BGH Beschluss v. - XIII ZB 66/21

Instanzenzug: LG Paderborn Az: 5 T 257/21vorgehend AG Paderborn Az: 11 XIV (B) 220/21

Gründe

1I. Der Betroffene, ein ägyptischer Staatsangehöriger, reiste im Oktober 2013 nach Deutschland ein. Seine Asylanträge lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ab und drohte ihm die Abschiebung nach Ägypten an. Die dagegen geführten Klageverfahren blieben ohne Erfolg. Am ordnete das Amtsgericht gegen den Betroffenen Ausreisegewahrsam bis zum an. Eine für diesen Tag geplante Rückführung des Betroffenen mit einem unbegleiteten Linienflug scheiterte an dessen Weigerung, das Flugzeug zu betreten. Nach Anordnung von Abschiebungshaft gegen den Betroffenen durch das Amtsgericht zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum , sodann in der Hauptsache bis zum , wurde am ein weiterer Rückführungsversuch durch einen Linienflug mit Sicherheitsbegleitung durch drei Bundespolizeibeamte unternommen, der ebenfalls am Widerstand des Betroffenen scheiterte. Am selben Tag ordnete das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis zum an. Nachdem eine Rückführung des Betroffenen durch einen Linienflug mit vier begleitenden Beamten für den organisiert und die Ausstellung eines neuen Passersatzpapiers für den Betroffenen zum Flugtermin zugesichert worden war, beantragte die beteiligte Behörde am die weitere Verlängerung der Haft bis zum . Diesen Antrag wies das zurück.

2Mit Antrag vom hat die beteiligte Behörde erneut beantragt, die gegen den Betroffenen angeordnete Sicherungshaft bis zum , hilfsweise bis zum , zu verlängern. Diesen Antrag hat das zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der beteiligten Behörde ordnete das Beschwerdegericht zunächst mit Beschluss vom im Wege der einstweiligen Anordnung Sicherungshaft bis zum an. Nach Anhörung des Betroffenen im Beisein seiner Person des Vertrauens (Vertrauensperson) hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom den aufgehoben und gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum angeordnet. Der Betroffene wurde am nach Ägypten abgeschoben.

3Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Vertrauensperson die Feststellung, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen in Vollzug des Beschlusses des Beschwerdegerichts vom in Aufrechterhaltung des Beschlusses vom den Betroffenen für den Zeitraum vom bis zum in seinen Rechten verletzt habe.

4II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

51. Das Beschwerdegericht hat den Haftantrag der beteiligten Behörde vom für zulässig und begründet erachtet. Die Ausführungen der beteiligten Behörde zur Organisation der Abschiebung des Betroffenen und dem dafür voraussichtlich erforderlichen Zeitrahmen seien plausibel und nachvollziehbar gewesen. Der Betroffene habe sowohl die geplante Abschiebung am 14. Oktober als auch diejenige am vereitelt, sodass der Haftgrund der Fluchtgefahr vorgelegen habe. Ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz sei nicht festzustellen; insbesondere habe seitens der beteiligten Behörde keine Veranlassung bestanden, schon früher auf eine Einzelchartermaßnahme hinzuwirken.

62. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.

7a) Soweit die Vertrauensperson die Feststellung begehrt, dass der Betroffene durch den Vollzug der Haft im Zeitraum vom 8. bis in seinen Rechten verletzt worden ist, ist die Rechtsbeschwerde bereits deshalb unbegründet, weil die Haft in dem genannten Zeitraum nicht auf Grundlage des Beschlusses vom vollzogen worden ist. Grundlage für den Haftvollzug war insoweit - entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Einschätzung - allein der Beschluss des Beschwerdegerichts vom . Dies folgt schon daraus, dass die Anordnung von Haft allein für die Zukunft erfolgen kann. Dementsprechend enthält der Tenor des Beschlusses vom auch weder eine rückwirkende Haftanordnung noch eine Bestätigung der Haftanordnung vom . Eine Auslegung des von der Rechtsbeschwerde gestellten Antrags dahingehend, dass (auch) der Beschluss vom angefochten werden soll, kommt nicht in Betracht, da dieser eine Haftanordnung im Wege der einstweiligen Anordnung enthält und die Rechtsbeschwerde daher gemäß § 70 Abs. 4 FamFG unstatthaft wäre. Insoweit kommt es allein darauf an, welche Verfahrensweise das Gericht gewählt hat (vgl. , InfAuslR 2016, 55 Rn. 10).

8b) Auch soweit die Feststellung begehrt wird, dass der Vollzug der Haft vom 16. bis den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, ist die Rechtsbeschwerde unbegründet.

9aa) Entgegen der Rüge der Rechtsbeschwerde war der Haftverlängerungsantrag der beteiligten Behörde vom , welcher der Haftanordnung im angefochtenen Beschluss zugrunde liegt, nicht wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig. Zwar war im Zeitpunkt des Eingangs dieses Antrags beim Amtsgericht das Verfahren über deren durch Beschluss vom zurückgewiesenen Haftverlängerungsantrag vom noch rechtshängig, da die Rechtshängigkeit eines Verfahrens bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung besteht (allg. M., vgl. nur , NJW 1995, 1095 [juris Rn. 8] mwN) und gemäß § 45 Satz 1 FamFG die formelle Rechtskraft nicht vor Ablauf der Rechtsmittelfrist eintritt. Auch waren beide Anträge auf eine Verlängerung der Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen bis zum gerichtet und hatten daher zumindest teilweise denselben Streitgegenstand. Die beteiligte Behörde hat jedoch durch die Einreichung eines erneuten Haftantrags beim selben Gericht und zum selben Aktenzeichen, den sie auf einen teilweise ergänzten Sachverhalt gestützt und um einen Hilfsantrag ergänzt hat, statt gegen den Beschluss vom Beschwerde einzulegen, zum Ausdruck gebracht, dass sie an ihrem Antrag vom nicht länger festhalten, also diesen früheren Antrag zurücknehmen will, was jedenfalls während der noch laufenden Beschwerdefrist möglich war.

10bb) Das Beschwerdegericht ist, nachdem der Betroffene sich - wie der Ausländerakte zu entnehmen ist - zwei Abschiebungsversuchen widersetzt hatte, auch zutreffend vom Haftgrund der Fluchtgefahr ausgegangen. Der Betroffene hat die in § 62 Abs. 3a Nr. 5 AufenthG geregelte gesetzliche Vermutung für Fluchtgefahr nicht widerlegt. Ob die Fluchtgefahr im Streitfall auch aus einem Verstoß des Betroffenen gegen Mitwirkungspflichten folgte, wie das Beschwerdegericht angenommen hat, kann daher dahinstehen.

11cc) Ohne Rechtsfehler hat das Beschwerdegericht schließlich einen Verstoß gegen das Beschleunigungsverbot verneint. Es ist nicht zu beanstanden, dass es angenommen hat, die für den geplante Rückführungsmaßnahme per Linienflug mit nunmehr vier Begleitpersonen werde gelingen. Aus diesem Grund hatte das Beschwerdegericht auch keinen Anlass aufzuklären, ob zu einem früheren Zeitpunkt eine Abschiebung mit einer Einzelchartermaßnahme möglich gewesen wäre.

123. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:101023BXIIIZB66.21.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-51850