BGH Urteil v. - VIa ZR 598/22

Instanzenzug: Az: 1 S 63/21vorgehend Az: 129 C 58/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt als Miterbe seines verstorbenen Vaters die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der am verstorbene Vater des Klägers erwarb am von einem Vertragshändler der Beklagten für 34.480 € einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten A6 3.0 TDI, der mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 897 Gen1 ausgerüstet ist. Das Fahrzeug verfügt über einen SCR-Katalysator. Die Menge des vorhandenen Harnstoffs ist für eine Reichweite von 15.000 km ausgelegt. Die Beimischung erfolgt bei Erreichen einer Restreichweite von 2.400 km unter gewissen Bedingungen in reduziertem Maß. Die EG-Typgenehmigung wurde nach Maßgabe der Abgasnorm Euro 6 erteilt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hatte schon vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch den Vater des Klägers für das Fahrzeug mit Bescheid vom nachträgliche Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung gemäß § 25 Abs. 2 EG-FGV angeordnet und von der Beklagten verlangt, die als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandete Dosierstrategie/Restreichweitenregelung zu entfernen. Darüber informierte das KBA die Öffentlichkeit durch Pressemitteilung vom .

3Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Beklagte im Vorfeld ab dem , also vor Abschluss des Kaufvertrags, ihre Vertragshändler und Servicepartner anwies, Fahrzeuge des vom Kläger erworbenen Typs nur nach entsprechendem Hinweis auf die Beanstandungen des KBA und die erforderliche Software-Aktualisierung zu verkaufen. Die Beklagte behauptet, sie habe zu diesem Zweck ein Musterschreiben zur Verfügung gestellt, dass die Vertriebspartner vor dem Abschluss von Kaufverträgen hätten aushändigen sollen. Auch dem Vater des Klägers sei dieses Musterschreiben vor Abschluss des Kaufvertrags ausgehändigt worden. Der schriftliche Kaufvertrag enthielt keinen Hinweis darauf, dass das Fahrzeug von einem verpflichtenden Rückruf betroffen sei und ein Software-Update aufgespielt werden müsse. Das KBA forderte die Beklagte auf, ein Software-Update zu entwickeln; dieser Aufforderung kam die Beklagte nach. Das Software-Update wurde am aufgespielt.

4Der von den Miterben zur Einziehung ermächtigte Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung eines (von der Beklagten bestrittenen) Minderwerts in Höhe von 3.500 € (etwas mehr als 10 % des gezahlten Kaufpreises) zuzüglich Verzugszinsen. Beide Vorinstanzen haben den Antrag des Klägers so verstanden, er gehe aus eigenem Recht der Erbengemeinschaft gegen die Beklagte vor. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen zuletzt vor dem Berufungsgericht gestellten Antrag weiter.

Gründe

5Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

7Dem Kläger stehe kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Es fehle an einem sittenwidrigen Handeln. Unabhängig davon, ob in dem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden sei, scheitere der Anspruch daran, dass es im konkreten Fall zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schadenseintritts - hier bei Abschluss des Kaufvertrags über das Fahrzeug am - wegen der Verhaltensänderung an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten fehle.

8Es bestehe auch kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, denn das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht in deren Aufgabenbereich.

II.

9Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

101. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass nach den bisherigen Feststellungen eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB ausscheidet. Soweit die Revision Verfahrensrügen erhebt, hat der Senat die Rügen geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird insoweit nach § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

112. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht auch eine Haftung der Beklagten aus § 831 BGB verneint. Der Verkäufer ist zwar nach den Feststellungen des Berufungsgerichts unstreitig Vertragshändler der Beklagten. Weder seine Organe noch seine angestellten Mitarbeiter sind indessen - anders als von der Revision behauptet - Verrichtungsgehilfen der Beklagten.

12Verrichtungsgehilfe im Sinne von § 831 BGB ist, wer von den Weisungen seines Geschäftsherrn abhängig ist (vgl. , NJW 2013, 1002 Rn. 15). Der Personenkreis, der nach diesen Grundsätzen "zu einer Verrichtung bestellt" ist, unterscheidet sich von dem Kreis der Erfüllungsgehilfen im Sinne von § 278 BGB durch den Mangel an Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Während selbständige Unternehmen ohne weiteres Erfüllungsgehilfen sein können, setzt die Qualifikation als Verrichtungsgehilfe Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit voraus. Daran fehlt es in der Regel bei selbständigen Unternehmen, unabhängig davon, ob sie mit dem Unternehmen, für das sie eine bestimmte Aufgabe wahrnehmen, in einem Konzernverhältnis stehen. Die Übertragung von Aufgaben auf ein bestimmtes Unternehmen innerhalb eines Konzerns dient regelmäßig gerade dem Zweck, durch die selbständige - nicht weisungsgebundene - Erledigung der Aufgabe andere Teile des Konzerns zu entlasten ( aaO, Rn. 16).

13Der Verkäufer des Fahrzeugs ist als Vertragshändler der Beklagten ein rechtlich selbständiges Unternehmen. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass es von der Beklagten abhängig und weisungsgebunden war. Die Revision stützt sich allein auf den Vortrag der Beklagten, sie habe den Verkaufsstopp angewiesen und den Vertragshändlern mitgeteilt, dass die Fahrzeuge nur nach entsprechendem Hinweis über die Beanstandungen und die erforderliche Aktualisierung der Software "verkauft werden dürften". Dieser Vortrag impliziert jedoch - anders als die Revision meint - weder eine Abhängigkeit noch eine Weisungsgebundenheit im Sinne des § 831 BGB (vgl. auch , NJW 2009, 1740 Rn. 11).

143. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der - vorliegend allein im Streit stehenden - Dosierstrategie/Restreichweitenregelung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

15Das Berufungsgericht hat unberücksichtigt gelassen, dass der Erbengemeinschaft nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 28 bis 32; ebenso , ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.), der nicht an Erwerb und Fortbestehen des Eigentums an dem Fahrzeug, sondern an der Vertrauensinvestition des Vaters des Klägers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfte und zu dessen Einziehung der Kläger wirksam ermächtigt sein konnte (, NJW 2013, 166 Rn. 9 ff.; Beschluss vom - VI ZB 47/03, NJW-RR 2005, 955). Demzufolge hat das Berufungsgericht keine Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

16Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Insbesondere hinderte das Bestehen eines verbrieften Rückgaberechts entgegen den Einwänden der Beklagten in den Vorinstanzen das Vorhandensein eines Schadens nicht ( VIa ZR 325/21, WM 2023, 15 ff. mwN).

17Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

18Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben der (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259; VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:091023UVIAZR598.22.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-51847