BGH Urteil v. - VIa ZR 385/23

Instanzenzug: Az: 24 U 2125/22vorgehend Az: 20 O 1/22

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im Januar 2014 von der Beklagten einen von ihr hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug kommt eine sogenannte Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung, die sich mindernd auf die Stickoxidemissionen auswirkt, jedoch außerhalb eines bestimmten Außentemperaturbereichs reduziert wird (sogenanntes Thermofenster). Zudem verfügt das Fahrzeug über eine sogenannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), durch die eine verzögerte Aufwärmung des Motoröls zu niedrigeren Stickoxid-Emissionen führt.

3Der Kläger hat unter Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung auf Basis einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 300.000 km in erster Instanz zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 25.978,22 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen (Klageantrag zu 1), festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Verzug befinde (Klageantrag zu 2), und dem Kläger vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten zu erstatten (Klageantrag zu 3). Das Landgericht hat der Klage in der Hauptsache unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung auf der Basis einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km in Höhe von 23.768,88 € nebst Verzugszinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Hiergegen haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte Berufung eingelegt. Nach Veräußerung des Fahrzeugs am an einen Dritten zu einem Kaufpreis von 16.000 € hat der Kläger zuletzt beantragt, die Beklagte unter Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung auf der Basis von 300.000 km zur Zahlung von 9.935,42 € nebst Verzugszinsen bis zum auf 27.580,39 € und danach auf 9.935,42 € sowie auf Erstattung vorgerichtlich entstandener Anwaltskosten zu verurteilen. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

4Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision des Klägers, die entsprechend der beschränkten Zulassung durch das Berufungsgericht ausschließlich Ansprüche unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Schädigung des Klägers zum Gegenstand hat, hat teilweise Erfolg. Sie führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Im Übrigen ist sie mit der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Maßgabe zurückzuweisen.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB. Der Kläger habe die Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung - das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt - nicht schlüssig behauptet. Es fehle insoweit an berücksichtigungsfähigem, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestütztem Vortrag zu einem vorsätzlichen Verhalten von Repräsentanten der Beklagten. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 scheitere bereits daran, dass es sich bei diesen Normen nicht um Schutzgesetze handele.

II.

7Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand.

81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens der für sie handelnden Repräsentanten verneint hat. Das Berufungsgericht hat zu Recht erwogen, dass eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein der für die Beklagte handelnden Repräsentanten indiziert wäre, wenn eine im Fahrzeug des Klägers verbaute Einrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktivierte (vgl. , juris Rn. 15 und 25; Beschluss vom - VII ZR 720/21, juris Rn. 25; Beschluss vom - VII ZR 471/21, MDR 2022, 1340 Rn. 10). Es hat jedoch greifbare Anhaltspunkte für eine solche vom Kläger behauptete Funktionsweise nicht festzustellen vermocht. Hieran ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters oder der KSR aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden.

10Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Die Einwände der Revisionserwiderung gegen die dogmatische Herleitung eines solchen Anspruchs geben dem Senat weder Anlass, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abzugehen, noch - wie von der Revisionserwiderung gefordert - ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten (vgl. nur aaO, Rn. 27 ff.; anders LG Duisburg, Beschlüsse vom - 1 O 55/19, 1 O 73/20 und 1 O 223/20, jeweils juris). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Das Berufungsurteil hat gleichwohl mit der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Maßgabe insoweit Bestand, als der Kläger in der Berufungsinstanz zuletzt Zinsen aus einem höheren Betrag als 23.768,88 € und die Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten begehrt hat. Insoweit ist die Berufung nicht zulässig, weil die Begründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht genügt.

13Danach muss die Berufungsbegründung, soweit sich der Berufungsführer (wie hier mit Ausnahme seines Begehrens auf Wegfall des Zug-um-Zug-Vorbehalts, das der Kläger auch im Wege der Anschlussberufung hätte einführen können) gegen seine Beschwer aus der erstinstanzlichen Entscheidung wendet, die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Zur Darlegung der Rechtsverletzung gehört die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche Gründe er ihnen entgegensetzt (st. Rspr.; vgl. , NJW-RR 2022, 1578 Rn. 5). Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand muss sich die Rechtsmittelbegründung grundsätzlich auf alle Teile der angefochtenen Entscheidung erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig (z.B. , NJW 2015, 3040 Rn. 11 mwN; Beschluss vom - XII ZB 414/17, FamRZ 2018, 283 Rn. 9). Eine einheitliche Begründung genügt nur, wenn sich der Angriff gegen einen Rechtsgrund richtet, der in dem angegriffenen Urteil hinsichtlich aller Ansprüche als durchgreifend angesehen worden ist (vgl. , BGHZ 228, 115 Rn. 11 f. mwN).

14Diesen Anforderungen wird die Berufung, soweit der Kläger durch die Begrenzung des Zinsanspruches aus einem Betrag in Höhe von 23.768,88 € und die Klageabweisung hinsichtlich vorgerichtlicher Anwaltskosten beschwert ist, nicht gerecht. Die ausschließliche Bezugnahme auf das Vorbringen erster Instanz und die dort eingereichten Schriftsätze reicht nicht aus (vgl. , NJW-RR 2015, 511 Rn. 7; Beschluss vom - IX ZB 62/18, NJW 2020, 2119 Rn. 11; Beschluss vom - VI ZB 92/19, VersR 2021, 860 Rn. 8).

IV.

15Im Übrigen ist das Berufungsurteil gemäß § 562 Abs. 1 ZPO in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Insbesondere ist das Zahlungsbegehren entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung nicht insgesamt unbegründet, weil der Senat mit dem Landgericht von einer geschätzten Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km auszugehen hätte.

16Das Landgericht hat die Beklagte zwar zur Zahlung von 23.768,88 € verurteilt und dabei eine Nutzungsentschädigung auf Basis einer geschätzten Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km in Abzug gebracht. Damit steht nicht rechtskräftig fest, dass der Kläger sich eine entsprechend berechnete Nutzungsentschädigung anrechnen lassen muss. Vielmehr handelt es sich insoweit um einen unselbständigen Rechnungsposten innerhalb eines einheitlichen vom Kläger geltend gemachten Schadens (vgl. , juris Rn. 9). Der tatrichterlichen Entscheidung des Berufungsgerichts, in welcher Höhe Nutzungsvorteile anzurechnen sind, kann der Senat nicht vorgreifen.

17Der Senat verweist die Sache daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, das dem Kläger Gelegenheit zu geben haben wird, zur Berechnung seines Schadens auf der Grundlage des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) näher vorzutragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:110923UVIAZR385.23.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-52082