BGH Beschluss v. - X ZB 7/21

Kostenfestsetzung im Patentnichtigkeitsverfahren: Erforderlichkeit einer Doppelvertretung bei Ankündigung einer gerichtlichen Inanspruchnahme aus den angegriffenen Patent; Hinterlegung einer Schutzschrift und Strafanzeige wegen Patentverletzung - Doppelvertretung im Patentnichtigkeitsverfahren II

Leitsatz

Doppelvertretung im Patentnichtigkeitsverfahren II

1. Die Ankündigung einer gerichtlichen Inanspruchnahme aus dem mit einer Nichtigkeitsklage angegriffenen Patent lässt bei typisierender Betrachtung noch nicht die Schlussfolgerung zu, dass eine Doppelvertretung durch einen Patentanwalt und einen Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Nichtigkeitsverfahren notwendig ist.

2. Nichts anderes gilt für die Hinterlegung einer Schutzschrift durch den Nichtigkeitskläger und eine gegen Mitarbeiter des Nichtigkeitsklägers gestellte Strafanzeige wegen Patentverletzung (Ergänzung zu , BGHZ 196, 52 = GRUR 2013, 427 - Doppelvertretung im Nichtigkeitsverfahren I).

Gesetze: § 84 Abs 2 S 2 PatG, § 91 Abs 1 S 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 1 Ni 6/18 (KoF 87/20)

Gründe

1I. Die Parteien streiten über die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines im erstinstanzlichen Patentnichtigkeitsverfahren mitwirkenden Rechtsanwalts.

2Das Patentgericht hat das angegriffene Patent für nichtig erklärt und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

3Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Rechtspflegerin die Kosten für den mitwirkenden Rechtsanwalt (9.927,50 Euro) unberücksichtigt gelassen. Die hiergegen gerichtete Erinnerung der Klägerin hat das Patentgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vom Patentgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

4II. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Patentgerichts über die Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung ist gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG und § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO kraft Zulassung statthaft (vgl. , BGHZ 196, 52 = GRUR 2013, 427 Rn. 5 ff. - Doppelvertretung im Patentnichtigkeitsverfahren I).

5III. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Patentgericht hat die Kosten für die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Streitfall zu Recht als nicht erstattungsfähig angesehen.

61. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

7Die Doppelvertretung im Nichtigkeitsverfahren durch einen Patent- und einen Rechtsanwalt sei nicht schlechthin als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig anzusehen. Dass die Beklagte eine gerichtliche Inanspruchnahme der Klägerin aus dem angegriffenen Patent angekündigt habe, reiche hierfür nicht aus. Auch wenn in bestimmten Situationen, etwa nach einer Berechtigungsanfrage, dieselben Fragen auftreten könnten, die in einem späteren Verletzungsverfahren zu prüfen seien und Abstimmungsbedarf hinsichtlich der Vorbereitung eines (etwaigen) Nichtigkeitsverfahrens begründen könnten, sei dies mit der Konstellation von parallel anhängigen Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren, in der die Rechtsprechung die Erforderlichkeit einer Doppelvertretung auf Grundlage einer typisierenden Betrachtung anerkenne, nicht zu vergleichen. Ob es zu parallelen Verfahren komme, die ein Abstimmen zwischen patent- und rechtsanwaltlichem Vertreter für ein möglichst konsistentes Vorgehen in beiden Verfahren notwendig mache, sei noch offen.

8Der Umstand, dass die Beklagte gegen Mitarbeiter der Klägerin Strafanzeige wegen Verletzung des angegriffenen Patents gestellt habe, rechtfertige kein anderes Ergebnis.

92. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren stand.

10a) Im Nichtigkeitsverfahren neben einem Patentanwalt einen Rechtsanwalt zu beauftragen, ist nicht schlechthin als notwendige Maßnahme der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO anzusehen. Vielmehr müssen zusätzliche Umstände vorliegen, aus denen sich die Notwendigkeit ergibt.

11Wie der Senat bereits entschieden und das Patentgericht zu Recht angenommen hat, ist hierbei grundsätzlich eine typisierende Betrachtung geboten. Danach sind die Kosten einer bestimmten Maßnahme grundsätzlich erstattungsfähig, wenn bestimmte Umstände vorliegen, die typischerweise den Schluss zulassen, dass diese Maßnahme zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.

12Die Zuziehung eines Rechtsanwalts neben einem Patentanwalt ist danach typischerweise als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO anzusehen, wenn zeitgleich mit dem Nichtigkeitsverfahren ein das Streitpatent betreffender Verletzungsrechtsstreit anhängig ist, an dem die betreffende Partei oder ein mit ihr wirtschaftlich verbundener Dritter beteiligt ist. Dies beruht auf dem in aller Regel vorliegenden Interesse der Partei, ihr Vorbringen in beiden Verfahren aufeinander abzustimmen (, BGHZ 196, 52 = GRUR 2013, 427 Rn. 25 f. - Doppelvertretung im Patentnichtigkeitsverfahren I).

13b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde lässt die Ankündigung einer gerichtlichen Inanspruchnahme aus dem mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Patent bei typisierender Betrachtung noch nicht die Schlussfolgerung zu, dass eine Doppelvertretung durch einen Patentanwalt und einen Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Nichtigkeitsverfahren notwendig ist.

14Anders als bei einem anhängigen Verletzungsprozess mit Vertretungszwang nach § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO besteht im Falle einer Berechtigungsanfrage oder von Vergleichsverhandlungen keine Pflicht zur Vertretung durch einen Rechtsanwalt, die einen Abstimmungsbedarf begründet.

15Ein Abstimmungsbedarf ergibt sich auch nicht daraus, dass es später zu einem Verletzungsrechtsstreit kommen könnte. Äußerungen, die im Vorfeld eines Rechtsstreits ausgetauscht werden, haben im späteren Rechtsstreit in aller Regel keine bindende oder beschränkende Wirkung, selbst wenn sie dort als Vorkorrespondenz eingeführt werden.

16c) Für die Hinterlegung einer Schutzschrift gilt nichts anderes.

17Eine Schutzschrift muss nicht notwendig durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden. Sie erfolgt zudem ebenfalls im Vorfeld eines möglichen Gerichtsverfahrens und führt typischerweise nicht zur Bindung in einem späteren Verfahren, dessen konkreter Gegenstand und konkreten Argumentationslinien noch offen sind.

18d) Eine wegen Patentverletzung gestellte Strafanzeige gegen Mitarbeiter des Nichtigkeitsklägers begründet ebenfalls keinen Tatbestand, der typischerweise die Notwendigkeit einer Doppelvertretung im Nichtigkeitsverfahren begründet.

19Der Rechtsbestand des Patents ist zwar Grundlage für eine Strafbarkeit nach § 142 PatG. Daraus ergibt sich aber kein Abstimmungsbedarf zwischen einem Rechtsanwalt, der die Interessen der Anzeigegegner wahrnimmt, und dem mit der Vertretung im Nichtigkeitsverfahren betrauten Patentanwalt. Insbesondere kann nicht typischerweise angenommen werden, dass ein strafrechtliches Verfahren und ein Nichtigkeitsverfahren parallel betrieben werden und eine Entscheidung im Strafverfahren vor Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens ergeht.

20e) Sonstige Umstände, die eine Doppelvertretung im Streitfall als notwendig erscheinen lassen könnten, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Die von ihr angeführten Entscheidungen des Bundespatentgerichts betreffen Sachverhaltskonstellationen, die im Streitfall nicht vorliegen.

21IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:071123BXZB7.21.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 2818 Nr. 49
BB 2024 S. 148 Nr. 4
HAAAJ-53031