Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 5/30 KLs 10/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen, zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung formellen und materiellen Rechts; das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Auch die auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten, die auf die unausgeführte Sachrüge gestützt wird, ist erfolgreich.
I.
2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Der Angeklagte und der Geschädigte M. waren Zimmernachbarn in einer einem Studentenwohnheim vergleichbaren Unterkunft in F. . Am , dem letzten Tag seiner Mietzeit, stellte der Angeklagte fest, dass die Sachen in seinem Zimmer durchwühlt worden waren und man ihm jedenfalls Bargeld in Höhe von 160 bis 170 Euro entwendet hatte. Ob noch weitere Gegenstände abhanden gekommen waren, konnte der Angeklagte nicht feststellen. Da sich in den Tagen zuvor beim Geschädigten ein unbekannt gebliebener Bekannter aufgehalten hatte, der bereits in der Vergangenheit in Verdacht gestanden hatte, einem anderen Bewohner eine Jacke gestohlen zu haben, suchte der Angeklagte den Geschädigten in dessen Zimmer auf. Er verdächtigte ihn oder den Bekannten, sein Zimmer durchwühlt und das Bargeld gestohlen zu haben. Daher verlangte er vom Geschädigten die Herausgabe der entwendeten „Gegenstände“, ohne diese näher zu spezifizieren. Als dieser erwiderte, er wisse nicht, um was es gehe, stellte der Angeklagte ihm ein Ultimatum und forderte die Herausgabe seiner Sachen durch Ablage im Flur der Wohnung bis zum Abend desselben Tages. Andernfalls werde „etwas passieren“ bzw. werde es „knallen“. Der Geschädigte nahm diese Drohung nicht ernst. Als er sich am Abend schlafen legte, schloss er wie üblich die Zimmertür von innen ab.
4Unterdessen war der Angeklagte in ein Hotel umgezogen, wo er sich am Abend mit dem gesondert Verfolgten A. traf und erhebliche Mengen Alkohol (zwei bis drei Flaschen Bier zu je 0,5 Liter sowie 7 Alkoholmischgetränke (Whisky-Cola) zu je 0,33 Liter) sowie drei bis vier Joints konsumierte. Der Angeklagte schilderte A. den Vorfall. Er war sehr verärgert und wollte dem Geschädigten eine „Abreibung“ verpassen. Gemeinsam fassten er und A. den Entschluss, sich zum Wohnheim zu begeben und dem Geschädigten körperliche Gewalt anzutun, sollte dieser die Gegenstände nicht herausgeben.
5Am gegen 0.30 Uhr verschaffte sich der Angeklagte mit A. durch Eintreten der verschlossenen Tür Zutritt zum Zimmer des im Bett schlafenden Geschädigten. Der Angeklagte, der ein Reizstoffsprühgerät mit sich führte, stürmte auf den Geschädigten zu, hielt eine Hand zum Schlag drohend erhoben und verlangte lautstark die Herausgabe seiner Sachen. Da er jedoch Mitleid mit dem jüngeren Geschädigten bekam, sah er von seinem Plan ab, diesen zu schlagen, und ließ die Hand wieder sinken. Der Geschädigte versuchte den Angeklagten zu beschwichtigen und erklärte, er wisse nicht, wo dessen Sachen seien. Währenddessen forderte der Angeklagte den gesondert Verfolgten A. auf, das Zimmer nach den Sachen des Angeklagten zu durchsuchen. Dieser Aufforderung kam A. im Rücken des Angeklagten nach, während dieser einige laute Worte mit dem Geschädigten wechselte. Dabei nahm A. , ohne dass der Angeklagte dies bemerkte und ohne dass es eine entsprechende vorherige Absprache gegeben hatte, einen Laptop, zwei Paar Schuhe sowie einen Spielekonsolen-Controller im Gesamtwert von mindestens 180 Euro an sich. Als der Geschädigte erneut äußerte, nichts über den Verbleib der Gegenstände des Angeklagten zu wissen, sprühte der darüber wütende Angeklagte ihm aus einer Entfernung von ca. 1 bis 2 Metern Pfefferspray direkt ins Gesicht. Sodann verließen der Angeklagte und A. , der dabei die vorgenannten Gegenstände des Geschädigten ohne Wissen des Angeklagten mit sich führte, das Zimmer. Auf dem Weg nach draußen machte der Angeklagte noch einmal kehrt und trat aus Wut und Rache gegen einen auf dem Schreibtisch stehenden Fernseher, der dadurch zerstört wurde. Außerdem spuckte er den Geschädigten an und gab aus vier Meter Distanz noch einen ungezielten Sprühstoß des Pfeffersprays in den Raum ab. Der Geschädigte erlitt durch den Angriff brennende Schmerzen und Rötungen am ganzen Körper, tränende Augen und Hustenanfälle und wurde durch die Tat psychisch beeinträchtigt. Erst nach Verlassen des Tatorts stellte der Angeklagte fest, dass A. diverse Gegenstände des Geschädigten mitgenommen hatte. Seiner sofortigen Aufforderung, diese wieder zurückzubringen, kam A. aber nicht nach. Der Verbleib der Gegenstände konnte nicht aufgeklärt werden. An der eingetretenen Tür und am Fernseher entstand ein Sachschaden von etwa 300 Euro.
6Das Landgericht hat sich nicht zu überzeugen vermocht, dass die Mitnahme der Gegenstände des Geschädigten auf einem zuvor zwischen dem Angeklagten und dem gesondert Verfolgten A. gefassten Tatplan beruhte. Die Wegnahme habe der Angeklagte auch nicht sukzessiv gebilligt. Zum einen habe er sie nicht wahrgenommen, sondern erst nach der Tat bemerkt. Zum anderen sei es ihm von Anfang an lediglich darum gegangen, das ihm zuvor entwendete Bargeld zurückzuerhalten; für den Fall, dass er dies nicht erreichen sollte, habe er dem Geschädigten einen Denkzettel bzw. eine „Abreibung“ verpassen wollen.
II.
7Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensbeanstandung nicht ankommt.
81. Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung zu der Frage, ob die Wegnahme der Gegenstände des Geschädigten durch den gesondert Verfolgten auf einem gemeinsamen Tatentschluss mit dem Angeklagten beruhte und der Angeklagte diesbezüglich mit der Absicht rechtswidriger Zueignung handelte, hält – auch eingedenk des beschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. etwa Senat, Beschluss vom – 2 StR 119/22 Rn. 9 mwN) – sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9Soweit das Landgericht der Einlassung des Angeklagten folgt, er habe die Wegnahme der Sachen des Geschädigten durch den gesondert Verfolgten nicht bemerkt, erweist sich die Beweiswürdigung als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
10a) Schon die Wertung des Landgerichts, gegen eine Wahrnehmung der Wegnahme durch den Angeklagten spreche „insbesondere die mehrfache – insoweit mit dem Angeklagten übereinstimmende – Äußerung des Geschädigten, der Angeklagte habe seinen Freund (nur) dazu angewiesen, nach seinen Sachen (also denjenigen des Angeklagten) zu suchen“, ist nicht nachvollziehbar. Denn der Angeklagte hatte nicht feststellen können, „ob neben dem Bargeld in Höhe von 160 bis 170 € weitere Gegenstände abhandengekommen waren“. Welche weiteren Sachen der gesondert Verfolgte suchen sollte, bleibt daher unklar. Im Übrigen erschließt sich nicht, warum eine entsprechende Aufforderung den Angeklagten gehindert haben soll, ein dieser zuwiderhandelndes Verhalten des gesondert Verfolgten wahrzunehmen.
11b) Die vom Landgericht vorgenommene Wertung, der Geschädigte habe die Wegnahme „nicht feststellen können“, weil er „nach dem ersten Sprühstoß in sein Gesicht nach seinen eigenen Angaben kaum mehr etwas gesehen habe“, setzt sich in Widerspruch zu den Feststellungen, wonach der gesondert Verfolgte zunächst die Gegenstände des Geschädigten an sich nahm und der Angeklagte erst anschließend dem Geschädigten Pfefferspray ins Gesicht sprühte. Nach diesem zeitlichen festgestellten Ablauf konnte der Geschädigte daher durchaus wahrnehmen, dass der gesondert Verfolgte Gegenstände an sich nahm und der Angeklagte dies bemerkte.
12c) Das Landgericht verhält sich auch nicht zu der Situation zum Ende des Geschehens im Zimmer des Geschädigten, die dem Tritt gegen den Fernseher und dem ungezielten Sprühstoß durch den Angeklagten unmittelbar vorausging. Soweit das Landgericht dazu feststellt, der Angeklagte sei noch einmal zurückgekehrt, als „die beiden Täter (..) gerade im Begriff [waren], dass Zimmer zu verlassen – der gesondert verfolgte A. führte hierbei die vorgenannten Gegenstände des Geschädigten ohne Wissen des Angeklagten mit sich und verließ das Zimmer als Erster“, erschließt sich nicht, warum der Angeklagte nicht bemerkt haben soll, dass der vor ihm laufende gesondert Verfolgte mehrere größere Gegenstände bei sich trug, die er beim Betreten des Zimmers noch nicht mit sich geführt hatte.
132. Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ‒ ggf. unter Berücksichtigung der Grundsätze der sukzessiven Mittäterschaft ‒ zu einer Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung, strafbar gemäß §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1, 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4, 303, 303c StGB, gekommen wäre.
III.
14Auch die auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten ist begründet.
151. Bei seiner Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen, hat das Landgericht ohne nähere Begründung davon abgesehen, die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit zu berechnen, obwohl seinen Feststellungen nach eine zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholkonsums grundsätzlich möglich war. Dies lässt besorgen, dass die Strafkammer bei ihrer Beurteilung nicht in den Blick genommen hat, dass dem Blutalkoholgehalt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Prüfung, ob die Schuld des Täters zur Tatzeit erheblich eingeschränkt war, gewichtige Indizwirkung zukommt (st. Rspr.; vgl. etwa mwN). Angesichts der den Feststellungen zugrunde gelegten – wenn auch wenig plausiblen – Angaben des Angeklagten zu seinem Alkoholkonsum innerhalb von zwei bzw. zweieinhalb Stunden vor der Tat durfte dieser Gesichtspunkt hier nicht außer Betracht bleiben. Die vom Tatgericht aufgeführten Umstände wie das planmäßige, zielstrebige und folgerichtige Vorgehen des Angeklagten schließen die Möglichkeit einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit nicht aus ( ‒ 5 StR 347/12 Rn. 19). Da eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten auf Grundlage der getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen sicher nicht vorliegt, ist der Schuldspruch hiervon nicht betroffen.
162. Das Urteil beruht auf dem aufgezeigten Rechtsfehler. Zwar kommt hier die Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ernsthaft in Betracht, weil eine mögliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf eine selbst zu verantwortende Berauschung des Angeklagten zurückzuführen ist (, BGHSt 62, 247, 263; Beschluss vom – 1 StR 488/20, StV 2021, 421). Der Angeklagte hat in Kenntnis des an den Geschädigten gerichteten „Ultimatums“ und des Inaussichtstellens, „es werde heute Abend etwas passieren“, erhebliche Mengen an Alkohol zu sich genommen. Jedoch handelt es sich hierbei um eine tatrichterliche Ermessensentscheidung (vgl. , NStZ 2022, 93, 94 mwN), die durch eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht ersetzt werden kann.
IV.
17Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, im Hinblick auf die Angabe des Geschädigten, „der Angeklagte habe gesehen, wie der gesondert Verfolgte seine Sachen an sich genommen habe“, die räumlichen Gegebenheiten, die Positionen der drei Anwesenden und die Belegenheitsorte der entwendeten Gegenstände näher als bisher geschehen in den Blick zu nehmen.
Fundstelle(n):
ZAAAJ-53038