Instanzenzug: Az: 4 Ni 11/18 (EP) Urteil
Tatbestand
1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 529 450 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme der Priorität einer europäischen Patentanmeldung vom angemeldet wurde und das Herstellen von Fasersträngen betrifft. Patentanspruch 1, auf den sich sechs weitere Ansprüche zurückbeziehen, lautet in der Verfahrenssprache:
Vorrichtung zur im Wesentlichen gleichzeitigen Herstellung von mindestens zwei Fasersträngen (8) der tabakverarbeitenden Industrie, insbesondere von Tabaksträngen zur Zigarettenherstellung, mit einer Schneideeinrichtung (12) zum Schneiden der Faserstränge (8) und einer Führungseinrichtung (6) zur gleichzeitigen Führung der Faserstränge (8) in einem Abstand voneinander zur Schneideeinrichtung (12), wobei die Führungseinrichtung (6) mehrere Förderstrecken (I, ll), von denen jeweils eine Förderstrecke einem Faserstrang zugeordnet ist, und Fördermittel (6a) zum Transport der Faserstränge (8) entlang der voneinander beabstandeten Förderstrecken (I, II) zur Schneideeinrichtung (12) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass der Abstand zwischen den Förderstrecken (I, II) in Richtung auf die Schneideeinrichtung (12) auf einen vorbestimmten Minimalwert vor der Schneideeinrichtung (12) abnimmt.
2Patentanspruch 8, auf den sich ein weiterer Anspruch zurückbezieht, schützt ein Verfahren mit entsprechenden Merkmalen.
3Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung sowie mit elf Hilfsanträgen verteidigt.
4Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit dessen Gegenstand über die mit Hilfsantrag 0 verteidigte Fassung hinausgeht, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die unverändert die vollumfängliche Nichtigerklärung des Streitpatents begehrt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das Schutzrecht ergänzend mit ihren weiteren Hilfsanträgen aus erster Instanz.
Gründe
5Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
6I. Das Streitpatent betrifft die im Wesentlichen gleichzeitige Herstellung von mindestens zwei Fasersträngen der tabakverarbeitenden Industrie, insbesondere die Herstellung von Tabaksträngen bei der Zigarettenproduktion.
71. Nach der Beschreibung sind hierfür geeignete Vorrichtungen unter anderem aus der europäischen Offenlegungsschrift 1 293 136 (D2) bekannt. Jedoch träten mit zunehmender Stranggeschwindigkeit aus dynamischen Gründen Probleme hinsichtlich der Schneidqualität, der Materialermüdung und der Geräuschentwicklung auf (Abs. 1 f.).
82. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, eine Vorrichtung bereitzustellen, welche die genannten Probleme verringert (Abs. 3, 6).
93. Zur Lösung schlagen die Patentansprüche 1 und 7 in ihrer im zweiten Rechtszug noch verteidigten Fassung eine Vorrichtung bzw. ein Verfahren vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind hervorgehoben):
114. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung.
12a) Ein Faserstrang im Sinne von Merkmal 1a bzw. 7a kann grundsätzlich aus jedem Material bestehen, das für den Einsatz in der tabakverarbeitenden Industrie geeignet ist. Neben den beispielhaft angeführten Tabaksträngen kommen insbesondere auch Filterstränge in Betracht.
13Nur Patentanspruch 8 sieht eine Eignung der Vorrichtung für Tabakstränge zwingend vor. Auch danach ist es nicht ausgeschlossen, die Vorrichtung auch für andere Stränge einzusetzen.
14b) Welche Beschaffenheit der Faserstrang vor oder nach der Bearbeitung mit der geschützten Vorrichtung bzw. nach Anwendung des geschützten Verfahrens aufweist, ist in den Patentansprüchen 1, 7 und 8 nicht näher festgelegt.
15Danach ist insbesondere nicht erforderlich, dass der Strang erst in der geschützten Vorrichtung bzw. durch das geschützte Verfahren gebildet wird. Umfasst ist vielmehr auch die Weiterbearbeitung eines bereits als Strang vorliegenden Ausgangsmaterials.
16Bei dem im Streitpatent geschilderten Ausführungsbeispiel werden die Tabakfasern zwar erst in der Vorrichtung durch formgebende Finger (4) zu einem Strang geformt (Abs. 13). Wie bereits dargelegt wurde, sind die Patentansprüche 1, 7 und 8 aber nicht auf die Verarbeitung von Tabaksträngen beschränkt.
17Eine entsprechende Einschränkung ergibt sich auch nicht aus Merkmal 1f bzw. 7f. Diese sehen zwar vor, dass der Strang geformt wird. Eine solche Bearbeitung kann aber auch an Ausgangsmaterial vorgenommen werden, das bereits als Strang vorliegt. Eine bestimmte Art der Formung sehen die Patentansprüche ohnehin nicht vor.
18c) Die in Merkmal 1c bzw. 7f vorgesehene Führungseinrichtung muss nach Merkmal 1d1 bzw. 7b1 für jeden Faserstrang eine gesonderte Förderstrecke aufweisen.
19Diese Förderstrecken müssen nach Merkmal 7b1 so angeordnet sein, dass die Faserstränge in einem Abstand voneinander geführt werden können. Entsprechendes ergibt sich für den Vorrichtungsanspruch aus Merkmal 1d2, wonach die Förderstrecken voneinander beabstandet sind, und aus Merkmal 1c, wonach die Führungseinrichtung - die nach Merkmalsgruppe 1d die Förderstrecken umfasst - geeignet sein muss, die Faserstränge in einem Abstand voneinander zu führen.
20Wie groß dieser Abstand ist und wie er gemessen wird, ist in den Patentansprüchen 1, 7 und 8 nicht näher festgelegt. Aus dem Umstand, dass die geführten Faserstränge einen Abstand aufweisen müssen, ergibt sich allerdings, dass der Abstand der Führungseinrichtungen ausreichend groß sein muss, um diesen Abstand wahren und die Faserstränge störungsfrei fördern zu können.
21d) Wesentliche Bedeutung kommt der Reduzierung des Abstands auf dem Weg zur Schneideeinrichtung zu. Diese ermöglicht nach der Beschreibung eine besonders effektive Nutzung der Schneideeinrichtung auch bei verhältnismäßig großer Stranggeschwindigkeit, ohne dass die Schneidequalität leidet (Abs. 19).
22aa) In der im Berufungsverfahren noch zu beurteilenden Fassung ist die Reduzierung des Abstands sowohl im Hinblick auf die Faserstränge als auch im Hinblick auf die Förderstrecken definiert.
23Nach dem bereits in der erteilten Fassung vorgesehenen Merkmal 1e bzw. 7c muss der Abstand zwischen den Förderstrecken in Richtung auf die Schneideeinrichtung auf einen vorbestimmten Minimalwert abnehmen.
24Nach dem in erster Instanz hinzugefügten Merkmal 1f bzw. 7f muss der Abstand zwischen den Fasersträngen auf den vorbestimmten Minimalwert reduziert werden. Diese Einrichtung bildet einen Teil der Förderstrecke, die nach Merkmal 1d2 bzw. 7b1 bis zur Schneideeinrichtung reicht.
25Diese Ergänzung enthält eine sprachliche Ungenauigkeit, weil der Abstand zwischen den Förderstrecken nicht zwingend identisch ist mit dem Abstand zwischen den Fasersträngen, die genannten Merkmale dennoch nur einen vorbestimmten Minimalwert erwähnen. Aus der genannten Funktion des Merkmals - das Ermöglichen eines qualitativ hochwertigen Schneidevorgangs bei hoher Stranggeschwindigkeit - ergibt sich jedoch hinreichend deutlich, dass es vorrangig um den Abstand der zu schneidenden Stränge geht und dass der Abstand zwischen den Förderstrecken so bemessen sein muss, dass der vordefinierte Minimalabstand zwischen den Fasersträngen eingehalten werden kann.
26Dieser Minimalabstand muss, wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, größer als 0 sein, d.h. die beiden Stränge dürfen sich nicht berühren und erst recht nicht miteinander verbunden werden.
27bb) Nach Merkmal 1f muss die Reduzierung des Abstands auf den vorgegebenen Minimalwert innerhalb der formbildenden Einrichtung erfolgen.
28Eine solche Ausgestaltung ist beispielhaft in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 1 und 2 dargestellt.
29Die Tabakstränge werden aus Fingern (4) auf die auch als Format bezeichnete formbildende Einrichtung (6) abgegeben. Dort wird im Verlauf der weiteren Bewegung ein Papierstreifen (5) um den Tabakstrang gelegt (Abs. 14). Ferner ist im Format (6) eine Trocknungsstrecke (7) vorgesehen, die Leimspuren zur Verklebung des Papierstreifens trocknet (Abs. 15). Während der Umhüllungs- und Trocknungsphase laufen beide Tabakstränge symmetrisch unparallel durch das Format (6), indem der Abstand zwischen den Förderstrecken (I, II) mit zunehmender Entfernung von den Fingern (4) abnimmt (Abs. 17).
30Anders als die Beschreibung (Abs. 8) sieht Patentanspruch 1 zwar nicht ausdrücklich vor, dass der Abstand innerhalb der formbildenden Einrichtung auf den Minimalwert reduziert wird. Der Vorgabe in Merkmal 1f, wonach diese Einrichtung so ausgebildet sein muss, dass der Abstand während der Bewegung der Faserstränge auf den vorbestimmten Minimalwert reduziert wird, ist jedoch zu entnehmen, dass die formbildende Einrichtung dasjenige Element ist, in dem die Reduzierung des Abstands stattfinden muss.
31cc) Merkmal 7f ist trotz des im Detail abweichenden Wortlauts in gleichem Sinne auszulegen wie Merkmal 1f.
32Die in Merkmal 7f enthaltene Vorgabe, dass der Abstand mittels der formbildenden Einrichtung auf den vorbestimmten Minimalwert reduziert wird, mag bei isolierter Betrachtung zwar auch das Verständnis zulassen, dass es genügt, wenn die Abstandsreduzierung durch die formbildende Einrichtung eingeleitet wird, der Minimalwert aber erst an anderer Stelle erreicht wird. Aus der Zusammenschau mit der zusätzlich in Merkmal 7f definierten Anforderung, dass die Reduzierung auf den Minimalwert während der Bewegung der Faserstränge erfolgen muss, ergibt sich aber, dass die maßgeblichen Vorgänge innerhalb der formbildenden Einrichtung stattfinden müssen, der Minimalwert des Abstands also in diesem Bereich erreicht werden muss.
33dd) Als formbildende Einrichtung im Sinne von Merkmal 1f bzw. 7f ist eine Vorrichtung anzusehen, bei der das vorhandene Material in eine andere Form gebracht wird. Nicht ausreichend sind Einrichtungen, bei denen die Form des Strangs allein durch Hinzufügen oder Entfernen von Material verändert wird.
34Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass die Beschreibung den formbildenden Maschinenteil (6) abgrenzt von vorgelagerten Elementen, in denen der Tabakstrang durch Zusammenfügen von Fasern erst gebildet wird (Abs. 13 f.). Die Merkmale 1f und 7f greifen diesen Sprachgebrauch auf und beziehen sich ausschließlich auf formbildende Einrichtungen. Damit sind vorgelagerte Elemente, bei denen die Form durch Hinzufügen oder Entfernen von Fasern verändert wird, ausgeschlossen.
35II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:
36Der mit dem erstinstanzlichen Hilfsantrag 0 verteidigte Gegenstand gehe nicht über den Inhalt der Anmeldung hinaus. Diese offenbare eine Reduzierung des Abstands auf einen vorbestimmten Minimalwert sowohl für die Faserstränge als auch für die Förderstrecken.
37Dieser Gegenstand sei auch patentfähig. Die US-Patente 4 507 107 (D1) und 3 994 306 (D3) offenbarten Vorrichtungen, bei der eine Abstandsreduzierung erst nach Durchlaufen der formbildenden Einrichtung erfolge. Bei der in D3 offenbarten Vorrichtung werde das Material zudem vor dem Schneiden zu einem einzigen Faserstrang verbunden. Die deutsche Offenlegungsschrift 43 08 093 (D4) offenbare die Verarbeitung von Filtertowstreifen, die erst in einem nachfolgenden Schritt zu Filtersträngen verarbeitet würden. Außerdem werde nur der Abstand zwischen den Förderstrecken reduziert. Der Abstand zwischen den Streifen nehme demgegenüber sogar geringfügig zu.
38Merkmal 1f bzw. 7f ergebe sich für den Fachmann, einen Diplom-Ingenieur oder Master des Maschinenbaus mit Fachhochschul-Abschluss und mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung von Vorrichtungen zur Herstellung von Fasersträngen der tabakverarbeitenden Industrie, auch nicht in naheliegender Weise aus einer Zusammenschau von D4 mit der europäischen Offenlegungsschrift 1 108 367 (D7). Selbst wenn Veranlassung bestanden habe, die in der Vorrichtung aus D4 hergestellten Filterstränge zu einer gemeinsamen Schneideeinrichtung zu führen, wie sie in den Figuren 1 und 2 der D7 gezeigt werde, und hierbei den Abstand der Stränge zu reduzieren, habe sich daraus nicht in naheliegender Weise ergeben, diese Reduzierung durch eine entsprechende Ausbildung der Filterstrangeinheit als formbildender Einrichtung herbeizuführen. Im Stand der Technik sei eine Abstandsreduzierung nach Verlassen der Filterstrangeinheit bekannt gewesen, etwa aus D1 und D3.
39Die deutsche Offenlegungsschrift 28 04 458 (D9) zeige formbildende Einrichtungen, die einen konstanten Abstand der Faserstränge zur Folge hätten. Die für Filtertow vorgesehenen Bahnen liefen ebenfalls parallel. Die deutsche Offenlegungsschrift 195 41 464 (D8) offenbare nur kontinuierlich parallel verlaufende Zigarettenstränge. Die Veröffentlichung von Prevost (Technique du tabac, Lausanne 1959, S. 257, D10) zeige lediglich ein damals neues Verfahren der Tabakstrangbildung. Die deutsche Offenlegungsschrift 36 27 057 (D11) offenbare eine Vorrichtung und ein Verfahren zum Herstellen eines Tabakfaserstrangs unter Abgrenzung von D8. Auch in der Zusammenschau von D8 und D11 ergebe sich keine konvergierende Anordnung.
40III. Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.
411. Zutreffend hat das Patentgericht entschieden, dass der verteidigte Gegenstand nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgeht.
42a) Wie auch die Berufung im Ansatz nicht verkennt, ist bereits in den in der Anmeldung formulierten Ansprüchen 1 und 2 eine Reduzierung des Abstands auf einen vorbestimmten Minimalwert sowohl für die Stränge als auch für die Förderstrecken vorgesehen.
43b) Entgegen der Auffassung der Berufung führt der Umstand, dass der unbestimmte Artikel ("auf einen vorbestimmten Minimalwert") in der Anmeldung für den Abstand zwischen den Strängen und in der verteidigten Fassung für den Abstand zwischen den Förderstrecken verwendet wird, und der bestimmte Artikel ("auf den vorbestimmten Minimalwert") für den jeweils anderen Abstand, nicht zu einer inhaltlichen Abweichung.
44Wie bereits oben dargelegt wurde, ergibt sich aus den Funktionsangaben in der Beschreibung, dass die Abstände der Faserstränge und der Förderstrecken aufeinander abgestimmt sein müssen. Vor diesem Hintergrund kommt der Frage, welcher Abstand als Ausgangspunkt gewählt wird, keine Bedeutung zu, zumal die Patentansprüche 1, 7 und 8 ohnehin keine näheren Festlegungen bezüglich der Größe des Abstands treffen.
45c) Entgegen der Auffassung der Berufung geht der Gegenstand von Patentanspruch 7 nicht deshalb über den Inhalt der Anmeldung hinaus, weil die Definition der Führungseinrichtung nicht denselben Detaillierungsgrad aufweist wie in Patentanspruch 1.
46aa) Auch Patentanspruch 7 sieht ausdrücklich vor, dass die Führungseinrichtung mehrere getrennte Förderstrecken aufweist.
47Dies ergibt sich schon aus Merkmal 7b1, wonach die Faserstränge entlang entsprechender Förderstrecken in einem Abstand voneinander geführt werden, und zusätzlich aus Merkmal 7c, wonach der Abstand zwischen den Förderstrecken in Richtung auf die Schneideeinrichtung abnimmt.
48bb) Der verteidigte Gegenstand geht auch nicht deshalb über den Inhalt der Anmeldung hinaus, weil Patentanspruch 7 nicht ausdrücklich vorsieht, dass die Führungseinrichtung über Fördermittel verfügt.
49Dass die Stränge bei dem von Patentanspruch 7 geschützten Verfahren zur Schneideeinrichtung hin gefördert werden müssen, ergibt sich aus Merkmal 7b1, wonach Förderstrecken vorhanden sein müssen. Die Mittel, mit denen diese Bewegung erzielt wird, sind weder im Streitpatent noch in der Anmeldung näher beschrieben. Daraus geht hinreichend deutlich hervor, dass der Ausgestaltung der Fördermittel keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt.
502. Ebenfalls zutreffend hat das Patentgericht den verteidigten Gegenstand von Patentanspruch 1 als neu angesehen.
51a) D1 offenbart eine Vorrichtung zur gleichzeitigen Herstellung mehrerer Filterfaserstränge zwecks Produktion von Zigaretten.
52aa) Die Vorrichtung umfasst eine Einrichtung zum gemeinsamen Schneiden der Faserstränge. Die Abstände der Faserstränge werden vor dem Schneiden auf ein Minimum reduziert. In den Ausführungsbeispielen nach den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 6 und 7 wird der Abstand zwischen den Fasersträngen aber nicht schon innerhalb einer formbildenden Einrichtung reduziert, sondern erst danach, unmittelbar vor der Schneideeinrichtung.
53bb) Entgegen der Auffassung der Berufung besteht die formbildende Einrichtung nur aus den auch vom Patentgericht als maßgeblich angesehenen Bauteilen mit den Bezugszeichen 45a bis 45f. Das Bauteil mit dem Bezugszeichen 50 ist demgegenüber eine Schneideeinrichtung (Sp. 8 Z. 54-62).
54In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob die Zugvorrichtung (48), die sich anschließende Strecke, auf der sich der Abstand zwischen den einzelnen Strängen verringert, und der vor der Schneidestelle gelegene Teil der Schneideeinrichtung (50) als Teile der Förderstrecken im Sinne der Merkmale 1d1 und 1e angesehen werden können. Diese Bereiche gehören jedenfalls nicht zur formbildenden Einrichtung im Sinne von Merkmal 1f. Dies gilt auch dann, wenn die Faserstränge nach Verlassen der Bauteile 45a bis 45f noch nicht die Form aufweisen, die sie im Endzustand haben sollen. Entscheidend ist, dass D1 nicht zu entnehmen ist, dass die Stränge im nachfolgenden Bereich bis hin zur Schneidestelle noch eine Formung erhalten. Nach dem Vorbringen der Berufung sollen zwar kreisrunde Durchgänge in der Führung (50) eine zusätzliche Formung der Stränge bewirken. Eine solche Wirkung lässt sich aber weder den Figuren 6 und 7 noch dem sonstigen Inhalt der D1 unmittelbar und eindeutig entnehmen. Dass sie sich von selbst einstellt, ist nicht ersichtlich. Unabhängig davon wird der Minimalabstand bereits vor dem Eintritt in die genannten Durchgänge erreicht und nicht erst innerhalb der Führung (50).
55b) D3 offenbart eine Vorrichtung und ein Verfahren zum Herstellen zusammengesetzter Zigarettenfilter.
56aa) Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2 dargestellt.
57Zwei Stränge (60, 62) werden je einzeln durch eine Zuführdüse (64, 66), eine mit Dampf beaufschlagte Kammer (68, 70), eine Umformeinrichtung (reforming means 78, 80) und einen Kühlkopf (94, 96) geführt Sp. 4 Z. 46 bis Sp. 5 Z. 41). Anschließend werden beide Stränge gemeinsam durch ein Führungselement (100), eine weitere Dampfkammer (102) und einen weiteren Kühlkopf (104) geführt, um eine im Wesentlichen zylindrisch geformte Struktur (30) zu erhalten (Sp. 5 Z. 41-47). Details zur Ausgestaltung der Dampfkammer (102) sind in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 9 dargestellt, die damit erzeugte Struktur in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 4.
58bb) Damit ist Merkmal 1f nicht offenbart.
59Der Abstand zwischen den einzelnen Strängen wird erst nach Verlassen der Formeinrichtung (94) verringert.
60Das Bauteil (102) ist zwar ebenfalls eine Formeinrichtung. In und vor dieser werden die beiden Stränge aber nicht nur bis auf einen vorgegebenen Minimalwert einander angenähert, sondern zusammengeführt und miteinander verbunden.
61c) D4 betrifft ein Verfahren zum Aufbereiten von Filtertowmaterial für eine Zigarettenherstellung im Strangverfahren sowie die zugehörige Vorrichtung.
62aa) Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2 dargestellt.
63Die Filterstreifen (4, 6) werden durch Ausbreiterdüsen (27) geleitet und durch Schlitze (34) mittels einer Bürste (32) mit Weichmacher versehen. Anschließend werden sie in eine Filterstrangeinheit (44) abgegeben, wo sie zu Filtersträngen verarbeitet und dann in Abschnitte passender Länge zerschnitten werden (Sp. 3 Z. 38 bis Sp. 4 Z. 3).
64bb) Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, ist damit nicht offenbart, dass der Abstand zwischen den einzelnen Strängen in einer Formeinheit auf einen vorgegebenen Minimalwert verringert wird, der bis hin zur Schneideeinrichtung beibehalten wird.
65Der Aufbau der Strangeinheit (44), in der die Filterstränge ihre endgültige Form erhalten, ist in D4 nicht offenbart.
66Ob die Ausbreiterdüsen (27) als formbildende Einheit im Sinne von Merkmal 1f angesehen werden können und ob an dieser Stelle der Abstand zwischen den Fasersträngen oder den Formeinrichtungen verringert wird, bedarf keiner Entscheidung. Aus D4 ergibt sich jedenfalls nicht, dass der Abstand an dieser Stelle einen vorbestimmten, bis hin zur Schneideeinrichtung beibehaltenen Minimalwert erreicht, sich also im weiteren Verlauf bis zur Schneideeinrichtung nicht mehr weiter verringert.
67d) D9 betrifft eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Herstellung zusammengesetzter Filter.
68aa) Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 offenbart.
69Zwei aus Filtertow bestehende Bahnen (29, 30) werden durch eine Weichmachereinrichtung (26) geführt. Anschließend gelangen sie jeweils in eine Faltvorrichtung (31, 32), zur Erzeugung von Filtersträngen (12, 14, S. 17 Abs. 2). Mit Hilfe von Förderern (41, 42) werden die beiden Stränge einer Schneideinrichtung (15) zugeführt (S. 19 Abs. 2).
70bb) Damit ist, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, eine Verringerung des Abstands zwischen den beiden Strängen innerhalb einer formbildenden Einrichtung nicht offenbart.
71Ob die Weichmachereinrichtungen (26) ebenfalls als formbildende Einrichtungen im Sinne von Merkmal 1f anzusehen sind und ob die beiden Bahnen (29, 30) übereinander oder nebeneinander durch diese Einrichtung geführt werden, bedarf keiner Entscheidung. Unabhängig von der Beantwortung dieser Fragen offenbart D9 nicht, dass der Abstand zwischen den Bahnen innerhalb einer formbildenden Einrichtung reduziert wird. Denn eine Abstandsverringerung lässt sich allenfalls in dem freien Bereich vor den mit den Bezugsziffern 31 und 32 bezeichneten Einrichtungen erkennen.
72e) D8 betrifft eine Doppelstrang-Zigarettenherstellungsmaschine.
73aa) Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 dargestellt.
74Aus zwei Schauerkanälen (310, 312) wird Tabak jeweils an ein Saugband (316, 318) geführt. Die beiden Bänder laufen aufeinander zu. Je ein weiteres Saugband (320, 322) empfängt die Füllerströme von den Bändern (316, 318) und trägt sie in zwei herkömmliche (nicht gezeigte) Formateinrichtungen, in denen sie in Papierumhüllungen gehüllt werden, um zwei parallel verlaufende kontinuierliche Zigarettenstränge zu bilden (Sp. 2 Z. 55 bis Sp. 3 Z. 20). Vor der Übertragung auf die Bänder (320, 322) werden die Füllerströme von Trimmern (324) getrimmt (Sp. 3 Z. 21-25).
75bb) Eine Hälfte eines abgewandelten Ausführungsbeispiels ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 6 dargestellt.
76Diese Ausführungsform weist einen Verteilbereich (208) auf, in dem durch Unterdruck induzierte Luftströme bewirken, dass Tabak aus relativ hohen Bereichen in niedrigere Bereiche verteilt wird (Sp. 6 Z. 52-59).
77cc) Damit ist, wie das Patentgericht zu Recht ausgeführt hat, Merkmal 1f ebenfalls nicht offenbart.
78Dabei kann offenbleiben, ob die in D8 als Füllerströme bezeichneten Tabakansammlungen auf den Bändern (316, 318) in Figur 1 als Stränge im Sinne von Patentanspruch 1 anzusehen sind. D8 lässt jedenfalls nicht erkennen, dass der Tabak bereits auf den Bändern (316, 318) einem Formprozess unterzogen wird. Nach der Beschreibung findet die Formung erst auf den parallel verlaufenden Bändern (320, 322) statt.
79Entgegen der Auffassung der Berufung findet auf den aufeinander zulaufenden Bändern (316, 318) demgegenüber keine Formung im Sinne von Merkmal 1f statt. Dabei kann zugunsten der Berufung unterstellt werden, dass sich die Form der Füllerströme durch hinzukommendes Material oder durch das Trimmen verändert. Denn in dem bloßen Hinzufügen oder Wegnehmen von Material liegt - wie oben ausgeführt - keine Formbildung im Sinne des Streitpatents.
80Darüber hinaus zeigt D8 nicht den Verlauf der bearbeiteten Füllerströme bis hin zur Schneideeinrichtung und offenbart deshalb nicht, dass der nach Durchlaufen der aufeinander zulaufenden Bänder (316, 318) erreichte Abstand der bis hin zu der Schneideeinrichtung beibehaltene Minimalabstand ist.
81dd) Für das in Figur 6 dargestellte Ausführungsbeispiel ergibt sich keine abweichende Beurteilung.
82Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Verteilbereich (208) als formbildende Einrichtung im Sinne des Streitpatents angesehen werden kann. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, offenbart D8 jedenfalls auch nicht zu diesem Ausführungsbeispiel, dass der nach Durchlaufen der aufeinander zulaufenden Bänder (202) erreichte Abstand ein Minimalabstand ist, der im weiteren, in D8 nicht gezeigten Verlauf bis zur Schneideeinrichtung beibehalten wird.
833. Der verteidigte Gegenstand von Patentanspruch 1 ergibt sich auch nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.
84a) Eine Kombination von D4 mit D9 oder mit D7, die in den Figuren 1 und 2 eine gemeinsame Schneideeinrichtung offenbart, führt nicht zum Streitpatent.
85Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich aus keiner dieser Entgegenhaltungen die Anregung, den Abstand zwischen zwei Strängen innerhalb der formbildenden Einrichtung zu verringern. Die abweichende Argumentation der Berufung beruht auf einem abweichenden und unzutreffenden Verständnis des Begriffs "formbildende Einrichtung".
86b) Entgegen der Auffassung der Berufung war der verteidigte Gegenstand auch durch eine Kombination von D8 und D11 nicht nahegelegt.
87Wie das Patentgericht im Einzelnen zutreffend dargelegt hat, offenbart D11 eine Vorrichtung, bei der Tabakfasern bereits beim Aufschauern so weit wie möglich in die Form des fertigen Tabakstrangs gebracht werden.
88Wie das Patentgericht ebenfalls zutreffend aufgezeigt hat, verläuft das Band, auf dem diese Formung erfolgt, nicht schräg, sondern horizontal. Eine Anregung, stattdessen auch bei der in D11 gezeigten Konstruktion die Anordnung aus D8 zu wählen, ist weder aufgezeigt noch sonst ersichtlich. Eine Übertragung des in D11 offenbarten Bandes auf die Vorrichtung nach D8 lag schon deshalb nicht nahe, weil es dann der in D8 vorgesehenen nachfolgenden Formateinrichtungen, die parallel zueinander angeordnet sind, nicht mehr bedurft hätte.
894. Der Gegenstand der Patentansprüche 7 und 8 unterliegt vor diesem Hintergrund keiner abweichenden Beurteilung.
90IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:120923UXZR65.21.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-52412