Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs - Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung trotz Abwesenheit eines Beteiligten
Gesetze: § 62 SGG, § 110 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: Az: S 26 KR 3660/18 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 16 KR 710/19 Urteil
Gründe
1I. Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin begehrt erneut die Ausstattung mit einem sog Power-Plate-Vibrationsgerät (vorhergehender erfolgloser Rechtsstreit ua: - und BH). Ihren Antrag vom stützt die Klägerin nun auf ein nervenärztliches Attest vom , wonach sie das begehrte Gerät gegen den eingetretenen Muskelabbau aufgrund ihrer vielfachen chemischen Überempfindlichkeiten, toxischen Schädigungen, chronischem Müdigkeitssyndrom und Fibromyalgien benötige. Widerspruch, Klage (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom ) und Berufung () sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG, welches zur mündlichen Verhandlung ohne Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin geladen hatte, hat im Urteil ausgeführt, die Klägerin habe, abgesehen davon, dass keine vertragsärztliche Verordnung vorliege, keinen Anspruch auf die Versorgung mit dem Power-Plate-Vibrationsgerät. Es handele sich hierbei um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil es nicht vorwiegend für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt worden sei. Der Hinweis auf einen Anspruch aus § 2 Abs 1a SGB V gehe fehl, weil bei der Klägerin keine Erkrankung ersichtlich sei, deren Behandlung sie mithilfe des begehrten Geräts sicherstellen wolle. Zuvor hatte das LSG einen im Berufungsverfahren nach Ladung erneut gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt. PKH komme auch nicht deshalb in Betracht, weil die Klägerin kurzfristig geltend gemacht habe, ihr sei die Terminwahrnehmung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Dies habe sie nämlich nicht durch aussagekräftige Unterlagen belegt.
2Zur Durchführung des Verfahrens über die beabsichtigte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im hat die Klägerin die Bewilligung von PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. beantragt. Sie rügt im Wesentlichen, sowohl der (Vorsitzende) Richter S. beim LSG als auch die Richterin am SG Dr. J. habe sie wegen Rechtsbeugung anlässlich eines anderen Verfahrens im Jahre 2008 angezeigt, deswegen müsse sie davon ausgehen, dass deren Entscheidungen aufzuheben seien. Ihr Recht auf ein faires Verfahren und Chancengleichheit sei über dies verletzt, weil ihr Anspruch auf PKH wiederholt abgelehnt worden sei. Sie habe gesundheitsbedingt nicht zur mündlichen Verhandlung anreisen können, aus diesem Grund habe ihr ein Anwalt beigeordnet werden müssen. Aufgrund eines Systemversagens könne sie hinreichende Erfolgsaussichten aus § 2 Abs 1a SGB V herleiten.
3II. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es vorliegend.
4In dem Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision geht es nicht darum, ob die Entscheidung des LSG richtig oder falsch ist. Für die Zulassung der Revision muss vielmehr einer der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Gründe vorliegen. Nach der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsmittels liegt aber keiner der Zulassungsgründe des § 160 Abs 2 SGG vor, sodass auch ein zugelassener Bevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) voraussichtlich keinen Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 SGG mit Erfolg rügen könnte.
5Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder2. die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder3. ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.
6Bestimmte Verfahrensrügen sind jedoch nur eingeschränkt oder gar nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu begründen (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).
7Es ist nicht erkennbar, dass eine Zulassung der Revision auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bislang nicht hinreichend geklärte Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt. Dass im Rechtsstreit der Klägerin eine solche Rechtsfrage von Bedeutung sein könnte, ist nicht ersichtlich. Die Klägerin beruft sich vielmehr auf ihren Gesundheitszustand und ihre krankheitsbedingten Beschwerden und damit lediglich auf Umstände, die ihren Einzelfall betreffen. Rechtsfragen zur Abgrenzung von Hilfsmitteln zu den von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommenen allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens sind hingegen durch die Rechtsprechung des Senats bereits hinreichend geklärt (vgl nur BSGE 84, 266 = SozR 3-2500 § 33 Nr 33 sowie BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 184 = juris RdNr 14; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 32 S 189 f = juris RdNr 13; BSGE 116, 120 = SozR 4-2500 § 33 Nr 42, RdNr 14 mwN). Eine abstrakt generelle Frage von grundsätzlicher Bedeutung, die auch für die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit relevant sein könnte, ist auch unter dem von der Klägerin aufgeworfenen § 2 Abs 1a SGB V nicht erkennbar.
8Auch der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) könnte nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, denn das LSG ist in der angefochtenen Entscheidung nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen.
9Ebenso wenig lässt sich aller Voraussicht nach ein Verfahrensfehler rügen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Dass die Klägerin geltend macht, die Entscheidungen durch bestimmte Richter seien wegen einer vorangegangenen Strafanzeige in einem anderen Verfahren aufzuheben und soweit sie damit sinngemäß die Richter wegen Befangenheit ablehnt (§ 42 Abs 2 ZPO iVm § 60 Abs 1 SGG), kann ein solches Ablehnungsgesuch keinen Verfahrensfehler nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG durch einen Verstoß gegen das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) begründen. Es ist bereits fraglich, ob nach Beendigung des Berufungsverfahrens ein Ablehnungsgesuch überhaupt noch gestellt werden kann. Das BSG hat dies selbst für den Fall verneint, dass der Betroffene den Ablehnungsgrund erst nach Erlass der Entscheidung erfahren hat (vgl - juris mwN). Unbeschadet dessen kann die Tatsache, dass ein Kläger eine Strafanzeige gegen einen Richter stellt, für sich allein keine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, diese müsste sich vielmehr aus konkreten Verhaltensweisen des Richters herleiten lassen ( - juris RdNr 17). Derartige Umstände, die insoweit eine Befangenheit begründen könnten, hat die Klägerin allerdings nicht dargetan und sind auch sonst nicht ersichtlich.
10Auch der weitere Vortrag der Klägerin, mit dem sie sinngemäß einen Verstoß gegen den Grundsatz der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 SGG) oder des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) und den aus Art 2 Abs 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Gebot eines fairen Verfahrens rügt, ist nicht geeignet einen Verfahrensmangel zu begründen. Die genannten Gesichtspunkte gebieten, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in der Verhandlung darzulegen. Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 Satz 1 SGG), der Beteiligte ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird. Eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung trotz Abwesenheit eines Beteiligten ist ohne Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs möglich, wenn dieser in der Ladung darauf hingewiesen worden ist (vgl § 126 SGG), dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann ( - juris RdNr 7 mwN). So liegt es hier.
11Die Klägerin behauptet nicht, dass die Ladung zur mündlichen Verhandlung die vorgenannten Hinweise nicht enthalten habe. Einen Antrag auf Terminverlegung hat die Klägerin nicht gestellt. Solange aber ein Termin zur mündlichen Verhandlung vom Gericht nicht aufgehoben worden ist, dürfen und müssen die Beteiligten davon ausgehen, dass der Termin auch stattfindet (vgl - juris RdNr 8). Etwas anderes gilt nur, wenn erhebliche Gründe für eine Terminverlegung vorliegen und diese beantragt wird. Die Klägerin legt aber nicht dar, weshalb ihre persönliche Anwesenheit im Termin zur mündlichen Verhandlung unerlässlich gewesen sein könnte (vgl dazu allgemein ), noch zeigt sie einen erheblichen Vertagungsgrund auf. Zum anderen sind auch gesundheitliche Gründe, die ausnahmsweise eine Beiordnung eines Bevollmächtigten für die Wahrnehmung des Termins nahelegten, aus den eingereichten medizinischen Unterlagen und dem sonstigen Akteninhalt nicht ersichtlich.
12Da aus den genannten Gründen kein Anspruch auf Bewilligung von PKH besteht, ist auch der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Beschwerdeverfahren abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2020:040320BB3KR519BH0
Fundstelle(n):
LAAAJ-51693