Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Gefährlichkeitsprognose im Sachverständigengutachten auf der Grundlage des Prognoseinstruments "OGRS"
Gesetze: § 261 StPO, § 267 StPO, § 349 Abs 4 StPO, § 64 S 1 StGB
Instanzenzug: LG Stralsund Az: 21 Ks 1/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und den Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe bestimmt. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2Während die Prüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, begegnet der Maßregelausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
31. Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte seine Ehefrau aus einem von ihm beanspruchten unbeschränkten Herrschaftsrecht über sie und einer damit einhergehenden maßlosen, jedoch – wie er wusste – in tatsächlicher Hinsicht unbegründeten Eifersucht. Zur Tatzeit war seine Steuerungsfähigkeit aufgrund einer drogen- und alkoholbedingten Mischintoxikation nicht ausschließbar im Sinne von § 21 StGB erheblich eingeschränkt. Die sachverständig beratene Strafkammer hat die Voraussetzungen des § 64 StGB als erfüllt angesehen. Zur hangbedingten Gefährlichkeit hat sie ausgeführt, dass es aufgrund der Substanzkonsumstörung zu Störungen der partnerschaftlichen Beziehung und zu sozialem Fehlverhalten gekommen sei. Es gebe kaum stützende soziale Faktoren, aber eine Reihe von Konfliktbereichen und Stressoren. Der Angeklagte verfüge noch über keine gefestigten alternativen Verhaltensstrategien. Statistisch gesehen bestehe bei ihm ein mittleres bis hohes Rückfallrisiko.
42. a) Die Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 64 Satz 1 StGB setzt die aufgrund einer umfassenden Gesamtabwägung zu beurteilende, „begründete“ beziehungsweise „naheliegende“ Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher hangbedingter Straftaten voraus (vgl. mwN). Wenn sich das Tatgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf das Gutachten eines Sachverständigen stützt, hat es im Urteil dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; vgl. mwN). Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
5b) Die bestehenden „Konfliktbereiche“ und „Stressoren“ werden nicht anhand von Anknüpfungstatsachen dargestellt. Zudem lässt sich den Schilderungen der Zeugen nicht ausreichend entnehmen, dass gerade die Substanzkonsumstörung im Vorfeld der Tat zu „Störungen in der partnerschaftlichen Beziehung“ und zu „sozialem Fehlverhalten“ geführt hat, zumal eine Zeugin von einer „Besserung der Problematik“ in den letzten eineinhalb Jahren berichtet hat.
6Das statistische Rückfallrisiko ist ebenfalls nur unzureichend belegt (vgl. dazu ). Denn zur Auswertung des Prognoseinstruments „OGRS“ durch den Sachverständigen werden die der errechneten Rückfallwahrscheinlichkeit zugrundeliegenden Tatsachen nicht mitgeteilt. Auch die Herkunft und Bedeutung von Angaben aufgrund der „größten deutschen Untersuchung“ zur Rückfallwahrscheinlichkeit sind unklar und ermöglichen keine revisionsgerichtliche Nachprüfung. Bei der hier anlassgebenden Beziehungstat versteht sich die hangbedingte Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher Straftaten schließlich auch nicht von selbst.
7c) Die Aufhebung der Maßregelanordnung entzieht der Entscheidung nach § 67 Abs. 2 StGB die Grundlage.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:190923B6STR388.23.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-51919