Strafverurteilung wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei u.a.: "Sich-Verschaffen" unversteuerter Zigaretten
Gesetze: § 374 Abs 1 Alt 1 AO, § 374 Abs 2 AO, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 9 KLs 10/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in fünf Fällen und wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Steuerhehlerei in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.862,50 Euro angeordnet. Von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
2Der Angeklagte wendet sich mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts gegen das ihn verurteilende Erkenntnis. Die Staatsanwaltschaft greift mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision mit der Sachrüge die Strafzumessung und die Einziehungsentscheidung an. Sie erstrebt insoweit die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von weiteren 14.770 Euro.
3Die Revision des Angeklagten hat keinen, die der Staatsanwaltschaft hat hinsichtlich der Einziehung in Höhe von 13.562,50 Euro Erfolg.
I.
41. Nach den Feststellungen und Wertungen des Landgerichts verkauften die früheren Mitangeklagten G. und H. unversteuerte, aus Litauen stammende Zigaretten in Kartons mit jeweils 50 Stangen zu je 20 Zigaretten zu Preisen zwischen 15,50 Euro und 18 Euro je Stange an den früheren Mitangeklagten I. , ihren Hauptabnehmer. Dieser veräußerte die Zigaretten zu Preisen zwischen 16 Euro und 25 Euro je Stange weiter. Als sie I. vorübergehend nicht mehr beliefern konnten, wandte sich dieser mit der Bitte um Unterstützung an den Angeklagten, der über Kontakte zu anderen Lieferanten verfügte. Der Angeklagte erwartete sich durch eigenen Abverkauf von unversteuerten Zigaretten oder durch die von I. gezahlte Vermittlungsprovision in Höhe von 0,50 Euro je Stange eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer. Er nahm deshalb am Kontakt zu dem Lieferanten S. auf.
5Am teilte I. dem Angeklagten mit, er benötige für den Abverkauf zunächst mindestens einen Karton Zigaretten. Nachdem der Angeklagte die Lieferung durch Telefonate mit S. koordiniert hatte, übergab er I. am 50 Stangen Zigaretten (Fall II. 1.).
6Aus Anlass einer weiteren Bestellung von I. traf sich der Angeklagte am gegen 19.30 Uhr mit S. und übernahm mindestens 100 Stangen. Gegen 22.00 Uhr suchte er I. auf und übergab sie diesem (Fall II. 2.).
7Am übernahm der Angeklagte von einem anderen Lieferanten 100 Stangen und lieferte sie an I. aus (Fall II. 3.).
8Am Nachmittag des übernahm der Angeklagte von S. mindestens 150 Stangen. 50 Stangen händigte er I. am Abend desselben Tages aus. 100 Stangen verkaufte er selbst an den Abnehmer V. (Fall II. 4.).
9Auf Bitte von I. vereinbarte der Angeklagte mit potentiellen weiteren Lieferanten ein Treffen, um mit ihnen den Ankauf unversteuerter Zigaretten durch I. zu besprechen. An dem Treffen vom nahmen der Angeklagte und I. teil. Am erhielt I. 1.250 Stangen, die er für mindestens 21 Euro je Stange an verschiedene Abnehmer verkaufte (Fall II. 5.).
10Am übernahm I. mit Unterstützung des Angeklagten von dessen Lieferanten 2.500 Stangen zum gewinnbringenden Weiterverkauf (Fall II. 6.).
11Am bat I. den Angeklagten telefonisch, für ihn erneut Kontakt zu Lieferanten herzustellen. Der Angeklagte holte mindestens 575 Stangen bei den Lieferanten ab und übergab sie I. am . I. hatte mit seinem Abnehmer B. einen Preis von 22 Euro je Stange vereinbart (Fall II. 7.).
122. Zu den als gewerbsmäßige Steuerhehlerei abgeurteilten Fällen (II. 1. bis 4. und II. 7.) hat die Strafkammer festgestellt, dass sich der Angeklagte die insgesamt 975 Stangen unversteuerter Zigaretten selbst verschafft hat. Den Wert der von dem Angeklagten an den Abnehmer V. veräußerten 100 Stangen (Fall II. 4.) hat die Strafkammer gemäß § 73d Abs. 2 StGB auf 15,50 Euro je Stange geschätzt und 1.550 Euro eingezogen. In den Fällen II. 1. bis 3. und II. 7. sowie in Fall II. 4. hinsichtlich der an I. weitergegebenen 50 Stangen und in den als Beihilfe zur gewerbsmäßigen Steuerhehlerei abgeurteilten Fällen II. 5. und II. 6. hat die Strafkammer die von I. an den Angeklagten bezahlte Provision von 2.312,50 Euro (4.625 Stangen zu 0,50 Euro je Stange) eingezogen. Insgesamt hat sie deshalb die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.862,50 Euro angeordnet.
13Von der Anordnung der Einziehung des Wertes der an I. übergebenen und von diesem weiterverkauften 875 Stangen Zigaretten hat die Strafkammer, die insoweit die Zahlungsflüsse nicht aufgeklärt hat, abgesehen, weil der Angeklagte wirtschaftlich nicht dazu berechtigt gewesen sei, die Zigaretten auf eigene Rechnung zu veräußern.
II. Revision des Angeklagten
14Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
151. Der Schuldspruch hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Die Strafkammer hat den Angeklagten in den Fällen II. 1. bis 4. und 7. zutreffend wegen täterschaftlich begangener gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in fünf Fällen gemäß § 374 Abs. 1, Abs. 2 AO verurteilt. Das Tatbestandsmerkmal des „Sich-Verschaffens“ (§ 374 Abs. 1 Variante 1 AO) setzt das Erlangen eigener Verfügungsgewalt voraus ( Rn. 8 mwN). Eine solche hatte der Angeklagte. Er erwartete sich neben der Provision auch durch eigenen Abverkauf von unversteuerten Zigaretten eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer und nahm deshalb den Kontakt zu den Lieferanten auf. Er organisierte die Lieferung der Zigaretten an sich, übernahm sie zu einem nur ihm bekannten Zeitpunkt und Übergabeort und entschied darüber, ob er sie selbst an eigene Abnehmer weiterverkaufte und wann und in welcher Menge er Zigaretten an I. weitergab. In Fall II. 4. hat der Angeklagte aus der angelieferten Menge 100 Stangen an einen eigenen Abnehmer verkauft.
16Der Angeklagte hat somit in diesen Fällen eigene Verfügungsgewalt über die an ihn gelieferten Zigaretten erlangt. Ob er sie entgegen der Abrede selbst veräußerte oder I. übergab, ist ohne Belang.
172. Auch der Strafausspruch und die Einziehungsentscheidung weisen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die Anordnung der Einziehung des Wertes der nicht mehr gegenständlich vorhandenen Provision in Höhe von 2.312,50 Euro (4.625 Stangen zu 0,50 Euro je Stange) stützt sich auf § 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB; denn die Provision hat der Angeklagte „für“ die Tat erlangt.
18Soweit die Strafkammer den Wert der von dem Angeklagten an den Abnehmer V. veräußerten 100 Stangen Zigaretten (Fall II. 4.) gemäß § 73d Abs. 2 StGB auf 15,50 Euro je Stange geschätzt und 1.550 Euro eingezogen hat, handelt es sich insoweit um einen bei der Wertbestimmung anzusetzenden Mindestwert.
III. Revision der Staatsanwaltschaft
19Allein die Einziehung birgt Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten. Denn die Feststellungen belegen entgegen der rechtlichen Würdigung des Landgerichts, das rechtsirrtümlich auf eine wirtschaftliche Berechtigung abgestellt hat, dass der Angeklagte in den Fällen II. 1. bis 4. und 7. der Urteilsgründe insgesamt über die 975 Stangen mit unversteuerten Zigaretten eine eigene faktische Verfügungsgewalt erlangte. Zudem genügt die vorsichtige Schätzung eines Verkehrswertes von 15,50 Euro pro Stange (noch) den von § 73d Abs. 2 StGB gestellten Anforderungen und führt zu im Ergebnis nicht zu beanstandenden Mindestfeststellungen, die dem Senat eine abschließende Entscheidung ermöglichen (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend). Zu dem sich daraus ergebenden Betrag von 15.112,50 Euro ist die vom Angeklagten vereinnahmte Provision in Höhe von 2.312,50 Euro (§ 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB) hinzuzurechnen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:090823U1STR492.22.0
Fundstelle(n):
wistra 2024 S. 74 Nr. 2
NAAAJ-53577