BGH Beschluss v. - 1 StR 312/23

Gefährlichkeitsprognose: Notwendigkeit der umfassenden Würdigung der vom Täter begangenen Anlasstaten sowie seiner früheren Taten

Gesetze: § 20 StGB, § 63 StGB

Instanzenzug: Az: 3 Ks 27 Js 18001/22 Sich

Gründe

1Das Landgericht hat den Beschuldigten im Sicherungsverfahren in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht (§ 63 Satz 1 StGB). Seine hiergegen gerichtete Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg. Denn die tatgerichtliche Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden Bedenken.

2a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Es muss überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, insbesondere solche, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder zumindest erheblich gefährdet werden. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 234/22 Rn. 7; vom – 1 StR 34/22 Rn. 5 und vom – 1 StR 453/21 Rn. 6; jeweils mwN).

3b) Hier hat das Landgericht lediglich formelhaft mit einem Satz eine künftige Gefährlichkeit angenommen (UA S. 20), ohne sich damit auseinanderzusetzen, dass der Beschuldigte spätestens seit dem Jahr 2016 unter einer drogeninduzierten Psychose leidet und dennoch bis zur verfahrensgegenständlichen Tat Ende Juli 2022 keine Symptomtaten beging; dies kann aber ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger erheblicher Taten sein (st. Rspr.; zuletzt Rn. 10 mwN). Die im April 2020 zu Lasten eines Polizeibeamten begangene Nötigung kann bereits deswegen nicht herangezogen werden, weil damals keine Auswirkung der psychischen Grunderkrankung auf die Tatbegehung festgestellt wurde (vgl. Rn. 12 mwN). Die Anlasstat (Bedrohung in Tateinheit mit Sachbeschädigung) erscheint nach dem Rücktritt vom Tötungsversuch nicht bereits für sich genommen von ausreichendem Gewicht, um allein hierauf ohne jegliche weitere Erörterung die Gefährlichkeitsprognose stützen zu können.

4c) Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Tatsachenfeststellungen zu ermöglichen, sind bei dem einheitlichen dynamischen Geschehen vorsorglich sämtliche Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:041023B1STR312.23.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-53574