BGH Beschluss v. - 1 StR 195/23

Unterbringungsanordnung: Berücksichtigung der Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung sowie von Risikofaktoren bezüglich der Person des Täters und seiner konkreten Lebenssituation

Gesetze: § 63 StGB

Instanzenzug: LG München II Az: 1 Ks 34 Js 3391/22

Gründe

1Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Seine hiergegen eingelegte und mit der Sachrüge begründete Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

21. Die Unterbringungsanordnung hat keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.

3a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat(en) ergibt, dass von ihm infolge seines fortdauernden Zustands mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Täter infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (st. Rspr.; z.B. Rn. 6 mwN). Dabei sind neben der konkreten Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung auch die auf die Person des Täters und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können, einzustellen ( Rn. 7).

4b) An diesen Anforderungen gemessen erweist sich die der Gefahrenprognose zugrundeliegende Abwägung des Landgerichts als lückenhaft. Die Strafkammer, die zugunsten des Beschuldigten von einer nicht ausschließbar aufgehobenen Einsichtsfähigkeit und einer sicher erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist, hat nicht in den Blick genommen, dass der Anlasstat vom Tätlichkeiten des Geschädigten vorausgegangen sind. Dieser hatte die körperliche Auseinandersetzung dadurch eröffnet, dass er dem Beschuldigten zwei Ohrfeigen versetzte. Zudem hat die Strafkammer das Ergebnis ihrer Abwägung – ein deutliches Überwiegen der risikoerhöhenden Faktoren – auch darauf gestützt, dass der Beschuldigte nach eigenen Angaben bereits vor dem Verkehrsunfall vom , der ein Schädel-Hirn-Trauma mit einer dauerhaften Frontalhirnschädigung und darauf beruhend eine organische Persönlichkeitsstörung mit Störungen der Impulskontrolle zur Folge hatte, erfolgreich ein Messer gegenüber einer Gruppe von Angreifern eingesetzt habe. Zu diesem Geschehen hat das Landgericht keine konkreten tatsächlichen Feststellungen getroffen. Zudem drängt sich bei dem kursorisch mitgeteilten Sachverhalt auf, dass der Beschuldigte damals in Notwehr (§ 32 StGB) gehandelt haben könnte, weil er sich gegen eine Überzahl von Angreifern mit dem Messer verteidigen wollte. Sein deutscher Bundeszentralregisterauszug, das rumänische und das italienische Strafregister enthalten keine Eintragungen. Überdies hätte die Tat ungeachtet der Voraussetzungen des § 32 StGB in keinem Zusammenhang mit der auf dem Unfall beruhenden Erkrankung gestanden.

52. Der Senat hebt sämtliche Feststellungen vorsorglich auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:050923B1STR195.23.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-53570