Suchen
BGH Urteil v. - VIa ZR 460/22

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 11a U 912/21vorgehend LG Dresden Az: 7 O 780/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am von einem Händler zu einem Preis von 53.480 € einen von der Beklagten hergestellten neuen Transporter VW T5 California 2.0 TDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei geringen Außentemperaturen reduziert. Ob die sogenannte "Umschaltlogik" zum Einsatz kommt, steht zwischen den Parteien im Streit. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.

3Der Kläger hat zuletzt die Zahlung von 38.429,20 € (Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 15.050,80 € auf der Grundlage 98.500 gefahrener Kilometer und einer Gesamtlaufleistung von 350.000 Kilometern) nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) und die Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu 3) begehrt.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

5Die Revision des Klägers hat weitgehend Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

7Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Er habe keine greifbaren Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass in seinem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in sittenwidriger Weise zum Einsatz komme. Da für den in Rede stehenden Fahrzeugtyp ein höherer Stickoxid-Grenzwert gegolten habe, sei eine Täuschung des KBA durch den Einsatz einer "Umschaltlogik" zur Erlangung der EG-Typgenehmigung nicht erforderlich gewesen. Die Funktionsweise des Thermofensters reiche nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei könne zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren sei. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, weil es sich bei den Bestimmungen der EG-FGV nicht um auf den Schutz der Fahrzeugkäufer ausgerichtete Vorschriften handele.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des von der Revision angeführten Thermofensters getroffen.

III.

12Das Berufungsurteil hat gleichwohl Bestand, soweit der Kläger mit dem Berufungsantrag zu 1 die Zahlung von mehr als 36.253,94 € verlangt. In Höhe des übersteigenden Betrags stellt sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Selbst wenn aufgrund vom Berufungsgericht bislang nicht festgestellter sonstiger Tatsachen eine Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB in Betracht käme (vgl. VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 28), könnte ein möglicher Anspruch des Klägers auf Gewährung "großen" Schadensersatzes allenfalls auf die Zahlung von 36.253,94 € gerichtet sein. Der Kläger hat in der Berufungsverhandlung die Laufleistung seines Fahrzeugs mit 112.736 Kilometern angegeben. Anhand der von ihm gewählten Berechnungsmethode beläuft sich die vom Kaufpreis abzuziehende Nutzungsentschädigung demnach nicht auf 15.050,80 €, sondern auf 17.226,06 € (53.480 € x 112.736 Kilometer: 350.000 Kilometer). In Höhe des Differenzbetrags von 2.175,26 € ist die Revision daher zurückzuweisen.

IV.

13Im Übrigen ist das Berufungsurteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen der jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung des angefochtenen Urteils nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

14Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen zu haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:091023UVIAZR460.22.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-52579

Ihre Datenbank verwendet ausschließlich funktionale Cookies,

die technisch zwingend notwendig sind, um den vollen Funktionsumfang unseres Datenbank-Angebotes sicherzustellen. Weitere Cookies, insbesondere für Werbezwecke oder zur Profilerstellung, werden nicht eingesetzt.

Hinweis ausblenden