Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Anforderungen an tatgerichtliche Feststellungen zum Vorliegen eines Hangs
Gesetze: § 246a StPO, § 267 Abs 6 StPO, § 64 StGB vom
Instanzenzug: Az: 543 KLs 21/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verurteilt, seine Unterbringung in der Entziehungsanstalt und einen Vorwegvollzug von acht Monaten angeordnet sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der allgemeinen Sachrüge. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen und zugunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision allein die angeordnete Maßregel. Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung der Unterbringungsentscheidung, die weitergehende Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
I.
21. Nach den Feststellungen ist der mehrfach vorbestrafte Angeklagte letztmals einschlägig im Jahr 2005 vom Landgericht Zweibrücken unter anderem wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in mehreren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Nach Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß §§ 35, 36 BtMG und einer erfolgreichen Drogentherapie war die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe im Frühjahr 2012 zunächst zur Bewährung ausgesetzt und im Sommer 2015 erlassen worden. Der Angeklagte zog 2017 von P. nach B. , ging zunächst einer geringfügigen Beschäftigung nach und lebte bis 2018 weitgehend drogenfrei. Als er infolge familiärer Umstände unter Stress stand, wurde er rückfällig und steigerte den Kokainkonsum im Jahr 2019 auf etwa viermal wöchentlich bei zwei bis drei Gramm.
3Der geständige Angeklagte handelte im Zeitraum vom 26. März bis in 17 Fällen unter Verwendung eines Encrochat-Mobiltelefons mit Betäubungsmitteln, um sich eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. In zwei Fällen führte er den gewinnbringenden An- und Verkauf von jeweils zehn Kilogramm und in einem Fall von vier Kilogramm Haschisch (Wirkstoffgehalt jeweils mindestens 15% THC) auf eigene Rechnung durch. In 14 Fällen vermittelte er den Verkauf von Kokain in Mengen von 50 bis 200 Gramm (Wirkstoffgehalt jeweils mindestens 70% Kokain-Base), war dabei allein für die Abwicklung zuständig und erhielt als Entlohnung für den Eigenbedarf jeweils zwei bis fünf Gramm Kokain. Das Landgericht hat diese Handlungen als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 17 Fällen nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gewertet.
4Nach Entschlüsselung der Encrochat-Software und dem damit einhergehenden „Geschäftseinbruch“ reduzierte der Angeklagte den Konsum auf zwei- bis dreimal in der Woche; eine „manifeste Abhängigkeit“ entwickelte er nicht. Im Jahr 2021 zog er zurück nach P. , ging bis zur Festnahme am einer Beschäftigung nach und verdiente monatlich etwa 1.500 Euro brutto.
52. Die Strafkammer hat ihren Feststellungen zum Drogenkonsum die Angaben des Angeklagten, die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen sowie ein toxikologisches Gutachten vom zu einer Haarprobe des Angeklagten zugrunde gelegt.
63. Das Landgericht hat das Vorliegen der für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erforderlichen Voraussetzungen bejaht. Der Angeklagte weise einen Hang auf, Rauschmittel zu sich zu nehmen; dies sei für die Begehung seiner Taten mitursächlich gewesen. Zudem sei die Erfolgsaussicht einer Behandlung zu bejahen.
7Den Hang hat das Landgericht damit begründet, dass der Angeklagte „seit Jahren regelmäßig Kokain“ konsumiere, „vor allem auch, um Druck und Stress abzubauen“ und er in Phasen persönlicher Belastung nicht in der Lage sei, dem Konsum zu widerstehen. Er verkehre in „kriminalitätsbehafteten Milieus“, was sich in der Nutzung eines Kryptohandys auch für die Beschaffungsstraftaten zeige, und er sei daher sozial gefährdet.
II.
8Die zugunsten des Angeklagten eingelegte und wirksam auf die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beschränkte (vgl. zu den Voraussetzungen Rn. 6 mwN) Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
91. Die Anordnung der Maßregel hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen zum Vorliegen eines Hangs im Sinne von § 64 StGB zum Zeitpunkt der Urteilsfindung sind in mehrfacher Hinsicht lückenhaft.
10a) Für die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 StGB in der bis zum geltenden Fassung ist es ausreichend, dass der Angeklagte eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung hat, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren (vgl. zur Neufassung des § 64 StGB BGBl. I Nr. 203, S. 2). Den Grad einer physischen Abhängigkeit muss diese Neigung nicht erreicht haben. Ein übermäßiger Konsum von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Ein solcher Hang muss – zum maßgeblichen Zeitpunkt – sicher festgestellt sein; es reicht nicht aus, dass sein Vorliegen möglich oder nur nicht auszuschließen ist (st. Rspr.; vgl. mwN).
11b) Die Strafkammer hat bei ihrer Beurteilung schon nicht erkennbar die von ihr festgestellte weitere Entwicklung des Angeklagten im Anschluss an den von ihm Ende Mai 2020 aufgegebenen Betäubungsmittelhandel bis zur Festnahme im Juni 2022 berücksichtigt. Hierfür hätte insbesondere deshalb Anlass bestanden, weil der Angeklagte danach seinen – vom Landgericht überdies nicht mengenmäßig konkretisierten – Kokainkonsum auf „etwa zwei- bis dreimal pro Woche“ reduzierte. Zudem hat die Strafkammer nicht bedacht, dass der Angeklagte im Jahr 2021 B. mithin sein kriminelles Umfeld verließ. Sie hat zudem unerörtert gelassen, dass er infolge der Rückkehr nach P. und der Wiederaufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses jedenfalls nicht mehr solchen Umständen ausgesetzt war, auf denen nach Ansicht des Landgerichts die für seinen Hang relevante „soziale Gefährdung“ gründete. Es hat auch nicht ersichtlich den Drogenfund anlässlich einer Durchsuchung der neuen Wohnung des Angeklagten in P. gewürdigt, als jeweils ein Gramm Marihuana und Heroin, aber gerade kein Kokain sichergestellt wurde.
12c) Ferner ist nicht erkennbar, ob das Landgericht in seine Würdigung auch die zum Beleg des Drogenkonsums angeführten Erkenntnisse aus dem am erstellten toxikologischen Gutachten zu einer Haarprobe des Angeklagten hat einfließen lassen. Danach sei bei diesem von einem „mittleren Kokainkonsum“ auszugehen. Die Strafkammer hat indes Ausführungen dazu versäumt, auf welchen Konsumzeitraum sich das Gutachten bezieht und was unter einem „mittleren“ Konsum zu verstehen ist.
13d) Die Beurteilung des Vorliegens eines Hangs als Rechtsbegriff obliegt zwar allein dem Tatgericht und nicht einem nach § 246a StPO zugezogenen Sachverständigen. Das Landgericht hat sich hier aber nicht mit den mitgeteilten Anknüpfungstatsachen auseinandergesetzt, auf die der einen Hang verneinende Sachverständige seine Einschätzung stützte. Dies erweist sich ebenfalls als lückenhaft, weil diese Umstände gegen einen Hang sprechen können. Denn danach habe beim Angeklagten ab dem Jahr 2018 lediglich ein auf eine „erlebnisorientierte Freizeitgestaltung“ hin ausgerichteter Alkohol- und Drogenkonsum vorgelegen, der sich in den sonstigen Alltag eingefügt habe.
142. Der Rechtsfehler bedingt die Aufhebung der Maßregel mit den zugrundeliegenden Feststellungen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Damit entfällt zugleich die Anordnung des Vorwegvollzugs (§ 67 Abs. 2 StGB).
III.
15Das Rechtsmittel des Angeklagten hat aus den genannten Gründen zum Maßregelausspruch Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet, weil die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils keinen weiteren Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270923U5STR181.23.0
Fundstelle(n):
TAAAJ-51472