Instanzenzug: Az: 20 U 145/21vorgehend Az: 41 O 45/21
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.
2Der Kläger hält eine Krankenversicherung bei der Beklagten, in der unter anderem Paulina L. mitversichert ist. Dem Versicherungsvertrag liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (im Folgenden: AVB) zugrunde, die folgende Regelung enthalten:
"§ 8b Beitragsanpassung
1. Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]
2. Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.
3. […]
4. Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei den Versicherungsleistungen eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst; bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei der Sterbewahrscheinlichkeit eine Abweichung von mehr als 5 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst."
3Die Beklagte teilte dem Kläger unter anderem folgende Beitragserhöhungen mit:
- zum im Tarif … um 37,63 € nebst auf diese Erhöhung entfallendem gesetzlichen Beitragszuschlag für Altersrückstellungen in Höhe von 3,76 €
- zum im Tarif E. des Klägers, in den er zum aus dem Tarif … gewechselt war, um 57,08 € nebst auf diese Erhöhung entfallendem gesetzlichen Beitragszuschlag in Höhe von 5,71 € und im Tarif S. der Versicherten Paulina L. um 0,21 €
4Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kläger mit seiner Klage die Rückzahlung der auf die genannten sowie weitere Erhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von zuletzt 3.663,97 € nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte die Nutzungen, die sie aus den auf die Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteilen gezogen hat, herauszugeben und zu verzinsen hat. Außerdem hat er die Feststellung beantragt, dass die Beitragserhöhungen unwirksam sind und er nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist sowie der Gesamtbeitrag auf 746,91 € zu reduzieren ist.
5Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 2.689,60 € nebst Zinsen ab dem verurteilt. Weiter hat es festgestellt, dass die oben genannten Beitragserhöhungen unwirksam sind und der Kläger nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist - im Tarif … jedoch nur bis zum und im Tarif S. bis zum - sowie der monatliche Gesamtbeitrag um 62,79 € zu reduzieren ist. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie bis zum aus den Prämienanteilen gezogen hat, die der Kläger vom bis zum auf die Beitragserhöhung im Tarif …, ab dem auf die Beitragserhöhung im Tarif E. und vom bis zum auf die Beitragserhöhung im Tarif S. gezahlt hat. Dagegen hat sich die Beklagte mit der Berufung gewandt. Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kläger mit der Anschlussberufung die Feststellung der Pflicht zur Herausgabe der gezogenen Nutzungen für die Erhöhungen im Tarif E. bis zum , im gesetzlichen Beitragszuschlag zum bis zum und im Tarif S. bis zum beantragt sowie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von weiteren 1.120,60 € nebst Zinsen verlangt. Das Oberlandesgericht hat das landgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, dass die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 3.737,09 € nebst Zinsen verurteilt und die Pflicht zur Herausgabe der bis zum gezogenen Nutzungen festgestellt worden ist, soweit die Zahlungen ab dem erfolgt sind.
6Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung, soweit es die genannten Beitragserhöhungen betrifft, mit Ausnahme der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 289,73 € nebst Zinsen aus der Prämienerhöhung im Tarif … nebst dem darauf entfallenden Beitragszuschlag weiter. Sie nimmt insgesamt ihre Verurteilung zur Zahlung von 1.055,90 € nebst Zinsen von der Revision aus.
Gründe
7Die Revision hat überwiegend Erfolg.
8I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die genannten Erhöhungen aus materiellen Gründen unwirksam seien und sich die Erhöhung im Tarif … auch als formell unwirksam darstelle. Da die Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen bei diesen Beitragsanpassungen unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 % liege, wären diese nur dann wirksam, wenn sie auf der Grundlage von § 8b AVB hätten erfolgen können. Dessen Unwirksamkeit ergebe sich daraus, dass nach den gesetzlichen Vorschriften eine Beitragsanpassung nur zulässig sei, wenn die Veränderung nicht nur vorübergehender Art sei. Unabhängig davon räume § 8b Abs. 4 Satz 1 AVB bei einer Abweichung im Bereich zwischen "mehr als 5 %" und bis zu 10 % dem Versicherer ein Ermessen in Bezug auf die Überprüfung und Anpassung der Beiträge ein, was der geltenden gesetzlichen Regelung widerspreche und die Vertragspartner der Beklagten im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteilige. Aus der Unwirksamkeit dieser Erhöhungen folge die Verpflichtung zur Rückzahlung der darauf gezahlten Beiträge sowie zur Herausgabe der hieraus gezogenen Nutzungen im zugesprochenen Umfang.
9II. Das hält rechtlicher Nachprüfung überwiegend nicht stand.
101. Noch zutreffend hat das Berufungsgericht die Zulässigkeit der Klage auch für den auf die Unwirksamkeit der Beitragsanpassung im Tarif … zum gerichteten Feststellungsantrag angenommen.
11Zwar fehlt es an einem schutzwürdigen Interesse an der Feststellung dieses Rechtsverhältnisses, da der Kläger zum in den Tarif E. wechselte; weiterer Ansprüche aus dem früheren Tarif über diesen Zeitraum hinaus berühmt er sich nicht. Die begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhung ist jedoch eine Vorfrage für die Leistungsanträge. Bei der Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO macht die Vorgreiflichkeit das sonst für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse entbehrlich (Senatsurteil vom - IV ZR 294/19, VersR 2021, 240 Rn. 20 m.w.N. [insoweit in BGHZ 228, 56 nicht abgedruckt]). Die begehrte Feststellung muss sich allerdings grundsätzlich auf einen Gegenstand beziehen, der über den der Rechtskraft fähigen Gegenstand des Rechtsstreits hinausgeht. Für eine Zwischenfeststellungsklage ist daher grundsätzlich kein Raum, wenn mit dem Urteil über die Hauptklage die Rechtsbeziehungen der Parteien erschöpfend geregelt werden (, NJW 2013, 1744 Rn. 19). Eine Zwischenfeststellungsklage ist jedoch dann zulässig, wenn mit der Hauptklage mehrere selbständige Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis verfolgt werden, mögen sie auch in ihrer Gesamtheit die Ansprüche erschöpfen, die sich aus ihm überhaupt ergeben können ( aaO). In diesem Fall könnten Teilurteile ergehen, weshalb die Entscheidung über das zugrundeliegende Rechtsverhältnis für nachfolgende Teilurteile und das Schlussurteil von Bedeutung sein könnte (vgl. aaO). Erforderlich ist, dass ein Erfolg des Zwischenfeststellungsantrags die Möglichkeit für Teilurteile eröffnet. Daran fehlt es, wenn im Fall der Begründetheit der Zwischenfeststellungsklage zugleich die Hauptsacheklage ohne Weiteres in vollem Umfang entscheidungsreif ist; hier hat ein Ausspruch über den Zwischenfeststellungsantrag keine weitergehende rechtliche Bedeutung (, WM 2021, 989 Rn. 19). So liegt es hier jedoch nicht. Aus einer Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienanpassung folgte noch nicht unmittelbar die Begründetheit der verschiedenen Ansprüche auf Rückzahlung der einzelnen Erhöhungsbeträge sowie auf Herausgabe der daraus gezogenen Nutzungen im geltend gemachten Umfang.
122. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Prämienerhöhungen mit der Begründung für unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.
13a) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom (IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die - insoweit den hier zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen vergleichbaren - Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009, der inhaltlich § 8b Abs. 2 AVB entspricht, unwirksam, aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 - und ebenso von Absatz 1 der hier zugrundeliegenden Klausel - unberührt (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 31 ff.).
14b) Der Senat hat außerdem mit Urteil vom (IV ZR 347/22, r+s 2023, 721) entschieden und im Einzelnen begründet, dass eine Prämienanpassungsklausel, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG abweicht und diesen auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 16, 20).
153. Während die Beitragserhöhungen daher insgesamt materiell wirksam sind, ist die Erhöhung im Tarif … zum aber formell unwirksam und der Erhöhungsbetrag daher auch bis zum , dem Zeitpunkt des Tarifwechsels, nicht zu tragen. Nach den von der Revision zu Recht nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts erfüllt die Mitteilung der Beklagten zu dieser Erhöhung nicht die nach § 203 Abs. 5 VVG zu stellenden Anforderungen.
16III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit darin die Unwirksamkeit und die Nichtzahlungspflicht des Klägers für die Prämienerhöhungen zum festgestellt worden ist. Mit der formellen Rechtmäßigkeit dieser materiell wirksamen Prämienerhöhungen hat sich das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - noch nicht befasst. Neben der Feststellung der diesbezüglichen Pflicht zur Nutzungsherausgabe ist auch die auf diese Erhöhungen entfallende Zahlungsverurteilung nebst Zinsen aufzuheben, allerdings beschränkt durch den Revisionsantrag, mit dem die Verurteilung zur Zahlung von 1.055,90 € nebst Zinsen nicht angefochten wird. In diesem Umfang ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:251023UIVZR150.22.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-52572