BGH Beschluss v. - VI ZR 116/22

Rechtliches Gehör im Streit um veröffentlichte Tagebucheinträge

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: VI ZR 116/22 Urteilvorgehend Hanseatisches Az: 7 U 25/21 Urteilvorgehend Az: 324 O 502/20 Urteil

Gründe

1Die zulässige Anhörungsrüge hat in der Sache keinen Erfolg. Das Urteil des Senats vom verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht.

21. Die Gerichte sind nach Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hingegen ist es nicht erforderlich, alle Einzelpunkte des Parteivortrags auch ausdrücklich zu bescheiden (BVerfGE 96, 205, 216 f.; , NJW 2005, 1432 f.). Der Senat hat das Vorbringen des Klägers - und insoweit auch die in der Revisionserwiderung zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - in vollem Umfang zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidungsfindung - wenn auch nicht in der vom Kläger gewünschten Weise - berücksichtigt.

3Dies gilt auch für die Beurteilung des Senats, im Rahmen der Abwägung sei "überdies" zu berücksichtigen, dass der Kläger seine Vertraulichkeitssphäre durch die Veröffentlichung seines handschriftlichen Tagebucheintrags vom in der BILD-Zeitung von sich aus nach außen geöffnet habe (Rn. 46). Soweit der Kläger rügt, der Senat habe nicht berücksichtigt, dass es sich dabei um einen einmaligen Vorgang in Bezug auf eine Textstelle gehandelt habe, die ein anderes Datum und einen anderen Tagebucheintrag betreffe und hinsichtlich derer das Landgericht die Klage abgewiesen habe, übersieht er, dass sich diese Erwägungen des Senats allein auf einen Teilaspekt der Vertraulichkeitssphäre beziehen. Sie betreffen lediglich den Schutz davor, dass über den Inhalt persönlicher Aufzeichnungen hinaus auch die persönliche Ausdrucksweise des Verfassers nach außen dringt (vgl. Rn. 46, 35).

42. Der Kläger wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Senats, es sei keine Fallgestaltung gegeben, in der bereits im Hinblick auf die Art der Erlangung der Information von der grundsätzlichen Unzulässigkeit ihrer publizistischen Verwertung auszugehen wäre (Rn. 45).

5a) Die Rüge des Klägers, er habe nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens keinen Anlass dazu gehabt, die Frage zu thematisieren, auf welche Weise die Beklagte sich die Informationen verschafft habe, weshalb ihm Gelegenheit hätte gegeben werden müssen, in der vom Senat durch Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht wieder zu eröffnenden Berufungsinstanz Sachvortrag zu der Art und Weise der Verschaffung der Tagebücher durch die Beklagte zu halten, ist bereits nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Es fehlt an der Darlegung, dass das Senatsurteil vom auf dem angeblichen Gehörsverstoß beruht. Der Kläger führt nicht aus, was er im Falle der Gelegenheit zur Äußerung auf einen richterlichen Hinweis vorgetragen hätte (vgl. , NJW-RR 2003, 1003, juris Rn. 2; Urteil vom - III ZR 253/07, NJW 2009, 148 Rn. 10).

6b) Abgesehen davon ist die Rüge auch unbegründet. Der Kläger hatte nicht nur Anlass, die Frage zu thematisieren, auf welche Art und Weise die für die Beklagten tätigen Journalisten Kenntnis vom Inhalt der Tagebücher erlangt haben. Er hat auch entsprechenden Tatsachenvortrag gehalten.

7Ausweislich der Klageschrift (GA 9) und der tatbestandlichen Darstellung im landgerichtlichen Urteil hat der Kläger sein Klagebegehren nicht nur auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 353d Nr. 3 StGB, sondern auch auf eine Verletzung seines (allgemeinen) Persönlichkeitsrechts gestützt. In der Klageschrift (GA 12) hat er darauf hingewiesen, dass die Staatsanwaltschaft K. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des "Geheimnisverrats" wegen der Weitergabe der Tagebücher und von Bestandteilen der Ermittlungsakte an Journalisten eingeleitet habe, und ergänzend "als Gegenstand unseres Vortrags" auf seinen Beschwerdeschriftsatz vom (BA 30, 37) in dem dem vorliegenden Hauptsacheverfahren vorgeschalteten Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (324 O 393/20) Bezug genommen.

8In diesem Verfahren hatte das Landgericht H. mit Beschluss vom einen Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB, § 353d Nr. 3 StGB verneint, da der objektive Tatbestand der Strafvorschrift nicht erfüllt sei. Gestützt auf § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB hatte es dem Unterlassungsantrag des Klägers hinsichtlich der Ziffern 1, 2, 7, 16 und 17 entsprochen. Im Übrigen hatte es den Antrag zurückgewiesen, da die durch Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK geschützten Belange der Beklagten das Interesse des Klägers am Schutz seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK überwögen. Bei der Abwägung sei zwar auch die Art und Weise der Erlangung der Tagebuchaufzeichnungen zu berücksichtigen. Es sei anzunehmen, dass der Antragsgegnerin die rechtswidrige Informationsbeschaffung nicht verborgen geblieben sein könne. Prozessual sei aber davon auszugehen, dass sie sich an dem Rechtsbruch nicht beteiligt habe. Es begründe einen nicht unerheblichen Unterschied im Unrechtsgehalt, ob der Publizierende sich die Information widerrechtlich in der Absicht verschaffe, sie gegen den Betroffenen zu verwerten, oder ob er, wie im Streitfall, aus dem erkannten Rechtsbruch lediglich Nutzen ziehe.

9Gegen diese Beurteilung hatte sich der Kläger mit der zum Gegenstand des Hauptsacheverfahrens gemachten sofortigen Beschwerde vom gewandt. Unter Bezugnahme auf einen Podcast von DIE ZEIT, dessen Transkript er als Anlage vorlegte, hatte er geltend gemacht, die Beklagte habe sich an der rechtswidrigen Informationsbeschaffung beteiligt. Er hatte behauptet, dass Redakteure von DIE ZEIT, NDR/Panorama und der Beklagten sich 15.000 - 20.000 Seiten Ermittlungsakten verschafft hätten und es viel Arbeit gewesen sei, an die Tagebücher "ranzukommen". Im Nichtabhilfebeschluss vom hatte das Landgericht unter anderem darauf hingewiesen, dem vorgelegten Podcast sei keine rechtswidrige Handlung der Beklagten zu entnehmen.

10Zwar hatte sich das Beschwerdegericht sodann auf den Standpunkt gestellt, der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergäbe sich aus § 823 Abs. 2 BGB, § 353d Nr. 3 StGB, weshalb es auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht ankäme. Diesen rechtlichen Standpunkt hat die Beklagte aber im Hauptsacheverfahren sowohl in der Klageerwiderung als auch in der Berufungs- und der Revisionsbegründung jeweils mit umfassender Argumentation in Frage gestellt. Sie hat ihre Rechtsverteidigung von Anfang an maßgeblich darauf gestützt, dass eine Abwägung der widerstreitenden Interessen eindeutig zu Gunsten der Meinungsfreiheit ausfalle und der Schutz über § 823 Abs. 2 BGB, § 353d Nr. 3 StGB nicht weitergehen könne als der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Die Beklagte könne nicht losgelöst von einer Interessenabwägung im konkreten Einzelfall zur Unterlassung der Berichterstattung verurteilt werden.

11Bei dieser Sachlage musste der Kläger während des gesamten Verfahrens, auch in der Revisionsinstanz, damit rechnen, dass es auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen - und in diesem Zusammenhang auch auf die Art der Informationsbeschaffung - ankommen könnte.

12Auch wenn er seinen diesbezüglichen Vortrag in der Beschwerdeschrift vom , auf den er in der Klageschrift Bezug genommen hatte, im Anschluss an die Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Revisionsverhandlung mittels Gegenrüge zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemacht hätte, hätte dies allerdings nicht zu einer anderen Beurteilung der Sache geführt. Wie das Landgericht im oben erwähnten Nichtabhilfebeschluss zutreffend ausgeführt hat, ist dem vom Kläger als einziges Beweismittel für seine Behauptung vorgelegten Transkript des Podcast keine rechtswidrige Verschaffungshandlung seitens der Beklagten oder der für sie tätigen Journalisten zu entnehmen. Aus dem Transkript ergibt sich, dass ein Journalistenteam von DIE ZEIT und dem NDR eine gemeinsame Recherche durchgeführt, 15.000 - 20.000 Seiten Akten ausgewertet hat und dabei auch an die Tagebücher "rangekommen" ist. Von einer Beteiligung der Beklagten ist dort nicht die Rede.

133. Da das Urteil des Senats vom den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt, liegt auch kein - vom Kläger aus der behaupteten Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG abgeleiteter - Verstoß gegen das Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) vor.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:190923BVIZR116.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 58 Nr. 1
LAAAJ-51936