BGH Urteil v. - VII ZR 306/21

Instanzenzug: Az: 25 U 9/20vorgehend LG Aachen Az: 11 O 263/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im August 2016 als Neuwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs Mercedes Benz GLC 250 d 4MATIC in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 (Euro 6) ausgestattet und unterfiel einem Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA).

2Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Mit der Klage hat er die Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung gekürzten Kaufpreises nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs und Zahlung einer weiteren im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung, die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde, sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.

3Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Gründe

4Die Revision hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

6Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch seien nicht dargetan. Für einen der Beweisaufnahme zugänglichen Sachvortrag genüge es auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des ) nicht, sich auf die Verwendung eines Thermofensters und die Abweichung der Emissionen im Normalbetrieb gegenüber den Messungen im Verfahren nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) auf dem Rollenprüfstand sowie den Einbau des Motortyps OM 651 zu berufen. Daran ändere der das Klägerfahrzeug betreffende Rückruf durch das KBA, mit dem nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils nicht die Typ-Genehmigung aufgehoben, sondern nur eine Nebenbestimmung dazu erlassen worden sei, nichts. Nach dem Willen des Gesetzgebers seien die Messungen im Zeitpunkt der Erteilung der Typ-Genehmigung unter den laborartigen Bedingungen des NEFZ und nicht im Normalbetrieb ermittelt worden. Aus einem höheren NOx-Ausstoß bei Abgasmessungen im Straßenbetrieb könne daher nicht zwingend auf die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die die Voraussetzungen für die Annahme einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung im Sinne des § 826 BGB erfülle, geschlossen werden. Selbst wenn unterstellt werde, das Fahrzeug verfüge über ein Thermofenster und dieses stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, könne eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nicht festgestellt werden, weil nicht belastbar auf eine von einem entsprechenden Vorsatz getragene, arglistige und sittenwidrige Schädigungshandlung der Fahrzeug- und Motorherstellerin geschlossen werden könne. Bei einer die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware wie dem hier in Rede stehenden Thermofenster, bei der Gesichtspunkte des Motor- oder Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden könnten, könne bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden beziehungsweise Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Solche Anhaltspunkte seien weder konkret vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Thermofenster seien weit verbreitet und würden von den Zulassungsbehörden als zulässig und sinnvoll angesehen. Die Gesetzeslage sei hinsichtlich der Zulässigkeit von Thermofenstern jedenfalls bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom - C-693/18 - nicht eindeutig gewesen. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Fahrzeugs könne indes nicht als besonders verwerflich angesehen werden. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV, da diese Vorschriften nicht dem Schutz des Vermögens des Erwerbers eines Kraftfahrzeugs dienten.

II.

7Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

81. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat. Auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss vom , denen der Revisionsführer insoweit nicht entgegengetreten ist, wird Bezug genommen.

92. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 1031/22 Rn. 24 ff., DAR 2023, 503; Urteil vom - VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., ZIP 2023, 1421).

10Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom (Az. C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. Rn. 22, ZIP 2023, 1903; Urteil vom - VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., ZIP 2023, 1421). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

11Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des Differenzschadens angepassten, unbeschränkten Zahlungsantrags ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ( VIa ZR 335/21 Rn. 45, ZIP 2023, 1421).

III.

12Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:261023UVIIZR306.21.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-54247