungsbefugnis und nicht die Gläubigerstellung (vgl. , WM 2023, 1271 [juris Rn. 14] mwN).

12III. Der Vollstreckungsantrag des Gläubigers genügt entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts den Formanforderungen im elektronischen Rechtsverkehr.

131. Wie der Senat nach dem Beschluss des Beschwerdegerichts entschieden hat, entspricht der Vollstreckungsantrag nach § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden ist oder von der ihn verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO). Weitere Formerfordernisse bestehen nicht. Insbesondere können die nach der Senatsrechtsprechung geltenden Anforderungen an einen in Papierform eingereichten Vollstreckungsantrag (vgl. BGH, DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 16]) auf einen elektronisch eingereichten Vollstreckungsantrag nicht übertragen werden. Der Vollstreckungsantrag muss daher weder zusätzlich in Papierform eingereicht noch mit einem Dienstsiegel versehen werden (vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 15, 22, 27 und 32]).

142. Im Streitfall sind diese Formanforderungen eingehalten. Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass der Vollstreckungsantrag qualifiziert elektronisch signiert ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO).

15D. Danach ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO).

16E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Schuldner hat im Rechtsbeschwerdeverfahren Kenntnis von der Sache erlangt (zu diesem Erfordernis vgl. , juris Rn. 23 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270723BIZB113.22.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-54276