BSG Beschluss v. - B 13 R 7/19 BH

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Personen, bei denen als zwischengeschlechtliches Kleinkind geschlechtsangleichende Operationen sowie medikamentöse Behandlungen vorgenommen wurden - keine Bemessung des Zahlbetrags der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach den Durchschnittswerten aller Versicherten eines Jahrgangs

Gesetze: SGB 6, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a SGG, Art 14 FoltKonv, Art 31 Abs 1 VtrRKonv, Art 53 VtrRKonv, OEG

Instanzenzug: Az: S 33 R 1064/13 Urteilvorgehend Landessozialgericht Hamburg Az: L 3 R 41/17 Beschluss

Gründe

1Die klagende Person, die auch den Vornamen "A." verwendet, hat zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im mit einem von ihr selbst unterzeichneten, am beim BSG eingegangenen Schreiben vom sowie ergänzendem Schreiben vom die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Vor dem LSG hatte die 1972 geborene klagende Person sinngemäß beantragt, den beklagten Rentenversicherungsträger zu verurteilen, den monatlichen Zahlbetrag der ihr für die Zeit vom bis befristet zuerkannten Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe der durchschnittlichen Rente eines 1972 geborenen Menschen statt mit anfänglich 231,93 Euro festzusetzen. Die Zahlbetragsfestsetzung nach Durchschnittswerten solle als Ausgleich für an ihr als zwischengeschlechtlichem Kleinkind im UKE Hamburg vorgenommene geschlechtsangleichende Operationen sowie die Behandlung mit dem Medikament Androcur dienen. Das LSG hat ihre Berufung gegen das klageabweisende zurückgewiesen.

2Der PKH-Antrag der klagenden Person ist abzulehnen.

3Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es im Falle der klagenden Person. Das gegen die angefochtene Berufungsentscheidung zulässige und von der klagenden Person angestrebte Rechtsmittel ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 160a SGG). Die Revision darf gemäß § 160 Abs 2 SGG nur zugelassen werden, wenn einer der dort abschließend genannten Revisionszulassungsgründe vorliegt. Nach Durchsicht der Akten und unter Würdigung des Vortrags der klagenden Person ist das hier nicht der Fall.

4Es ist nicht ersichtlich, dass ein zur Vertretung vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 2 und 4 SGG) erfolgreich geltend machen könnte, dass der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) zukommt. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Anhaltspunkte für eine derartige Rechtsfrage sind im Fall der klagenden Person nicht vorhanden.

5Zwar hat das BSG noch nicht über die von der klagenden Person in den Vordergrund gestellte Frage entschieden, ob eine intersexuelle Person, an der als Kleinkind geschlechtsangleichende Operationen vorgenommen worden sind und die mit dem Medikament Androcur behandelt worden ist, Anspruch darauf hat, dass der monatliche Zahlbetrag einer ihr zuerkannten Rente der gesetzlichen Rentenversicherung abweichend von den Berechnungsvorschriften des SGB VI nach der durchschnittlichen Rentenhöhe aller Versicherten ihres Jahrgangs festgesetzt wird. Eine Rechtsfrage ist aber auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder - auch ohne Vorliegen einer unmittelbar einschlägigen Entscheidung - bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; - juris RdNr 4).

6Die von der klagenden Person aufgeworfene Rechtsfrage ist im vorstehenden Sinne geklärt. Die Beantwortung ergibt sich unmittelbar aus dem geltenden Bundesrecht und der ständigen Rechtsprechung des BVerfG sowie der obersten Bundesgerichte zum nationalen Geltungsanspruch völkerrechtlicher Verträge. Eine Rechtgrundlage für den von der klagenden Person geltend gemachten Anspruch auf einen Rentenzahlbetrag nach den Durchschnittswerten aller Versicherten ihres Jahrgangs ist im SGB VI nicht vorhanden, was sie auch nicht bestreitet.

7Der geltend gemachte Anspruch kann auch nicht unmittelbar auf Art 14 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom (FoltKonv; Zustimmungsgesetz vom , BGBl II 247; in Kraft getreten am , BGBl I 1993, 715) gestützt werden. Art 14 FoltKonv vermittelt den Opfern einer Folterhandlung keinen unmittelbaren Anspruch gegen einen der Konventionsstaaten. Es entspricht der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass subjektive Rechte auch aufgrund von in das Bundesrecht transformierten völkerrechtlichen Verträgen (vgl hierzu zB - BVerfGE 111, 307 - juris RdNr 30 ff mwN) nur dann entstehen, wenn der Vertrag solche Rechte vermitteln will (vgl zB - BSGE 60, 230 = SozR 6100 Allg Nr 1 - juris RdNr 27 ff; - BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, RdNr 24 f; - BGHZ 52, 371 - juris RdNr 57). Anderenfalls sind solche Normen "non-self-executing", weshalb es zu ihrer Umsetzung einer Ausführungsgesetzgebung bedarf (vgl zB - BSGE 117, 117 = SozR 4-2500 § 5 Nr 24, RdNr 27; vgl auch - BGHZ 52, 371 - juris RdNr 57). Ebenso ist anerkannt, dass die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags gemäß Art 31 Abs 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom (WVK - BGBl II 1985, 926 und BGBl II 1987, 757) nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks erfolgt ( - BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, RdNr 24 mwN). Danach folgt aus Art 14 Abs 1 Satz 1 FoltKonv lediglich die Verpflichtung der Vertragsstaaten, in ihrer Rechtsordnung sicherzustellen, dass das Opfer einer Folterhandlung Wiedergutmachung erhält und ein einklagbares Recht auf eine gerechte und angemessene Entschädigung einschließlich der Mittel für eine möglichst vollständige Rehabilitation hat. Ein unmittelbar einklagbarer Anspruch auf Wiedergutmachung kann hieraus offensichtlich nicht abgeleitet werden, was auch der von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zu Art 3 FoltKonv abgegebenen Erklärung entspricht: Danach begründet Art 3 FoltKonv ebenso wie die anderen Bestimmungen des Übereinkommens ausschließlich Staatenverpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland nach näherer Bestimmung ihres mit dem Übereinkommen übereinstimmenden innerstaatlichen Rechts erfüllt (BGBl I 1993, 715).

8Etwas anderes folgt auch nicht aus der von der klagenden Person hervorgehobenen Zuordnung des Folterverbots zum völkerrechtlichen ius cogens, also dem Kanon des zwingenden, von allen Staaten zu achtenden Völkerrechts, gegen dessen Inhalt nach Art 53 WVK auch völkerrechtliche Verträge nicht verstoßen dürfen (vgl allgem Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd I/3, 2. Aufl 2002, 707 ff; Mössner in Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 3. Aufl 2001, 333 f). Zwar kann es als anerkannt gelten, dass neben der Achtung elementarer Menschenrechte auch das Verbot der Folter zum Bestand des ius cogens gehört (Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd I/3, 2. Aufl 2002, 716, 1099 f; Mössner in Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 3. Aufl 2001, 334). Hieraus folgt aber keinesfalls, dass im Falle einer Missachtung solcher Menschenrechte ein unmittelbarer zwingender Anspruch auf eine Entschädigung in Form eines rentenrechtlichen Ausgleichs besteht.

9Ferner ist darauf hinzuweisen, dass selbst für den Fall, dass aufgrund der von der klagenden Person erlittenen medizinischen Behandlung ein Entschädigungsanspruch bestünde, dieser systematisch dem Staatshaftungsrecht oder aber dem Entschädigungsrecht zuzuordnen wäre. Entschädigungsrechtliche Elemente sind dem Rentenversicherungsrecht grundsätzlich fremd (zu einer Ausnahme vgl - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Demgegenüber ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass unter sehr engen Voraussetzungen ein als Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff einen tätlichen Angriff iS des § 1 OEG darstellen kann, wenn er aus Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohle des Patienten dient ( - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17).

10Dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) vorliegt, ist ebenfalls nicht erkennbar. Denn die angefochtene Entscheidung des LSG ist nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen.

11Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Insbesondere sind im Zusammenhang mit der Ablehnung des Antrags der klagenden Person auf PKH für das Berufungsverfahren sowie ihrer Ablehnungsgesuche gegen eine Richterin und einen Richter des 3. Senats des LSG Hamburg keine rügefähigen Verfahrensmängel erkennbar. Dies gilt auch für die vom LSG gewählte Form der Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG. Dass das LSG nicht der Rechtsansicht der klagenden Person gefolgt ist und sie das Berufungsurteil inhaltlich für unzutreffend hält, eröffnet die Revisionsinstanz nicht.

12Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2020:010720BB13R719BH0

Fundstelle(n):
XAAAJ-51650